Bundestag hat Neuregelung zur Sterbehilfe beschlossen
Im Bundestag wurde das Gesetz zur Sterbehilfe strittiger diskutiert als in der Bevölkerung. Während nach verschiedenen Umfragen in der Bevölkerung eine Mehrheit sich für die grundsätzliche Möglichkeit der durch ärztlich assistierte Hilfe oder auch durch Sterbehilfevereine unterstützte Selbsttötung ausspricht, wurden im Bundestag insgesamt fünf verschiedene Vorschläge zur Neuregelung der Sterbehilfe streitig debattiert und standen schließlich zur Abstimmung.
Die Vorschläge im einzelnen:
1. Verbot der geschäftsmäßigen Suizidbeihilfe
Dieser Gesetzentwurf wurde maßgeblich von dem CDU-Politiker Michael Brand, der SPD Politikerin Kerstin Griese, dem Grünen Politiker Harald Terpe sowie der Politikerin der Linken Kathrin Vogler vertreten.
Nach diesem Vorschlag wird mit Geldstrafe oder mit einer Haftstrafe von bis zu drei Jahren bestraft, wer „in der Absicht, die Selbsttötung eines anderen zu fördern, diesem hierzu geschäftsmäßig die Gelegenheit gewährt, verschafft oder vermittelt“.
2. Erlaubte, auch wiederholte Beihilfe zum Suizid durch Ärzte
Die Abgeordnetengruppe um den Gesundheitsexperten der SPD Karl Lauterbach sowie den Theologen Peter Hintze (CDU) betonte das Selbstbestimmungsrecht des Patienten und beabsichtigte mit ihrem Entwurf, die Rechtssicherheit für Ärzte deutlich zu verbessern.
Diese Abgeordneten haben dafür geworben, jegliche Entscheidungshürden für Ärzte zu vermeiden, Beihilfe zum Suizid zu leisten. Standesrechtlich ist in manchen Bundesländern Ärzten die Beihilfe zum Suizid untersagt. Der von dieser Gruppe eingebrachte Gesetzentwurf wollte dies ändern und Ärzte vor Sanktionen schützen,
- wenn ein Patient an einer Krankheit erkrankt ist, die unumkehrbar zum Tod führt,
- der Patient den Suizid wünscht und
- voll einsichts- und entscheidungsfähig ist.
In diesem Fall sollte die Suizidbeihilfe grundsätzlich straffrei bleiben. Gewerbsmäßig arbeitende Sterbehilfevereine sollten aber auch nach diesem Vorschlag nicht erlaubt sein.
3. Beihilfe zum Suizid durch Sterbehilfevereine
Eine Gruppe von Abgeordneten um die Grünen-Politikerin Renate Künast ging einen Schritt weiter.
Sie wollte eine Strafbarkeit nur für die Art von Sterbehilfe einführen, die auf Gewinnorientierung ausgerichtet ist. Ärzte und Sterbehilfevereine hätten nach dieser Variante nach ausführlichen Beratungsgesprächen und einer Dokumentation des Verlaufs dieser Gespräche Beihilfe zum Suizid leisten dürfen.
4. Absolutes Verbot der Sterbehilfe
Eine weitere Gruppe um den CDU-Abgeordneten Patrick Sensburg wollte die Hilfe zur Selbsttötung komplett verbieten und grundsätzlich unter Strafe stellen.
Nach Auffassung dieser Abgeordneten kann die unantastbare Menschenwürde nur dann voll gewahrt werden, wenn der Gesetzgeber eine klare Werteentscheidung für das Recht auf Leben trifft.
5. Keine neue gesetzliche Regelung
Eine weitere Gruppe schließlich war der Auffassung, dass ein gesetzlicher Regelungsbedarf nicht besteht und die jetzige Rechtslage ohne Änderung beibehalten werden soll. So warnte die SPD Politikerin Brigitte Zypries ausdrücklich vor einer Gesetzesänderung, die mehr Probleme bringe als löse.
Nach ihrer Auffassung sind die meisten Vorschläge verfassungsrechtlich bedenklich und würden verfassungsrechtliche Streitigkeiten nach sich ziehen, die zumindest während deren Dauer die rechtliche Unsicherheit für die Beteiligten nur vergrößern würde.
