Sie sehen, wie der vielzitierte Karren an die Wand fahren wird. Sie versuchen noch die Steuerung zu übernehmen, doch man lässt sie nicht ran. Kein schönes Gefühl, oder? Aber genauso geht es vielfach den Profis im Bereich People Development, wie ich immer wieder in Gesprächen höre.
Die Misere der Personalentwicklung
Das Konfliktfeld sieht so aus: Auf der einen Seite machen sich die L&Ds Gedanken, an welchen Stellschrauben sie drehen müssen, damit eine Schulung nicht verpufft. Sie sehen sich in der Pflicht, dass das Weiterbildungsgeld gut investiert ist. "Wir wollen gerne belegen können, dass das, was wir tun, auch Wirkung zeigt", so eine Personalentwicklerin.
Auf der anderen Seite geht ihre Expertise ins Leere. Die gute Absicht stirbt häufig im Gespräch mit dem internen Auftraggeber oder durch den Betriebsrat. "Brauchen wir nicht", "Geht nicht", "Zu aufwendig", "Machen die Mitarbeitenden nicht mit", „Zu teuer“. Es sind Sätze wie diese, die die Personalerinnen und Personaler in den Argumentationsnotstand treiben. Viele hissen innerlich die weiße Flagge und verlassen ernüchtert die Szenerie. Sie dringen nicht durch.
Wie bitter. Denn sie wissen genau: "Man schickt die Leute zum Training und wenn man Glück hat, erinnern sie sich", so der lakonische Satz von jemandem, dem der Frust anzumerken ist. Es sind Erfahrungen wie diese: Die Geschulten geben nach einer Schulung immer noch ein Feedback, dass es einem die Fußnägel hochklappt. Oder: Die Verkaufszahlen dümpeln weiter herum, wie ein Erpel im Teich. Was läuft bloß schief? Fehlt es den L&D-Profis vielleicht nur an Standing und Durchsetzungsvermögen?
Schauen wir uns ein paar Beispiele an.
Ausgebremst vom Management
In der Regel kommt der Auftrag für eine Schulung von der Führungskraft einer Fachabteilung oder gleich von ganz oben aus der Geschäftsführung. Die Vorstellungen gehen meistens in die gleiche Richtung, so eine Insiderin. "Das muss schnell gehen. Wir haben nicht die Zeit." Und – so haben es wirklich einige zu ihr gesagt: "Ich habe auch keine Lust, mich mit dem Scheiß auseinanderzusetzen. Das muss zügig gehen. Die Sache will ich vom Tisch haben".
Wer dann ambitioniert versucht, das nötige Bewusstsein und Verständnis zu schaffen, dass Lern- und Entwicklungsprozesse Zeit brauchen, stößt schnell auf taube Ohren. Eigentlich überraschend, denn auch die Entscheiderinnen und Entscheider haben ja schon an Schulungen teilgenommen und sollten wissen, wie schwer bisweilen die Umsetzung des Gelernten ist. Doch, so meint eine PE-Verantwortliche: "Die Selbstreflexion ist nicht so weit ausgeprägt." Und eine andere urteilt: "Ganz häufig habe ich den Eindruck, dass es eine gewisse Ignoranz bei den Führungskräften gibt".
Zwei Stimmen von vielen, die die Herausforderung darin sehen, dass ihre internen Auftraggeber unbeeindruckt von jeglicher Fachexpertise sagen: "Das muss aber so gehen, wie ich das sage". Sie wollen gar nicht hören, dass sich Gewohnheiten nicht auf Knopfdruck verändern lassen.
Manche Führungskräfte sind offener für den Dialog. Dafür löchern sie die PE-Leute gnadenlos mit Warum-Fragen, wie eine Personalentwicklerin berichtet. "Man wird schon sehr stark gechallenged und immer wieder gefragt, warum brauchen wir das jetzt, warum machen wir es nicht so?" Fragen wie: Warum reicht es nicht, Mitarbeitende nur für LinkedIn Learning freizuschalten? Warum soll ich mit Mitarbeitenden vor einer Schulung sprechen? Warum machen wir es nicht so, wie es der Vorstand bei seiner Business School erlebt hat? Eine Blockwoche offsite und dann ist es gut.
