Personalvorstand Karlheinz Blessing: Ruhe bei VW reinbringen
Reden ist Silber, Schweigen ist Gold. Diese Volksweisheit hatte sich Horst Neumann zu eigen gemacht. Jedenfalls äußert sich der Spitzenmanager, der bis zum 30. November als Personalvorstand und Arbeitsdirektor die weltweite Personalarbeit mitsamt der Tarif- und Beschäftigungspolitik lenkte, nicht zu Dieselgate und seiner Personalverantwortung.
Mag sein, dass ihn die Juristen bremsen. Immerhin gehörte der 66-Jährige auch dem Markenvorstand von VW an, der angeblich schon 2014 über die Abgasprobleme in den USA informiert war. Mag aber auch sein, dass der Korpsgeist ihn zum Schweigen bringt. Selbst zu seinen ureigenen Themen, den Personalinstrumenten und dem Einfluss der Personalarbeit auf Compliance, Führungs- und Firmenkultur, mochte sich Neumann bisher nicht äußern.
Verhagelter Abgang von Neumann
Der Skandal hat dem VW-Mann seinen Abgang gehörig verhagelt. Auch weil der Spiegel ihm die 23 Millionen Euro vor hielt, die seine Pension Wert ist. Zwar hat der VW-Vorstand schon vor dieser Veröffentlichung, so die Frankfurter Allgemeine Zeitung, in Niedersachsen die Anerkennung der gemeinnützigen Stiftung „Institut für die Geschichte und Zukunft der Arbeit“ beantragt, aber selbst die avisierten zwei Millionen Startkapital für die Stiftung konnten den Abschied Neumanns nicht wirklich zu einem fröhlichen Fest und verdienten Schritt in den Ruhestand machen. Zumal es VW nicht gelungen war, einen nahtlosen Übergang für das Personalressort zu organisieren.
Blessing erst im zweiten Anlauf
Erst im zweiten Anlauf hat Karlheinz Blessing jetzt zugesagt, die Verantwortung für die Personalarbeit des Autokonzerns mit weltweit fast 600.000 Mitarbeitern zu übernehmen. Im vergangenen Jahr wollte der Vorsitzende des Vorstandes der Dillinger Hütte und der Dillinger Hütte Saarstahl sowie der Saarstahl AG nicht wechseln.
Er war noch mit dem Restrukturierungsprogramm beschäftigt, das zum einen rund 5.000 Mitarbeiter den Arbeitsplatz kostete, und zum anderen auf Effizienzsteigerung setzte: mit dem Bau einer modernen Gießanlage, die 2016 anlaufen soll. Jetzt also sieht er die Zeit für den Wechsel vom Stahl zum Auto für gekommen oder wollte sich dem Drängen der IG Metall nicht entziehen, weil andere Kandidaten nicht harmonierten: Wie etwa Joachim Sauer, der dem Personalthema und dem BPM-Präsidium mit seinem neuen Job als DIN-Chef seit dem Sommer den Rücken kehrt – und natürlich passt es gut, dass der 58-Jährige Blessing längst einen Porsche fährt und das gerne schnell.
Karlheinz Blessing gilt als jemand, der um Ausgleich der Interessen bemüht ist. Es wird ihn also nicht schrecken, dass der Betriebsratschef selbst als Arbeitsdirektor gehandelt wurde. Bernd Osterloh war aber wegen seiner Mitverantwortung im Aufsichtsrat und als Co-Manager sowie als langjähriger Gefährte von Martin Winterkorn nicht mehr vermittelbar. Das erkannte er selbst und sagte, er wolle jetzt auf Seiten der Arbeiter stehen. Am Kurs des Co-Managements hält der Arbeiterführer aber fest und betonte, dass Wirtschaftlichkeit und Beschäftigungssicherheit bei VW gleichrangige Unternehmensziele sind – was im neuen Jahr zumindest für die Arbeitnehmer mit Zeitverträgen in Frage gestellt ist.
