Hoffnung gibt Kraft und lässt uns Schwierigkeiten durchstehen. Wie bei allem gibt es auch hier eine Kehrseite: In der Hoffnung, dass irgendwann alles besser sein könnte, hetzen viele wie Getriebene durchs Leben: "Wenn ich erst den Abschluss habe, meine Ausbildung fertig ist, ich meine Beförderung bekomme, mein Traumpartner anklopft, ich in Rente bin …" Dieses Muster wurde uns gesellschaftlich beigebracht. Es passt zum Kapitalismus. Befeuert durch den Wunsch nach einer besseren Zukunft kaufen Menschen Produkte. Doch die vergangenen Jahre haben uns sensibler werden lassen.
Anhaltende Motivation statt kurzfristige Erfolge
Es gibt die Angst, dass die Mitarbeitenden sich nicht mehr anstrengen, wenn sie nicht mehr am Nasenring gezogen werden können. Diese Angst ist unbegründet. Wenn Menschen den Unterschied zwischen Erfolg und Erfüllung in der Tiefe verstehen, entsteht sogar eine viel anhaltendere Motivation. Erfolg bedeutet, sich zu zeigen: "Seht her, das bin ich." Erfolgshungrige wollen sich beweisen, sich durchsetzen und dafür anerkannt und respektiert werden. Wir nennen es Selbstbehauptung. Hier geht es um kurzfristige gute Gefühle durch das Erzielen von Ergebnissen. Jeder, der regelmäßig Ziele erreicht, weiß, wie kurzfristig dieses positive Erleben andauert. Daraus folgt: Im Kern sind Ziele leer.
Erfüllung setzt einen Reflexionsprozess voraus
Erfüllung ist etwas ganz anderes. Sie ist die mentale Reise nach innen auf der Suche nach der Sinnhaftigkeit im eigenen Leben: Wie kann ich meine Talente zu Stärken entwickeln und damit anderen dienen? Welcher Ruf in mir kann zur Berufung werden? Echte Erfüllung hat im Kern rein gar nichts mit Erfolg zu tun. Vielmehr geht es um die Fähigkeit, das Leben so zu interpretieren, dass daraus Erfüllung entsteht. Dabei ist es völlig egal, was gerade passiert. Als Schwerstbehinderter weiß ich, wovon ich rede. Dass ich im Rollstuhl sitze, beeinflusst meinen Grad an Erfüllung nur, wenn ich meine Behinderung als Ursache eines empfundenen Mangels zulasse.
Mehr Verständnis bei Generationsunterschieden
Ältere Generationen beschweren sich oft, dass der Nachwuchs anders tickt. Damit meinen sie, dass junge Menschen keine Erfüllung in der Zukunft suchen. Jüngere legen häufig mehr Wert auf die Erfüllung im Hier und Jetzt. Beide Welten haben etwas Faszinierendes. Statt in den Konflikt zu gehen, könnten wir voneinander lernen. Alle gewinnen, wenn Menschen nach innen gehen, anhalten, reflektieren, abwägen – losgelöst von einem Wunschimage oder einer Prägung aus der Vergangenheit. Dann haben wir die Chance, unserem wahren Selbst, unserem Kern, näherzukommen. Erst im zweiten Schritt gehen wir nach außen und zeigen durch konsequente Handlungen, wie wir unsere Erkenntnisse in exzellente Ergebnisse transformieren. Bis wieder Zeit für die nächste Einkehr ist.
Nachhaltige Motivation und Entwicklung für die Zukunft
Diesen Wechsels zwischen innen und außen brauchen wir in Zukunft mehr denn je. Nur so bleiben wir mental gesund, können nachhaltiger denken, handeln und erreichen ein höheres Motivationsniveau für permanente Spitzenleistungen. Nur so bleiben Unternehmen wettbewerbsfähig und nur so erreichen Menschen die nächste Ebene ihrer persönlichen Entwicklung.
Ich wünsche Ihnen, dass Sie diese Reise meisterhaft beherrschen lernen. Und wenn es gelingt, lehren Sie diese Weisheit bitte anderen. Damit die Hoffnung auf ein erfolgreiches und erfülltes Leben niemals stirbt.
Über den Kolumnisten: Boris Grundl ist Führungskräftetrainer und gilt bei Managern und Managerinnen sowie Medien als "Der Menschenentwickler" (Süddeutsche Zeitung). Er ist Inhaber des Grundl Leadership Instituts, das Unternehmen befähigt, ihrer Führungsverantwortung gerecht zu werden. Dafür erforscht, testet und lehrt das Institut hochwertige, praxisrelevante Unterscheidungen - als Voraussetzung für Wahrnehmung und Erkenntnis. Seine Kolumne erscheint in der Haufe-Zeitschrift "wirtschaft + weiterbildung".