Die gute Absicht stirbt zuletzt. Diese Erfahrung machte auch ein Personalentwickler, der das Leitbild seiner Firma zum "unternehmerischen Denken und Handeln" ernstnahm. Er entwickelte ein Konzept zur Transfersicherung und Wirkungskontrolle. Dazu gehörten, kurz gesagt, ein paar Fragebögen, um damit die Führungskräfte und ihre Mitarbeitenden zu unterstützen, klar Lernziele zu definieren, die Zielerreichung von Weiterbildungsmaßnahmen zu reflektieren und sich bewusst mit der Lösung von Transferhemmnissen zu befassen. Alles in allem hatte das Hand und Fuß und war gut durchdacht. Es gab nur einen Haken: Den Führungskräften war das zu viel Aufwand und Administration. Überdies gab es Gegenwind vom Betriebsrat, dem dies alles zu viel Leistungskontrolle und -erfassung war.
Ausgebremst vom Betriebsrat
Apropos Betriebsrat. Ein ganz sensibler Bereich, so die Erfahrung einer Personalentwicklerin. "Ich durfte keine Bedarfsanalysen machen. Ich wurde vom Betriebsrat gesperrt." Begründung: Datenschutz. "Alles schön und gut", ärgert sie sich. "Aber ich muss doch wissen, was ein Mensch braucht und wie sein Schulungsbedarf aussieht." Sie kenne viele Firmen, in denen es nicht geht. Mir selbst ist das auch vertraut. Zu Zeiten, als ich noch Telefontrainings machte, gehörte es mit dazu, dass ich vorab auch mal bei Telefonaten mithörte, um mir ein Bild zu machen. In erinnere mich an einen Fall aus einem Distributionsunternehmen, wo ich das nicht durfte. Doch nicht nur bei der Bedarfsanalyse, sondern auch bei der Erfolgsmessung tun sich schnell Grenzen auf. Was Teilnehmende nach einem Training tun oder auch nicht, ist in Unternehmen messtechnisch ein dunkles Loch ohne Zugangsberechtigung.
Ohnmacht oder doch Optionen?
Erfreulicherweise geht es auch anders, wie gute Beispiele zeigen. So habe ich immer wieder mal Personalentwicklerinnen und Personalentwickler kennengelernt, die im Unternehmen ein Umdenken in Sachen Transfersicherung vorangebracht haben. Es sind Menschen mit Leidenschaft für Wirkung. Sie beeindrucken durch ihr Standing und lassen sich nicht so schnell kleinkriegen. Sie sind Sparringspartner und kämpfen um jeden Millimeter an der Front des besseren Lernerfolgs. Und sie bekommen entsprechend Gehör. Rückenwind haben sie besonders dann, wenn auch der Vorstand beziehungsweise die Geschäftsführung Wert darauflegt, dass investierte Weiterbildungsgelder gut angelegt sind.
Als hilfreich für die Argumentation hat sich eine Art "Wirkungsschlüssel" gezeigt. Das sind ganz klare Checkpunkte, mit denen sich wissenschaftlich belegen lässt, welche Faktoren Trainingseffekte begünstigen und warum. Das überzeugt auch Vorgesetzte, die hierzu kein Fachwissen haben. Denn dadurch wird für sie leichter sichtbar, was zu tun ist, damit Zeit und Geld für eine Weiterbildung gut angelegt sind. Überdies gilt es, Entwicklungsthemen viel mehr in Geschäftsprozesse einzubinden und die Auswirkungen von Schulungen in die Sprache des Business zu übersetzen.
Auch Betriebsräte sind kein hoffnungsloser Fall. Positive Beispiele zeigen die Macht des Dialogs. Denn sie wollen das Beste für die Mitarbeitenden. Also auch mit Blick auf Lernerfolg.
Es gibt also mehr Optionen als manchmal sichtbar: Nutzen Sie diese!
Prof. Dr. Axel Koch ist promovierter Diplom-Psychologe und arbeitet als Professor für Training und Coaching an der Hochschule für angewandtes Management in Ismaning (bei München). In seiner Forschung befasst sich Koch mit dem Thema Lerntransfer und nachhaltige Veränderung. Er hat über 25 Jahre Erfahrung als Personalentwickler, Trainer und Coach. Er steckt hinter dem Pseudonym "Richard Gris", unter dessen Namen 2008 das Buch "Die Weiterbildungslüge" erschien.