Erblasser kann Besuche der Enkel nicht per Testament erzwingen
Diese erbrechtliche Konstruktion der Familienzusammenführung hat das OLG Frankfurt in folgendem Fall ausgeschlossen: Ein Erblasser legte zu Lebzeiten Wert darauf, von seinen Enkeln regelmäßig besucht zu werden. In einem handschriftlichen Testament
- setzte er seine Ehefrau
- sowie einen Sohn aus erster Ehe zu jeweils 25 % als Erben ein.
- Den weiteren Nachlass vermachte er den beiden Kindern eines anderen Sohnes, seinen Enkeln, zu gleichen Teilen
und verfügte ergänzend:
„...aber nur dann, wenn sie mich regelmäßig d.h. mindestens sechsmal im Jahr besuchen. Sollte das nicht der Fall sein.... werden die 50 % zwischen meiner Frau... und meinem Sohn... aufgeteilt“.
Nachlassgericht berücksichtigt Enkel im Erbschein nicht
Die testamentarische Verfügung war den Familienangehörigen bereits zu Lebzeiten des Erblassers bekannt. Dennoch erfüllten die damals minderjährigen und in einer anderen Stadt lebenden Enkel die testamentarische Besuchspflicht nicht.
Nach dem Tod des Erblassers erließ das Nachlassgericht auf Antrag der Ehefrau des Erblassers und seines Sohnes einen Erbschein, der beide als hälftige Miterben auswies und die Enkel nicht berücksichtigte. Hiergegen legte einer der beiden Enkel Beschwerde ein und hatten vor dem OLG Erfolg.
Testierfreiheit besitzt Verfassungsrang
Das OLG betonte in seiner Entscheidung zunächst den Verfassungsrang der von der Rechtsordnung gemäß § 1937 BGB geschützten Testierfreiheit.
- Jeder Erblasser dürfe die Erbfolge nach seinen eigenen Vorstellungen weitgehend frei gestalten.
- Dies sei Ausfluss der Privatautonomie und verfassungsrechtlich durch Art. 14 Abs. 1 GG garantiert.
- Eine Grenze sei jedoch dort zu ziehen, wo die konkrete rechtliche Ausgestaltung eines Testaments gegen die guten Sitten verstoße.
In einem solchen Fall könne eine testamentarische Verfügung gemäß § 138 BGB nichtig sein.
Sittenwidrigkeit eines Testaments nur in außergewöhnlichen Ausnahmefällen
Im Hinblick auf den Verfassungsrang der Testierfreiheit könne die Sittenwidrigkeit einer testamentarischen Verfügung nur in besonders schwerwiegenden Ausnahmefällen angenommen werden. Die Grenze sei dann überschritten,
- „wenn die von dem Erblasser erhobene Bedingung unter Berücksichtigung der höchstpersönlichen und wirtschaftlichen Umstände
- die Entschließungsfreiheit der bedingten Zuwendungsempfänger unzumutbar unter Druck setzt
- und durch das Inaussichtstellen von Vermögensvorteilen Verhaltensweisen bewirkt werden sollen, die regelmäßig eine freie innere Überzeugung des Handelnden voraus setzen“.
- Maßgeblich seien die Umstände des Einzelfalls.
Die Voraussetzungen der Sittenwidrigkeit seien jedenfalls dann erfüllt, wenn der Erblasser durch einen wirtschaftlichen Anreiz ein Verhalten erzwingen bzw. sich erkaufen wolle und damit gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstoße.
Das Erkaufen von Enkelbesuchen ist sittenwidrig
Im vorliegenden Fall ließ das Testament nach Auffassung des OLG erkennen, dass der Erblasser als Großvater einen starken Wunsch gehegt habe, seine Enkelkinder in regelmäßigen Abständen zu sehen. Gegen diesen Wunsch sei grundsätzlich nichts einzuwenden.
- In der konkreten Form habe der Großvater jedoch faktisch seine minderjährigen Enkelkinder unter finanziellen Druck setzen wollen,
- indem er ihnen erhebliche Vermögensvorteile in Form einer Erbenstellung in Aussicht gestellt habe und sie damit zu regelmäßigen Besuchen habe anhalten wollen.
- Besuche von Enkelkindern setzen nach Auffassung des Senats aber eine innere freie Überzeugung voraus.
Der Versuch des Erblassers, durch finanzielle Anreize liebevolles Verhalten zu erzwingen, sei von der Rechtsordnung auch unter Berücksichtigung der Testierfreiheit des Erblassers nicht hinzunehmen, sondern nach der Anschauung aller billig und gerecht Denkenden sittenwidrig, eine solche Bedingung für die Erlangung einer Erbenstellung damit nichtig.
Die Erbeinsetzung bleibt dennoch wirksam
Die Sittenwidrigkeit führt nach dem Diktum des Senats nicht zur Nichtigkeit der Erbeinsetzung insgesamt.
- Das Gericht unterstellte, dass der Erblasser seine beiden Enkelkinder auch dann zu Miterben eingesetzt hätte,
- hätte er gewusst, dass die von ihm angeordnete Besuchsbedingung unwirksam wäre.
Diesen Schluss zog das OLG auf Grundlage der gerade aus der unwirksamen Bedingung erkennbaren starken inneren Bindung des Erblassers an seine Enkel. Die daraus erkennbare Wertschätzung hätte nach Auffassung des OLG auch ohne die Besuchsbedingung zur Einsetzung der Enkel als Erben geführt. Somit waren die Enkel auch in einem zu erteilenden Erbschein als Erben aufzunehmen. Die Enkelbeschwerde hatte damit Erfolg.
(OLG Frankfurt, Beschluss v. 5.2.2019, 20 W 98/18)
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