Beispiellos engagierte Debatte der Abgeordneten
Die Diskussion um die Gesetzentwürfe wurde mit großer Schärfe und mit hohem Engagement geführt. Bereits in der Debatte der Gesetzentwürfe im Juli sahen viele eine Sternstunde des Bundestages. Die Ernsthaftigkeit und die Tiefe der Diskussionsbeiträge war beispiellos. Die Debatte war ungewöhnlich emotional und von vielen persönlichen Beispielen aus dem Leben und dem persönlichen Umfeld der Abgeordneten geprägt.
Abstimmung ohne Fraktionszwang
Die Abstimmung verlief offen und ohne Fraktionszwang. Zunächst wurde über alle fünf Gesetzentwürfe abgestimmt. In einer zweiten Runde war dann nur noch über die beiden Gesetzentwürfe mit den meisten Stimmen zu entscheiden. Schließlich musste der Entwurf mit den meisten Stimmen in eine dritte Abstimmung. Von den 602 abgegebenen Stimmen des Bundestags votierten 360 für den Entwurf Brand/Griese (Verbot der geschäftsmäßigen Beihilfe zum Suizid). 233 Abgeordnete stimmten mit Nein, neun Abgeordnete enthielten sich.
Wesentlicher Inhalt der beschlossenen Regelung
- Nach dem beschlossenen Gesetzentwurf steht nicht nur der gewinnorientierte sondern jeder geschäftsmäßig assistierte Suizid unter Strafe.
- Sterbehilfevereine sind damit endgültig nicht erlaubt.
- Angehörige und besonders nahestehende Person werden für eine Suizidbeihilfe nicht bestraft.
- Ärzte sollen regelmäßig straffrei bleiben. Unklar ist die Bewertung wiederholter Suizidbeihilfe durch Ärzte.
Die Kirchen sind zufrieden
Die evangelische Kirche zeigte sich mit dem Ergebnis d`accord.
- Die Kirchenvertreter betonten, der Gesetzgeber habe eine Regelung geschaffen, nach der der Suizid nicht zur gesellschaftlichen Gewohnheit werden könne.
- Entscheidend an dem beschlossenen Entwurf sei, dass die Gesellschaft den Suizid nicht als eine normale Option in gesundheitlich schwierigen Lebenslagen betrachten dürfe.
Durch die vom Parlament gefundene Regelung habe der Gesetzgeber dennoch für Ärzte und Patienten gewisse Entscheidungsspielräume geschaffen, mit deren Hilfe der Arzt besonders gestalteten Einzelfällen auch unter dem Gesichtspunkt der Barmherzigkeit gerecht werden könne. Ähnlich hat sich auch der Kardinal und Erzbischof von München Freising Reinhard Marx geäußert.
Die Bundesärztekammer betont den hippokratischen Eid
Die organisierte Ärzteschaft begrüßt den verabschiedeten Entwurf. Der Präsident der Bundesärztekammer Frank Ulrich Montgomery, der grundsätzlich die ärztliche Assistenz beim Suizid als absurde und groteske ärztliche Dienstleistung betrachtet, sieht in dem Entwurf die Anforderungen des hippokratischen Eides gewahrt.
Ohne das BVerfG wird es mal wieder nicht gehen
Den Meinungsstand in der Bevölkerung dürfte die Entscheidung der Abgeordneten nicht ganz widerspiegeln. Das Meinungsbild tendiert dort zu einer eher liberaleren Haltung, die das Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen über seinen Tod stärker betont. Die grundsätzliche verfassungsrechtliche Frage dürfte denn auch sein, ob der Staat in die Entscheidungsfreiheit eines Menschen am Ende seines Lebens in dieser Form eingreifen darf. Die Sterbehilfevereine bezweifeln dies, was aber auch nicht wirklich überrascht.
Verfassungsbeschwerde schon geplant
Der Verein „Sterbehilfe Deutschland“ hat bereits angekündigt, Verfassungsbeschwerde gegen das neue Gesetz einzulegen.
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