Nähe und Abstand zu den Gewerkschaften
Ganz ruhig werde Blessing das Thema angehen, sagen langjährige Kollegen des Mannes, der seine Berufskarriere nach der Promotion im Büro von IG-Metall-Chef Franz Steinkühler als Volkswirt begann. Steinkühler soll damals optimistisch prognostiziert haben, dem Akademiker könne man das Gewerkschafts-Know-how schon beibringen. Die berufliche Entwicklung gibt ihm Recht. Die Auseinandersetzung um die 35-Stunden-Woche stählte den Jung-Metaller Mitte der 1980er Jahre – brachte ihm aber auch nahe, dass Verhandlungen und nicht Krawalle zu Ergebnissen führen.
Tastatur der Mitbestimmung
1991 wurde Karlheinz Blessing Geschäftsführer der SPD, in der er bereits seit seiner Jugend Mitglied war. Doch mit dem Fall des designierten Kanzlerkandidaten Björn Engholm verabschiedete sich auch Blessing von der parteipolitischen Karriere. Der Volkswirt ging 1994 als Arbeitsdirektor in die Stahlwirtschaft mit ihrer Montanmitbestimmung – einem weitreichenden Mitbestimmungsrecht für Arbeitnehmer.
Und auch da ist zumindest strukturell eine Nähe zu VW zu entdecken. Es wäre fatal, jetzt in der Krise jemanden zu benennen, der die Mitbestimmungsklaviatur nicht spielen kann oder sogar die Tasten auf den Müll werfen möchte. Die Stammbelegschaft verhält sich – wie schon beim Hartz-Skandal – relativ gelassen, sie zu provozieren, würde neben dem Verhandlungsmarathon mit den Behörden eine unnötige Front eröffnen.
Karlheinz Blessing ist auf dem Gewerkschaftsticket zum Personal- und Organisationsvorstand gewählt worden. Wie vor ihm Horst Neumann und Peter Hartz, der seine erfolgreichen Ideen zur Arbeitszeit und Beschäftigung bei VW durch seine Eskapaden torpedierte und dem Blessing schon in der Dillinger Hütte als Arbeitsdirektor gefolgt war. Gewerkschafter als Arbeitsdirektoren bei VW sind ein sehr eigenes Thema, auch wenn der Konzern sich in den Management- und Personalinstrumenten heute kaum von anderen Großunternehmen unterscheidet. Da lohnt bei der Erklärungssuche ein Blick in die VW-Unternehmensgeschichte. Zum Beispiel, wenn der Großaktionär Katar oder manche Zeitungen sich über den Einfluss der IG Metall wundern.
Gründungskapital von VW kommt von Gewerkschaften
Die Gewerkschaften haben das Vorschlagsrecht für den Personalvorstand als Kompensation für die Gründungsgeschichte des Konzerns. Das Gründungskapital kam 1934 nämlich aus dem Gewerkschaftsvermögen, das die Nationalsozialisten 1933 beschlagnahmt hatten. Der Zweite Weltkrieg stoppte die Volkswagen-Produktion. 1949 schließlich übergab die britische Militärregierung dem Land Niedersachsen das Autowerk, in dem der Käfer gebaut wurde, mit der Auflage die Gewerkschaften stark zu beteiligen. Da wirkt es logisch, dass die Arbeitsdirektoren einen engen Kontakt zu der Gewerkschaft halten, die die Beschäftigten mit einem Organisationsgrad von über 90 Prozent vertritt.
Und es ist schlüssig, dass Karlheinz Blessing selbst noch als CEO die Hans-Böckler-Stiftung als Vorstandsmitglied unterstützte, die Betriebs- und Aufsichtsräte aus Arbeitnehmerreihen mit Studien und Seminaren begleiten und qualifizieren. So hielt er im Sommer 2014 eine Rede zum Abschied von DGB-Chef Michael Sommer, in der er eines seiner Lieblingsthemen unterbrachte: die Fabrik 4.0. Moderne trifft Tradition. Vielleicht hilft der Überblick bei der Überwindung der Dieselgate-Krise. Karlheinz Blessing würde punkten, wenn er als Personalvorstand bei VW die Digitalisierung vorantreibt, die Mauer des Schweigens aufbricht und mehr Offenheit und Kommunikation schafft. Innerhalb des Konzerns warten viele darauf, gerade auch in HR.
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