"Wir haben eine Milliarde in Weiterbildung investiert"
Personalmagazin: Frau Albrecht, Sie sind seit knapp einem Jahr Arbeitsdirektorin bei Bosch. Wie haben Sie den Rollenwechsel aus einer Führungsposition in den Vorstand erlebt? Wie schwer war es, in die neue Rolle zu finden?
Filiz Albrecht: Das war gar nicht so schwer. Ich verstehe mich als lockere und nahbare Person und habe zu meinen Peers und meinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern einen direkten Draht. Das erleichtert vieles. Gelegentlich stelle ich fest, dass Kolleginnen und Kollegen, die mich nicht so gut kennen, erstmal Hemmungen haben, auf die Geschäftsführung offen und direkt zuzugehen. Aber sobald man ins Gespräch kommt und ich das Du anbiete, ist das Eis schnell gebrochen.
Personalmagazin: Nun sind Sie Teil einer Geschäftsführungsriege mit sieben Geschäftsführern und einer Geschäftsführerin.
Albrecht: Darauf werde ich häufig angesprochen. Für mich macht das keinen Unterschied. Ich habe viel Erfahrung mit Teams, in denen mehr männliche Kollegen arbeiten. Klar hat auch eine Geschäftsführung ihre eigene Zusammenarbeitskultur, auf die ich mich einstellen musste. Aber der Umgang war und ist kooperativ. Aus meiner Sicht ist es wichtig, offen zu sein und sich auf die Aufgaben und Gemeinsamkeiten zu konzentrieren.
Personalmagazin: Haben sich die Führungsrituale verändert, seit Sie in die Geschäftsführung berufen wurden?
Albrecht: Ich weiß ja nicht, wie es ohne mich war. Deshalb bin ich für diese Frage die falsche Ansprechpartnerin. Unsere Agenda ist so anspruchsvoll, dass wir uns auf die inhaltliche Arbeit konzentrieren – dies gelingt uns gut.
Personalmagazin: An welchen Stellen führen Sie die Arbeit Ihres Vorgängers Christoph Kübel fort und wo wollen Sie etwas verändern?
Albrecht: Zunächst bin ich dankbar, dass Christoph Kübel eine gute Basis geschaffen hat, auch bei den kulturellen Aspekten. Dass wir zu Beginn der Pandemie so schnell in der Lage waren, auf das mobile Arbeiten umzustellen, ist sein Verdienst – er hatte bereits 2014 die Betriebsvereinbarung zum mobilen Arbeiten abgeschlossen. Auf dieser bauen wir nun mit unserer in diesem Jahr gestarteten Smart-Work-Initiative auf. Wir haben global verbindliche Prinzipien erarbeitet, anhand derer Teams und Führungskräfte gemeinsam entscheiden, wie sie ihren Arbeitsalltag im Einklang mit Aufgaben und Anforderungen gestalten. So entwickeln wir die ergebnisorientierte Arbeitskultur von Bosch mit hybriden Arbeitsmodellen weiter.
In der Personalarbeit neue Wege gehen
Personalmagazin: Die Transformation beschäftigt Bosch seit Jahren, sie könnte Ihre Amtszeit prägen. Welche Strategie verfolgen Sie?
Albrecht: Der Wandel beschäftigt uns wie auch andere Unternehmen auf verschiedenen Ebenen. Wir befassen uns intensiv damit. In der Personalarbeit setzen wir zum einen auf unseren bewährten Bosch-Weg: Wir suchen gemeinsam mit den Arbeitnehmervertretern nach individuellen, sozialverträglichen Lösungen, die der Situation und den Chancen der einzelnen Standorte gerecht werden. Für einen erfolgreichen Wandel müssen wir aber auch in der Personalarbeit neue Wege gehen – etwa indem wir mittels digitaler Plattformen Mitarbeitende in neue Beschäftigung vermitteln. So werden zum Jahresende bei Bosch 1.600 Beschäftigte für den Bereich der Brennstoffzelle tätig sein, davon kommen gut 90 Prozent aus dem Verbrennergeschäft.
Personalmagazin: Die Automobilsparte ist derzeit der größte Geschäftsbereich bei Bosch. Wird sie das auch künftig bleiben?
