Zukunft der Arbeit: Digitale Transformation gestalten

Personalvorstände aus dem Dax haben ein Positionspapier zur Digitali­sie­rung von Wirtschaft und Arbeitswelt vorgelegt, das viele Fragen aufwirft. Ein Kommentar von Professor Dr. Christian Scholz, Lehrstuhlinhaber an der Universität des Saarlands.

Als auf dem Display meines Macbooks die Anfrage auftauchte, ein Positionspapier zur digitalen Transformation zu kommentieren, war meine Antwort ein klares "Ja": Denn Veränderungen der Arbeitswelt beschäftigen mich seit Mitte der 1990er-Jahre. Damals diskutierten wir unter ungläubigen Blicken von Praktikern "Virtuelle Unternehmen" als neuartige Organisationsformen. Mein Interesse war also sofort geweckt – nur erwies sich dieses Kommentieren jetzt als eher unangenehm.

Die Sprache: Eltern-Ich mit Applausautomatik

"Nicht alle Verantwortlichen sind bereit, die Augen zu öffnen und die neuen Herausforderungen zu sehen" oder "Wir werden nicht alle Mitarbeiter mitnehmen können". Überall das pathetische "Wir-müssen-endlich", das auf Kongressen ekstatisch beklatscht wird, weil es im Kern bedeutet, dass alle anderen endlich etwas tun müssen. Sprache ist verräterisch: Das ganze Positionspapier doziert vom kritischen Eltern-Ich herab zum hilflosen Kind-Ich. Und wir Kinder scheinen genau diese Führung zu wollen, obwohl wir merken, dass der Prediger auf der Kanzel selbst wenig von seinen Forderungen umgesetzt hat.

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Genau das aber ist verkehrt: Wir brauchen eine ergebnisoffene Diskussion im Erwachsenen-Ich, in der nicht länger jeder, der nicht applaudiert, als Ewig-Gestriger ausgegrenzt und zum Technologie-Ignoranten abgestempelt wird.

Der Inhalt: Leerformeln als Platzverschwendung

"Deutschland ist zwar Weltmeister bei Ideen, aber Kreisklasse bei der Umsetzung." Nun ja, für derartige Sätze gilt: Tausendmal gesagt und tausendmal ist nix passiert – vielleicht, weil nicht alle diese marktschreierischen Aussagen richtig sind.
Aussagen, wonach wir alle schneller werden müssen und Sprechblasen wie "Die Fragestellungen sind hochkomplex" bringen uns nicht weiter. Was wir brauchen: einen großen Rotstift, der dieses Papier (und die gesamte Debatte) von Leerformeln befreit.

Der Denkfehler: Digitalisierung als Subjekt

Formulierungen wie "Zwar wird die Unumkehrbarkeit dieser Entwicklung noch zu wenig gesehen" signalisieren einen Technikdeterminismus, der einen ganz bestimmten sozialen Wandel verlangt. Digitalisierung ist also nach Ansicht der Autoren eine gegebene Konstante und digitale Transformation ein Determinismus. Die HR-Vorstände folgen damit dem metaphysischen Materialismus, der Menschen in begrenzten Handlungsräumen gefangen hält.

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Umdenken tut not: Nicht die Menschen müssen sich einer vordeterminierten "Digitalisierung" anpassen, wir sollten vielmehr die Digitalisierung für die Menschen gestalten. Nicht der Mensch ist das Objekt. Die Digitalisierung ist das Objekt!

Der blinde Fleck: Die Menschen

Damit sind wir auch schon beim nächsten Fehler dieses Positionspapieres angelangt: Menschen sind allenfalls Objekte, die nicht schnell und effizient genug lernen, vor allem aber nicht begreifen, wie sie arbeiten sollen: "Arbeit wird wieder (wie in der Zeit vor der Industrialisierung) stärker ins Private übergreifen." Nur: Brauchen wir das? Ist das wirklich sinnvoll?

Also: Eine schöne neue Welt, in der Menschen eine zu minimierende Residualgröße darstellen, ist keine Option. Letztlich macht der menschliche Faktor den Unterschied aus. Innovation und Spaß entstehen nicht primär durch Digitalisierung, sondern zum Glück noch immer oft trotz Digitalisierung.

Der noch blinde Fleck: Die jungen Menschen

"Wir sind in einer Situation, in der die Jungen teilweise erstmals mehr wissen als die Alten." Der Appell ist richtig, wird aber in diesem Positionspapier nicht befolgt. Zum einen dürfte das Durchschnittsalter der Autoren deutlich über 50 Jahre liegen, zum anderen wird überhaupt nicht berücksichtigt, was "die Jungen" wirklich wollen und ob sie bereit sind, in dieses technikgetriebene Hamsterrad einzusteigen.

Warum sollten sie auch? Das Szenario, das in diesem Positionspapier geschildert wird, macht wenig Lust auf die Zukunft. Sie gleicht einem Tsunami, auf den wir uns notgedrungen einstellen müssen und nach dessen Eintreten wir allenfalls noch mithilfe von Design Thinking Notunterkünfte gestalten dürfen.

