Es ist zum Mäusemelken. Teilnehmende verlassen hochmotiviert und mit guten Vorsätzen eine Schulung, bis sie auf ihre Kolleginnen und Kollegen treffen: "Ah, du warst beim Lächelseminar", kommt es dann abfällig, wenn jemand eine Schulung zum kundenorientierten Telefonieren mitgemacht hat. Aber auch klare Ansagen wie "Was du da gelernt hast, kannst du vergessen. Das machen wir hier ganz anders." Der Docht der Euphorie verglimmt schließlich gänzlich, wenn es heißt: "Ah, du warst beim Seminar. Na, du wirst auch wieder normal."
Es sind Sätze wie diese, die die Umsetzungsmotivation killen und dem Lerntransfer den Garaus machen. Es reichen aber auch körpersprachliche Regungen, wie die Augen zu verdrehen. Die Botschaft ist klar: Umsetzung ist nicht gewünscht. Denn wer Dinge plötzlich anders macht, stört die Kreise derer, die lieber in gewohnten Bahnen bleiben.
Lerntransferforschung: Die Raketenstufen der Abwehr
Die Lerntransferforschung beschreibt diesen Einfluss des Arbeitsumfelds als Transferklima. Die vorherrschenden Werte und Verhaltensnormen in einem Team können förderlich, aber auch hemmend sein. Solche Normen sind sehr stark, wie die Sozialpsychologie lehrt. Denn wenn wir von den Normen abweichen, gibt es Gegenwind. Und da können unsere Mitmenschen grausam sein, wenn wir uns verändern wollen. Das hat auch der Psychiatrie-Professor Murray Bowen festgestellt und verschiedene Stufen und Spielarten der Abwehr herausgearbeitet.
Die erste von drei Abwehrstufen beginnt mit der Botschaft "Du bist im Irrtum". Es werden unzählige Gründe angeführt, die das beweisen. Wenn das nicht hilft, wird quasi wie bei einer Rakete die zweite Stufe gezündet: "Sei, wie du vorher warst, und wir werden dich wieder akzeptieren." Zu diesem Stadium gehört auch Beziehungskälte. Wir fühlen eine Wand zwischen uns und den anderen. Schließlich folgt die dritte Stufe, die eine beängstigende Drohkulisse aufbaut: "Wenn du nicht zu deinem früheren Verhalten zurückkehrst, ziehen wir folgende Konsequenzen..." Diese werden dann aufgelistet.
Typischerweise reagieren Menschen mit Konformität und Gehorsam. Sie hören auf, sich anders zu verhalten. Gerade Menschen, denen harmonische zwischenmenschliche Beziehungen sehr wichtig sind – die also ein ausgeprägtes Anschlussmotiv haben – kippen beim ersten Windhauch des Widerstands um. Die Sorge ist groß, von den Mitmenschen zurückgewiesen oder gar ausgeschlossen zu werden. Lieber lassen sie alles beim Alten und opfern ihre Vorsätze, als in den Konflikt zu kommen.
Positives Transferklima fördern
Verschiedenste Studien zeigen, wie die Unterstützung durch Kolleginnen und Kollegen signifikant mit Lerntransfer zusammenhängt. In dem Feld hat sich in den vergangenen 30 Jahren wenig an neuer Erkenntnis ergeben. Die Befunde sind klar: Förderlich ist zunächst einmal eine generelle Offenheit des Kollegenkreises in Bezug auf neue Impulse und damit verbundene Veränderungen. Schulungsteilnehmende setzen das Gelernte besser um, wenn deren Kolleginnen und Kollegen sie aktiv unterstützen. Sei es, dass sie die Lernenden ermutigen, die Inhalte anzuwenden, ihnen konstruktives Feedback geben oder Freiräume ermöglichen, um neue Skills zu üben.
Ein solch positives Transferklima entsteht zum einen durch die Menschen in einem Team. Wenn hier starke Persönlichkeiten den richtigen Ton angeben, folgen andere ihrem Vorbild. Aber auch die Vorgesetzten spielen hier eine wichtige Rolle. Wenn sie Schulungsteilnehmende über ihre Erkenntnisse im Team berichten lassen, signalisieren sie damit, dass es gewünscht ist, voneinander und miteinander im Team zu lernen.
Teilnehmende für Gegenwind stärken
Da nun nicht in jedem Kollegenkreis mit einem positivem Transferklima zu rechnen ist, bleibt nur eines, was L&D Professionals und Trainer tun können. Sie stärken Teilnehmende in einer Schulung, damit diese nicht beim ersten Gegenwind einknicken. Hier sind die wichtigsten Handlungsstrategien und damit verbundene Leitfragen:
Auf mögliche Abwehrmuster gedanklich und emotional vorbereiten:
- Wie schätzt ein Teilnehmender das Transferklima ein? Was sind die Anzeichen im Arbeitsalltag, die ihn oder sie schnell den Mut verlieren lassen, Dinge anders zu machen?
- Was will ein Teilnehmender umsetzen und inwiefern betrifft dies die Kolleginnen und Kollegen? Wie werden sie darauf reagieren und warum? Welche Abwehrmuster sind zu erwarten? Von wem? Was könnte die Motivation dahinter sein? Was könnte helfen, die Vorsätze umzusetzen? Wo sind Gleichgesinnte bzw. Kolleginnen und Kollegen, die emotional stärken und aktiv Beistand geben?
Kollegen und Kolleginnen ins Boot holen:
- Wie kann der Teilnehmende positive Beziehungsbotschaften senden und zum Ausdruck bringen, dass sich seine oder ihre Veränderung nicht persönlich gegen die Kolleginnen und Kollegen richtet?
- Wie können die Kolleginnen und Kollegen gut die Hintergründe verstehen, wieso der Lernende nun Dinge anders machen will? Welchen Nutzen haben sie möglicherweise davon?
Wenn es keine Akzeptanz gibt: Selbstimmunisierung
- Was muss sich ein Teilnehmender vor Augen halten, um trotz allem voll überzeugt und unerschütterlich seine oder ihre Lernerkenntnisse umzusetzen? Oft ist es auch nützlich sich klarzumachen, dass nach einem ersten Aufruhr recht bald die Aufregung abschwillt.
Prof. Dr. Axel Koch ist promovierter Diplom-Psychologe und arbeitet als Professor für Training und Coaching an der Hochschule für angewandtes Management in Ismaning (bei München). In seiner Forschung befasst sich Koch mit dem Thema Lerntransfer und nachhaltige Veränderung. Er hat über 25 Jahre Erfahrung als Personalentwickler, Trainer und Coach. Er steckt hinter dem Pseudonym "Richard Gris", unter dessen Namen 2008 das Buch "Die Weiterbildungslüge" erschien.