Albrecht: Der Bereich Mobility Solutions bleibt für Bosch auch in Zukunft wichtig. Allerdings wird der Umstieg vom Verbrenner zum Elektroantrieb dazu führen, dass wir im Antriebsbereich künftig weniger Menschen beschäftigen als heute. Fertigungstiefe und -volumen werden stark zurückgehen. Wenn wir bei Bosch für ein Dieseleinspritzsystem zehn Mitarbeiter beschäftigen, sind es bei einem Benzinsystem drei und bei einem Elektrofahrzeug nur noch einer. Gleichzeitig forcieren wir die Elektromobilität und schaffen so in Feldern wie Software und Elektronik neue Beschäftigung. Mit unseren 34.000 Softwareentwicklern haben wir auch in IT und Services bereits ein starkes Standbein. Insgesamt sind wir mit unserem breiten Portfolio, das von Konsumgütern bis Industrietechnik reicht, gut für die Zukunft aufgestellt.
Personalmagazin: In welchem Zeitraum werden Sie in der Automobilsparte Personal abbauen?
Albrecht: Das ist ein laufender Prozess, für den wir vor allem Zeit brauchen. Je mehr Zeit wir haben, desto leichter ist eine sozialverträgliche Gestaltung – wir können dann auch von der demografischen Entwicklung profitieren. Und wir können diese Zeit nutzen, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für neue Jobs in Wachstumsbereichen auszubilden. Je schneller der Verbrenner sein Ende nimmt, desto schwieriger ist es für uns, das sozialverträglich zu gestalten.
Personalmagazin: In der Softwareentwicklung sind Google, Apple und Co. führend. Finden Sie da die nötigen IT-Fachkräfte, um den Anschluss nicht zu verpassen?
Albrecht: Als innovatives Technologieunternehmen verfügen wir über eine hohe Arbeitgeberattraktivität und haben keine Schwierigkeiten, die richtigen Fachkräfte für uns zu gewinnen. Auch wenn es regional mal Engpässe geben kann, haben wir hohe Bewerberzahlen und qualifizierte Kandidatinnen und Kandidaten. Unsere werteorientierte Arbeitskultur, unsere Produkte und Services und die Möglichkeit, Technik fürs Leben zu gestalten, ziehen die Menschen an.
Diversity Management: Kompetenz und Erfahrung sind entscheidend
Personalmagazin: Die Mehrzahl der Absolventen im Software- und IT-Bereich ist noch immer männlich. Das macht es Unternehmen schwer, sich diverser aufzustellen. Arbeiten Sie im Recruiting mit Zielvorgaben?
Albrecht: Vielfalt ist ein Vorteil – und wir treiben diese im Unternehmen mit einem starken Diversity Management voran. Zugleich müssen auch wir uns nach dem Markt richten. Entscheidend sind Kompetenz und Erfahrung, unabhängig von Geschlecht oder anderen persönlichen Merkmalen. Wir benötigen Expertinnen und Experten, um unsere Entwicklungen in der künstliche Intelligenz oder dem Internet of Things voranzutreiben. Wir können nicht sagen: Oje, der am besten geeignete Kandidat hat nicht das richtige Geschlecht, wir suchen noch ein paar Monate, bis wir die passende Person finden. Das kann sich im Wettbewerb kein Unternehmen leisten.
Personalmagazin: Bei Personalabbau profitieren Sie im Falle einer langsam verlaufenden Transformation von den demografischen Effekten. Sollte dieser Plan nicht aufgehen, lautet die Alternative Qualifizierung. Wie viele Beschäftigte können Sie auf diese Weise mitnehmen?
Albrecht: Qualifizierung ist für uns von entscheidender Bedeutung. Um ein Beispiel zu nennen: Bisher haben wir über 400 Mitarbeiter, die im Bereich des klassischen Antriebs als Ingenieur oder Fachkraft beschäftigt waren, zu Experten für Elektro-, Wasserstoff- oder Softwaretechnologie umgeschult. In diesem Kontext haben wir auch den IHK-zertifizierten Ausbildungsberuf Elektrofachkraft ins Leben gerufen. 2021 sind bereits 20 Mitarbeitende in diese Ausbildung gestartet – weitere werden folgen.
Qualifizierung und Weiterbildung zielgerichtet angehen
Personalmagazin: Wie groß ist die Bereitschaft unter Ihren Beschäftigten sich weiter zu qualifizieren?