Behauptungen wie "Die Millennials pfeifen auf Betriebsrenten" lassen in ihrer Konsequenz jegliches Verständnis vermissen. Selbst wenn diese Aussage in ihrer Umfänglichkeit richtig wäre, "pfeifen" die Jungen lediglich deshalb darauf, weil sie das Vertrauen in unser Rentensystem und die älteren Generationen verloren haben, also davon ausgehen, ohnehin keinen Cent Rente zu sehen.

Jenseits von manipulationsverdächtigen Aktionen müssen wir erst einmal über die Arbeitswelt nachdenken, wie sie sich vor allem die jungen Menschen wünschen. Denn sonst wird die Generation Z auf das aktuelle Denkschema der Industrie 4.0 "pfeifen" und es zu Fall bringen. Und dann haben die Unterzeichner dieses Papieres ein selbst verschuldetes Problem.

Nächster Denkfehler: Zerstückelung = Agilität

Dieser Text läuft auf permanente Zerstückelung hinaus. So gibt es "Micro- beziehungsweise Nano-Degrees". Reguläres Studium ist out, Fastfood in kleinen Häppchen offenbar in. Das ist grotesk, wenn gleichzeitig übergreifendes und systemisches Denken gefordert wird.

Dann gibt es die "Übertragung kleiner Teilaufgaben einer Unternehmenseinheit an externe Partner (Outtasking) – bis hin zu einem sogenannten Microtasking. Dabei wird eine Aufgabe in möglichst viele kleine Teilaufgaben zerlegt, die von ebenso vielen externen sogenannten Click-workern bearbeitet […] werden (Crowdworking)." Aber wer soll das Ganze integrieren? Auch wieder irgendwie die Digitalisierung?

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Gleichzeitig brauchen wir angeblich permanent kreative "Zerstörerinnen und Zerstörer, die die Transformation von Geschäftsmodellen beherrschen" und nebenbei Beziehungen, Abteilungen sowie ganze Unternehmen "zerstören", nur um sie agil wieder aufzubauen.
Natürlich ist Agilität nötig: In diesem Positionspapier aber wird Agilität mit radikaler Zerstückelung gleichgesetzt. Und das ist aus systemtheoretischer Sicht einfach falsch.

Der versteckte Sprengstoff: Abschaffung der Mitbestimmung

Sicherlich waren einige der unterzeichnenden (ehemaligen) HR-Vorstände schon einmal "Opfer" eines aggressiven Betriebsrats. Das ist aber kein Grund, in eine Debatte über eine "Mitbestimmung light" (so der Originalton der Autoren) einzusteigen: Wir dürfen nicht die Vorteile der deutschen Mitbestimmung vergessen wie beispielsweise die Reduktion von Transaktionskosten. Dass Mitbestimmung ihr Ablaufdatum erreicht hat, mögen zwar einige der Autoren dieses Positionspapieres hoffen, dies ist aber wissenschaftlich nicht bestätigt.

Natürlich brauchen wir eine Diskussion über die Mitbestimmung: Wir brauchen aber keine pauschale Reduktion sondern eine Erweiterung, beispielsweise bei der External Workforce. In einigen Unternehmen müssen wir sogar erst mit echter Mitbestimmung anfangen. Und schließlich müssen wir auch über Fälle wie Goodgame diskutieren, die "erfolgreich" den Betriebsrat verhinderten.

Die Unmenschlichkeit: Flexibili­sierung der Mitarbeiter

Neben Digitalisierung und Agilität ist "Flexibilisierung" das zweite große Zauberwort. Allerdings bezieht sich Flexibilisierung hier fast ausschließlich auf Mitarbeiter: Sie müssen arbeiten, wenn Arbeit anfällt. Wenn weniger Arbeit da ist, dürfen sie zu Hause oder im Garten arbeiten. Die Flexibilitätsgewinne der Unternehmen werden also durch die Mitarbeiter erwirtschaftet und zur Steigerung ihrer Lebensqualität an das obere Management sowie die Anteilseigner verteilt. Gleichzeitig verabschiedet man sich von Planungsaufgaben: Denn warum sollte man eine systematische Personaleinsatzplanung erstellen, wenn man auf eine flexible Personaldisposition setzen kann?

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Weshalb sollte diese Hyperflexibilität für Mitarbeiter erstrebenswert sein? Gerade in unsicheren Zeiten wünschen sich viele Mitarbeiter Planungssicherheit, feste Jobs und ein geregeltes Einkommen. Und warum sollte sich ein Mitarbeiter an ein Unternehmen binden (was sich Unternehmen zumindest bei High Potentials wünschen), wenn Unternehmen sich selber nicht binden wollen?

So wichtig Flexibilität ist: Sie einseitig auf Mitarbeiter zu verlagern und gleichzeitig auf substanzielle Planungen zu verzichten, ignoriert zeitgemäße Forderungen nach ökonomischer, sozialer und ökologischer Nachhaltigkeit.

