Agilität versus Stabilität

André Häusling hat mit seinem 2010 ge­grün­deten Beratungs­unter­nehmen HR Pioneers die Agilität in die HR-Abteilungen gebracht. Dem folgen­den Agilitäts-Hype setzt er nun bedachte Grenzen.

Wie können wir agiler werden? Vor ein paar Jahren noch war das die Frage schlechthin in vielen Unternehmen. Heute ist die Lage anders: Die Menschen in den Organisationen sehnen sich nach Stabilität. Viele sind müde und am Limit, fühlen sich ohnmächtig. Denn wegen der Krisen und Herausforderungen in unserer (Arbeits-)Welt – der unsicheren geopolitischen Lage, der Sorge um unsere Demokratie und der branchenspezifischen Spannungsfelder, etwa im Energiesektor und im Handel – ist schwer absehbar, wie sich die Dinge entwickeln. Hinzu kommen Fachkräftemangel, technologische Veränderungen und die Frage, wie man künftig zusammenarbeiten will. Alles ist derart komplex geworden, dass viele Unternehmen nicht mehr wissen, wo sie stehen und wie sie sich ausrichten sollen. Als Folge werden Entscheidungen oft aufgeschoben, nichts wird richtig priorisiert. 

Stabilität statt Agilität

Heute so, morgen so – so nehmen es die Mitarbeitenden wahr, die angesichts der Komplexität ihren Fokus zunehmend auf sich selbst richten und daher den kollektiven Blick auf ihr Team sowie aufs Unternehmen verlieren. Und die Führungskräfte? Sie haben immer weniger Lust auf ihren Job. Führungsverantwortung zu übernehmen, wird immer unattraktiver. Die Transformation kann so nicht gelingen. Insbesondere, da die Welt nicht an Komplexität verlieren wird. Die Organisationen samt Mitarbeitenden müssen dringend an Stabilität gewinnen. Das ist Grundvoraussetzung, um Veränderungen erfolgversprechend anzugehen. Wer nur wacklig steht, kann schließlich nicht richtig loslaufen.

Viele Unternehmen fangen an, Strukturen zu verändern, doch das bringt nur noch mehr Instabilität in die Organisation. Die Hebel liegen woanders: Etwa bei den Prozessen der Zusammenarbeit. Ein funktionierendes Team ist für die Mitarbeitenden wie ein Heimathafen – und bietet ihnen Sicherheit. Darüber hinaus sollte geschaut werden, wie die cross-funktionale Zusammenarbeit wirkungsvoll gestaltet werden kann. Wichtig ist dabei, einen gemeinsamen übergreifenden Fokus zu schaffen. Entscheidend ist insbesondere auch, Führung in den Unternehmen zu stärken. Dies gelingt zum einen, indem Führung breiter aufgestellt und auf mehrere Schultern verteilt wird. Zum anderen müssen Führungskräfte lernen, mit Komplexität umzugehen. Den meisten fehlt es hier noch an zu vielen Basics. 

Führung heißt Organisationsentwicklung

Auch in Sachen Selbstführung sind Führungskräfte ob der ständigen Veränderungen und nötigen Anpassungen gefordert, hinzuzulernen. Sie tun gut daran, jene Grundüberzeugungen, die ihrem Handeln zugrunde liegen, zu reflektieren. Schließlich ist es die Haltung, die unser Verhalten prägt. Die Unternehmen wiederum sollten dafür entsprechend förderliche Bedingungen schaffen. So stärken sie eine Kultur der Reflexion – und das ist vor dem Hintergrund, dass Kultur in Zukunft der wichtigste Wettbewerbsvorteil für die Unternehmen sein wird, ein Erfolgsfaktor.

Was Rahmenbedingungen betrifft, müssen die Führungskräfte aber auch selbst tätig werden. Denn um Stabilität zu schaffen, geht es für sie nicht mehr allein um das Führen im System, sondern auch um die Arbeit am System. So ist es nötig, Führungskräfte zu befähigen, Rahmenbedingungen in den Unternehmen mitgestalten zu können. Wir brauchen Spezialisten für Organisationsentwicklung in den Führungsrollen.


Der Gastkommentar unseres Autors André Häusling ist erschienen in personalmagazin neues lernen, Ausgabe 4/2024, das Fachmagazin für Personalentwicklung. Als Abonnent haben Sie Zugang zu diesem Beitrag und allen Artikeln dieser Ausgabe in unserem Digitalmagazin als Desktop-Applikation oder in der App personalmagazin - neues lernen.


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