Albrecht: Ich erlebe viele motivierte Mitarbeitende, die diesen Weg mit uns gehen wollen. Entsprechend haben wir verschiedene Projekte zur Transferqualifizierung aufgesetzt. Seit 2016 bieten wir mit der Initiative der Bosch Learning Company ein umfassendes, modernes Aus- und Weiterbildungsprogramm, um eigenverantwortliches und informelles Lernen im beruflichen Alltag zu verankern und unternehmerisches Denken und Handeln der Mitarbeiter zu fördern. In den vergangenen fünf Jahren haben wir über eine Milliarde Euro in die Weiterbildung unserer Beschäftigten investiert. Seit nahezu zwei Jahren läuft unsere große KI-Qualifizierungsinitiative für über 30.000 Mitarbeitende.
Personalmagazin: Steuern Sie die Weiterbildung zentral oder auf der Ebene der Geschäftsbereiche?
Albrecht: Sowohl als auch. Bei der Größe und Vielfalt unseres Unternehmens kann nicht alles über die Zentrale laufen. Die Geschäftsbereiche agieren deshalb auch in eigener Initiative. Vor einiger Zeit haben wir außerdem damit begonnen, systematisch zu prüfen, welche Kompetenzen wir insbesondere in den Fertigungsbereichen in Zukunft benötigen, um die Qualifizierung dort zielgerichteter angehen zu können. So haben wir vergangenes Jahr über 700 verschiedene Qualifikationsmaßnahmen für den Shopfloor angeboten – für Fachkräfte wie auch An- und Ungelernte.
Initiative "Allianz der Chancen" für nachhaltige Beschäftigungsperspektiven
Personalmagazin: Andere Automobilzulieferer wie beispielsweise Continental stehen vor einem ähnlichen Problem und setzen auf IHK-Zertifikate, um Mitarbeitenden, denen sie in Zukunft möglicherweise keine Beschäftigung mehr anbieten können, für andere Jobs zu qualifizieren.
Albrecht: Die Ausbildung zur Elektrofachkraft zeigt, dass wir auch bei Bosch IHK-zertifizierte Weiterbildungen einsetzen. Ich bin zugleich der festen Überzeugung, dass wir den Wandel in der Automobilindustrie, der Arbeitswelt und auch bei Bosch nicht allein mit interner Vermittlung und Qualifizierung schaffen werden. Deshalb haben wir mit 25 weiteren deutschen Unternehmen die Initiative "Allianz der Chancen" ins Leben gerufen. Gemeinsam möchten wir unseren Beschäftigten branchenübergreifend wirtschaftliche und sozial nachhaltige Beschäftigungsperspektiven eröffnen. Die Idee der Initiative ist, eine Arbeitsmarkt-Drehscheibe aufzubauen, an der sich verschiedene Stakeholder beteiligen, um Menschen von Arbeit in Arbeit zu bringen – sowohl innerhalb der Allianz als auch darüber hinaus.
Personalmagazin: Wie profitieren Sie von der Allianz?
Albrecht: Die Allianz steht noch am Anfang, aber wir haben gute Erfahrungen gemacht, auf denen wir aufbauen können. In einem Pilotprojekt mit Südwest Metall, der Agentur für Arbeit und verschiedenen Unternehmen aus der Region ist es uns etwa gelungen, Menschen mit und ohne Zusatzqualifikation von Bosch in andere Unternehmen zu vermitteln. Natürlich bedeutet das einen Mehraufwand. Aber unsere Verantwortung als Arbeitgeber endet nicht vor den Toren der Werke. Das ist meine feste Überzeugung. Wenn wir in einer Allianz gemeinsam unsere Kräfte bündeln, haben wir eine größere Chance, einen zugleich sozialverträglichen, ökologischen und ökonomischen Wandel in Deutschland hinzubekommen.
Personalmagazin: Im Fokus der meisten Personalbereiche stehen die Wissensarbeiter. Welche Rolle spielen die Ungelernten in der Transformation bei Bosch?
Albrecht: Wir wollen mit unseren Qualifizierungsmaßnahmen all unsere Beschäftigten erreichen, auch die Ungelernten. Es geht darum, eine aktiv gelebte, zukunftsgerichtete Lernkultur zu etablieren – auch im Shopfloor. Dies setzt voraus, dass die Betroffenen diesen Weg mit uns gehen wollen. Wir wollen dies künftig noch stärker fördern und unterstützen. Ziel ist, dass immer mehr Beschäftigte den Zugang zum Lernen finden und unsere Angebote annehmen.
