Entlarve die Charisma-Falle!


Die Charisma-Falle entlarven

Stimmt die Ausstrahlung, kommt der Erfolg von ganz alleine? Managementtrainer Boris Grundl warnt vor mit zu viel Machtfülle ausgestatteten charismatischen Führungspersönlichkeiten. So erkennen Sie die "falschen Verführer".

"Herr Grundl, wie werde ich eine charismatische Persönlichkeit?" Diese Frage bekomme ich häufig gestellt. Schauen wir uns das Thema genauer an. Religiös gedeutet, gilt Charisma als Gnadengabe, als Geschenk Gottes. Betroffene sehen es als Berufung, die es zu erkennen und der es zu folgen gilt. Unreligiös und modern lässt sich das wie folgt interpretieren: Erkenne deine Talente, entwickle sie zu Stärken und diene damit anderen Menschen. In dieser Deutung hat Charisma absolut nichts mit Ausstrahlung zu tun.

Erkenne deine Talente, entwickle sie zu Stärken und diene damit anderen Menschen. - Boris Grundl, Managementtrainer

Charisma wird unterschiedlich definiert

Max Weber definiert den Begriff hingegen sozialwissenschaftlich. Hier dreht es sich um die Fähigkeit, Menschen an sich zu binden. Es ist ein Herrschaftsprinzip. Erst jetzt fließt die gewinnende Ausstrahlung in die Bedeutung ein, die sich die meisten versprechen. Nach dem Motto: Jemand betritt den Raum und alle drehen sich nach dieser Person um. Menschen reizt die Machtfülle und das Talent, "Jünger" um sich scharen zu können.

In der Wirtschaftspsychologie bedeutet Charisma die Fähigkeit, überzeugende Visionen zu vermitteln, als Vorbild zu wirken und Mitarbeitende zu besonderen Leistungen zu inspirieren. Der Übergang zum Narzissmus ist fließend.

Heutzutage geht es kaum mehr um den religiösen oder transzendenten, also den dienenden Ansatz. Leider. Das Bedürfnis, charismatisch zu wirken, impliziert meist den Wunsch nach Dominanz und Überlegenheit. Und hier wird es kritisch. Zwangsläufig entsteht eine zu große Identifikation auf einen Menschen. Egal, ob es um Politik oder Unternehmen geht – Charisma sorgt dafür, dass Organisationen von einer einzelnen Person abhängig werden. 

Warum möchten so viele Menschen möglichst anziehend sein?

Jeder kennt diese einnehmenden Charaktere, die ein Unternehmen aus dem Nichts in die Höhe gehoben haben. So herausragend diese Einzelleistung auch war, so sehr hat sie auch Abhängigkeit erzeugt. Diese Zeiten sind heute vorbei. Wir wissen inzwischen sehr genau, welche Probleme es gibt, wenn solche Organisationen in jüngere oder in mehrere Hände übergeben werden sollen. 

Historisch betrachtet, hat extremes Charisma teilweise die böswilligsten menschlichen Motive zum Ausdruck gebracht. Die größten politischen Massenmörder waren außergewöhnlich charismatische Menschen. Egal ob Stalin, Pol Pot oder Hitler, es ist unglaublich, was diese ideologischen Führer mit den Massen gemacht haben. Es bleibt dabei: Verfügt ein Mensch über sehr viel Einfluss, ist es unfassbar schwierig, verantwortungsvoll damit umzugehen. Deswegen reagieren wir heute zum Glück sehr kritisch, wenn zu viel Machtfülle auf eine Person konzentriert wird. 

Aber warum möchten so viele Menschen möglichst anziehend sein? Ganz einfach. Das Charisma überstrahlt die inhaltliche Kompetenz. Der Bote dominiert die Botschaft. Je überzeugender eine Persönlichkeit leuchtet, desto mehr rücken Können und Inhalt in den Schatten. Genau hier lauert die Gefahr. Diese Menschen wirken so sympathisch und überzeugend, dass wir durch die vielen positiven Gefühle nicht mehr kritisch nachdenken. Wir werden verführt. 

Deswegen sollten wir uns jetzt vom Wunsch nach dominierendem Charisma verabschieden. Wer lernt, den Boten von der Botschaft zu trennen, der erkennt, wie viel Substanz hinter einer Persönlichkeit steckt.


Über den Kolumnisten: Boris Grundl ist Führungskräftetrainer und gilt bei Managern und Managerinnen sowie Medien als "Der Menschenentwickler" (Süddeutsche Zeitung). Er ist Inhaber des Grundl Leadership Instituts, das Unternehmen befähigt, ihrer Führungsverantwortung gerecht zu werden. Dafür erforscht, testet und lehrt das Institut hochwertige, praxisrelevante Unterscheidungen - als Voraussetzung für Wahrnehmung und Erkenntnis. Seine Kolumne erscheint in der Haufe-Zeitschrift "wirtschaft + weiterbildung".

Schlagworte zum Thema:  Leadership, Mitarbeiterführung, Weiterbildung