Ein Déjà-vu: "Bachelor welcome"

Angesichts des Moderators der Runde wenig überraschend: Einmal mehr wird für den Bachelor als zentralen berufsqualifizierenden Abschluss geworben. Das kennen wir alles schon aus dem Jahre 2004: Damals hatten Unternehmen unter der Federführung eines heute omnipräsenten Kongressredners laut "Bachelor welcome" gerufen.

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Dieser Wunsch wurde zum Leidwesen der Studierenden und des Standorts Deutschland erfüllt. Ihren Teil des Pakts haben die Unternehmen durchweg nicht erfüllt: Für das neue Qualifikationsbild "Bachelor" gibt es noch immer weder Rekrutierungs- noch Qualifikationsmuster. Bachelor sind also willkommen, wenn sie sich gegen die älteren Master und Diplomträger durchsetzen. Da das allerdings unwahrscheinlich ist, wollen viele Studenten wie im alten System sofort nach dem Bachelor-Abschluss am gleichen Standort in einem Master-Studiengang weiterstudieren.

Also: Man sollte sich endlich vom Ziel des Bachelors als zentrale Eingangsqualifikation verabschieden und ihn lediglich als eine Option ansehen.

Und noch ein Déjà-vu: Unternehmen als Bedarfsermittler

Wie schon bei "Bachelor welcome" gibt es auch in diesem Positionspapier massive Forderungen von Unternehmen an die Hochschulen, beispielsweise in Richtung Stärkung der Dualen Hochschulen, Forcieren von MINT und Umbau der BWL in Richtung Wirtschaftsingenieurwesen. Die Frage ist nur: Sind diese Forderungen sinnvoll und zukunftsweisend? Wie wenig Unternehmen ihren quantitativen und qualitativen Personalbedarf projektiv bestimmen können, haben wir in den letzten Jahren gesehen. Und wie wenig sie von Bildungseinrichtungen verstehen, haben die inzwischen klammheimlich reduzierten Corporate Universities unfreiwillig bewiesen.
Die Autoren dieses Positionspapiers sollten sich bei ihren konkreten (aber teilweise unsinnigen) Forderungen an das Bildungssystem drastisch zurücknehmen. Stattdessen sollten sie Forderungen an Unternehmen richten, die – anders als bei "Bachelor welcome" – als Selbstverpflichtung anzusehen sind. Nur fordern, was andere tun sollen, reicht nicht.

Die Autoren: Nebulöse Urheberschaft

Irgendwie entsteht der Eindruck, dass der Text wie folgt entstanden ist: Man nehme einige Originalzitate von HR-Vorständen und streue sie in bestehende Vortragsmanuskripte der eigentlichen Protagonisten dieses Positionspapiers ein. Deshalb finden sich richtige Sätze wie "In der öffentlichen Debatte wird häufig reflexartig der Eindruck erweckt, es gebe die eine Lösung für die digitale Transformation" in unmittelbarer Nähe zur falschen Interpretation der digitalen Transformation als technikgetriebenes Naturgesetz. Im Ergebnis wird allenfalls noch zugelassen, dass man Mitarbeiter in etwas unterschiedlicher Form auf die Digitalisierung zuschneidet.
Werden hier vielleicht einige "Mitglieder des HR-Kreises" vor ein trojanisches Pferd von Protagonisten mit einem veralteten mechanistischen Menschenbild gespannt?

Was bleibt? Ein Bild der Stimmungslage?

Falls dieses "Positionspapier" tatsächlich ein Stimmungsbild der deutschen Personalvorstände ist, dann haben wir ein Deutschland bestehend aus Unternehmen mit depressiven Versagern, aus "erstickenden Strukturen", aus unfähigen Bildungseinrichtungen, aus einem durch das "alltägliche Klein-Klein" dominierten HR-Bereich, aus Mitarbeitern ohne Verständnis für Technik und aus jungen Menschen, die ausschließlich bei Google arbeiten wollen. Zum Glück entspricht dies nicht der Realität. Deshalb können wir uns das Leviten-Lesen sparen. Und wenn die Forderungen der Autoren innovationsverdächtig am Schluss adminis­trativ-bürokratisch auf "eine Landkarte oder einen Atlas mit Kompetenzzentren" hinauslaufen, dann fehlen radikale Alternativen und altbackene Phantasie­losigkeit wird deutlich.

Der Wettbewerbsvorteil einer zeitgemäß verstandenen Digitalisierung liegt nicht in einer Intensivierung der Automatisierung oder einer Maximierung der Vernetzung. Wir brauchen in Deutschland Geschäftsmodelle, in denen Menschen nicht länger nur als zahlende Kunden oder wegzurationalisierende Mitarbeiter vorkommen. Erst das wäre eine echte digitale Transformation.

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Schlagworte zum Thema:  Crowdworking, Digitalisierung