"Ohne Fleiß kein Preis!" Bis heute sind wir tief davon überzeugt, dass Anstrengung zum Leben dazugehört. Durch diese Überzeugung wird Anstrengung zum immateriellen Statussymbol. Indem wir permanent beteuern, unter Dampf zu stehen, wünschen wir uns Anerkennung. Der Markenkern dieses Zustands ist das Empfinden von Stress. In Gesprächen wird sehr oft betont, wie strapaziös das Leben sei. Eine Krise jage die nächste. Wer sich nicht aufregt, erscheint herzlos. Das sorgt erneut für Stress. Was für ein Teufelskreis! Was tun wir uns da an? Gehen uns Dinge hingegen leicht von der Hand, kann mit uns etwas nicht stimmen.
Als Kind sagte meine Mutter: "Geh in dein Zimmer und mach deine Hausaufgaben." Als sie mich kurz darauf an meinem Schreibtisch lachen hörte, ermahnte sie mich: "Ich habe gesagt, du sollst deine Hausaufgaben machen!" Natürlich, bei Sachkunde oder ähnlichen Fächern kann es nichts zu lachen geben.
Jede Lebenslage einfach annehmen als das, was sie ist
Als Student der Sportwissenschaften habe ich eine weitere Erfahrung gemacht. Ich durfte die Vorlesungen des legendären Wildor Hollmann besuchen. Er erforschte Ausdauertraining und erklärte, dass wir für eine optimale Regeneration langsamer laufen müssten. Sein Motto: "Je frischer du dich nach dem Laufen fühlst, umso besser hast du regeneriert." Was habe ich nach diesen Vorlesungen gemacht? Ich bin in den Stadtwald gegangen und habe viel zu schnell meine Runden gedreht. Es hat ewig gedauert, bis ich das verstanden habe. Jetzt stellen Sie sich mal vor: Sie beherrschen die mentale Fähigkeit, alle Entwicklungen im Leben sofort anzuerkennen. Egal, ob gut oder schlecht. Sie nehmen sämtliche inneren Widerstände raus und erkennen die Lage an, wie sie ist. Was würde das mit Ihnen machen?
Sie würden aufhören, gegen das Leben zu kämpfen. Und vom Gedanken ablassen, dass etwas anders sein müsste. Und darum geht es: Wir müssen uns unserer Widerstände bewusst werden. Seien es moralische Vorwürfe, wie man Menschen führen müsste oder warum jemand etwas getan oder gelassen hat. Sobald wir die eigenen Blockaden erkennen, zeigen sich unsere verborgenen Beschwerden an die Realität. Je klarer wir diese sehen, desto leichter können wir sie loslassen. Warum? Weil wir im Fluss sein wollen. Das heißt nicht, dass wir uns alles gefallen lassen sollen. Es bedeutet, dass wir mit einer unglaublichen mentalen Flexibilität auf Veränderungen reagieren können. Ein anderes Wort dafür ist Resilienz.
Sie würden aufhören, gegen das Leben zu kämpfen. Und vom Gedanken ablassen, dass etwas anders sein müsste.
Wenn wir die mentale Fähigkeit erlangen, nicht darunter zu leiden, dass das Jetzt von unseren Vorstellungen abweicht – dann löst sich der ganze Ärger, der uns Tag und Nacht begleitet, in Luft auf. Stress ist schließlich nichts anderes als unser inneres Leiden zwischen Ist- und Soll-Zustand. Diese Differenz setzt uns unter Druck, weil wir verinnerlicht haben, dass nur Anstrengung zum Ziel führt. Würden wir den Status quo akzeptieren, könnten wir uns dem Leben einfach hingeben. Einfach alles geben, was wir können, und beobachten, wie weit wir kommen.
Was für eine Befreiung! Erkennen wir den neuen Zustand wieder und wieder an, haben wir es geschafft: Wir bewegen uns in der Realität und in der Machbarkeit. Und empfinden keinen Stress. Das wünsche ich Ihnen von Herzen.
Über den Kolumnisten: Boris Grundl ist Führungskräftetrainer und gilt bei Managern und Managerinnen sowie Medien als "Der Menschenentwickler" (Süddeutsche Zeitung). Er ist Inhaber des Grundl Leadership Instituts, das Unternehmen befähigt, ihrer Führungsverantwortung gerecht zu werden. Dafür erforscht, testet und lehrt das Institut hochwertige, praxisrelevante Unterscheidungen - als Voraussetzung für Wahrnehmung und Erkenntnis. Seine Kolumne erscheint in der Haufe-Zeitschrift "wirtschaft + weiterbildung".