Personalmagazin: Ob die Mehrheit der Ungelernten diese Angebote annimmt, darf bezweifelt werden. Qualifizierungsprojekte aus anderen Unternehmen zeigen, dass die Bereitschaft, sich qualifizieren zu lassen, nur bei etwa bei einem Viertel der Ungelernten vorhanden ist.
Albrecht: Unsere Vermittlungsarbeit geht dennoch weiter. Wir haben 2020 eine Konzernbetriebsvereinbarung geschlossen, um die digitale Qualifizierung im direkten Bereich zu stärken. Im Kern schaffen wir Lernräume und stellen Lernbegleiter und Tools bereit, die den Zugang zu Qualifizierung erleichtern. Die Sozialpartner ziehen da an einem Strang.
HR als starker Partner im Wandel
Personalmagazin: Welchen Beitrag können Sie als Personalgeschäftsführerin leisten, damit Bosch die Transformation gelingt?
Albrecht: Ich modernisiere die Personalarbeit weiter. Unsere HR-Businesspartner sind Coachs und Wegweiser im Wandel. Es geht darum, neue Wege und Entwicklungsmöglichkeiten aufzuzeigen, sowohl fachlich als auch kulturell. Meine HR-Community lebt die Führungs- und Zusammenarbeitskultur von Bosch vor und entwickelt Formate, um zum Beispiel Feedback in der Führungskultur besser zu ermöglichen, und digitale Tools wie die erwähnten Vermittlungsplattformen. Auch unser Betriebsrat wünscht sich HR im Wandel als starken Partner an seiner Seite.
Personalmagazin: Walter Jochmann, einer der "40 führenden HR-Köpfe", hat kürzlich das Business-Partner-Modell von Dave Ulrich für überholt erklärt und seine Idee einer „People Company“ als nächste Entwicklungsstufe vorgestellt. So könne der Personalbereich seinen Wertbeitrag im Unternehmen sichtbarer machen und einfacher bemessen. Was halten Sie davon?
Filiz Albrecht: Ich beobachte diese Diskussionen genau. Entscheidend ist aber der Inhalt – hier sind wir bei Bosch gut aufgestellt. Nach meiner Überzeugung geht es darum, kompetente Kolleginnen und Kollegen im HR-Bereich zu haben, die das Geschäft verstehen und Lust an der Mitgestaltung haben, statt nur zu verwalten. HR ist heute der Partner, der Veränderungsmanager, der Organisationsentwickler. Ich sehe da eine Chance für HR im Wandel, sich zunehmend von der prozessgetriebenen Personalarbeit zu lösen und einen Beitrag von strategischer Bedeutung zum Unternehmenserfolg zu leisten.
Verantwortung und Nachhaltigkeit als Teil des Wertekanons
Personalmagazin: Sie verantworten neben Personal auch das Ressort Nachhaltigkeit. Bosch hat ambitionierte Ziele formuliert und bereits 2020 erklärt, klimaneutral zu sein – allerdings auch durch den Zukauf von Emissionszertifikaten. Welche Hebel sehen Sie in HR für ein nachhaltigeres Unternehmen?
Albrecht: Kompensationsmaßnahmen sind ein kurzfristiger Brückenhebel. Überall dort, wo wir den CO2-Ausstoß vermeiden können, setzen wir dies konsequent um. Im Vergleich zu 2018 konnten wir 2020 bereits 2,3 Millionen Tonnen CO2 einsparen. Unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben die CO2-Neutralstellung von Beginn an stark unterstützt. Und Verantwortung und Nachhaltigkeit sind seit jeher Teil unseres Wertekanons. Aus Sicht von HR geht es darum, dieses Mindset bei unseren Mitarbeitenden weiter zu verankern. Auch unser innovatives Fuhrparkmanagement für den effizienten Einsatz von Hybrid- und E-Autos und mit Möglichkeiten, E-Bikes zu leasen oder mit Bussen zu pendeln, orientiert sich an unseren Nachhaltigkeitszielen.
Personalmagazin: Fahren Sie persönlich auch elektrisch?
Albrecht: Ich habe ein E-Auto, fahre aber auch hybrid und mein Mann hat noch einen Diesel. Je nachdem, wohin wir unterwegs sind und wie viel Zeit wir haben, entscheiden wir, welches Auto wir nehmen. Für Kurzstrecken nehme ich immer mein Elektroauto.
Dieses Interview erschien zuvor in Personalmagazin Ausgabe 12/2021. Lesen Sie das gesamte Heft auch in der Personalmagazin-App.
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