Die Zeiten, als die „Rote-Armee-Fraktion“ (RAF) die Republik in Atem hielt, sind zwar vorbei, dennoch ist die bundesdeutsche Justiz immer wieder gezwungen, sich mit nicht gelösten Problemen jener Zeit auseinanderzusetzen. Diesmal ging es um die kontroverse Klärung des Rechts zur Aussageverweigerung im laufenden Prozess um Verena Becker.

Wie schon damals stößt auch im aktuellen Prozess gegen das ehemalige RAF-Mitglied Verena Becker die Justiz in Bereiche vor, in denen sie die rechtsstaatlichen Grenzlinien nachspüren muss.

 

Ermordung von Generalbundesanwalt Siegfried Buback und Begleiter

Die StA wirft Verena Becker vor, an der Ermordung des ehemaligen Generalbundesanwaltes Siegfried Buback sowie dessen Begleiter Göbel und Wurster beteiligt gewesen zu sein. Der Nebenkläger und Sohn des Ermordeten, Michael Buback, hält es sogar für wahrscheinlich, dass Becker die Todesschützin war. Nach mehr als einjähriger Prozessdauer sollte nun eine wichtige Zeugin zum Inhalt von mit der Angeklagten geführten Gesprächen aussagen.

 

Kranke Zeugin Eckes pocht auf Aussageverweigerungsrecht

Die schwerkranke Zeugin Eckes pochte aber auf ihr Recht, die Auskunft zu verweigern. Zur Begründung verwies sie darauf, dass sie sich mit einer wahrheitsgemäßen Aussage selbst der Gefahr aussetze, strafrechtlich belangt zu werden. Außerdem sei sie lebensbedrohlich erkrankt und zu einer Aussage auch gesundheitlich nicht in der Lage.

 

OLG ordnet Beugehaft an

Das Oberlandesgericht lies sich von diesen Argumenten nicht überzeugen und ordnete gegen die Zeugin Beugehaft zur Erzwingung der Aussage an. Die Aussage der Zeugin könne von entscheidender Bedeutung für den Fortgang des Prozesses sein.

An der Aufklärung der vor Gericht angeklagten Straftaten bestehe ein übergeordnetes Interesse der Allgemeinheit, so dass die Zeugin sich nicht mit vagen Verweisen auf eine mögliche eigene Strafbarkeit vor der Aussage drücken könne.

 

BGH weist OLG in die Schranken: gerichtliche Fürsorgepflicht

Der BGH ließ in seiner Entscheidung offen, ob die Zeugin ein Recht zur Aussageverweigerung hat. Zuletzt im Sommer 2011 hatte der BGH allerdings bereits den Ex-Terroristen  Haag und Meyer ein Recht zur Auskunftsverweigerung zugestanden. Unabhängig von dieser Frage  erachtete der BGH die Anordnung der Beugehaft gegen Eckes für unverhältnismäßig. Die Zeugin sei nachweislich so schwer erkrankt, dass eine mehrwöchige Haft ihre Gesundheit und möglicherweise sogar ihr Leben gefährden würde.

Das OLG habe den Umfang seiner gerichtlichen Fürsorgepflicht gegenüber der Zeugin nicht beachtet. Die gerichtliche Fürsorgepflicht gebiete es, die Grundrechte von Zeugen wie Freiheit und körperliche Unversehrtheit zu beachten.

 

Wahrheitsfindung nicht um jeden Preis

Nach Auffassung des BGH gilt der Grundsatz, dass die Wahrheitsfindung im Prozess nicht um den Preis der Gefährdung des Lebens und der körperlichen Unversehrtheit der Zeugen erfolgen darf. Der Zweck des Strafprozesses würde verfehlt, wenn zur Aufklärung einer Straftat unbegrenzt in geschützte Rechtsgüter von Dritten eingegriffen werden dürfte.

 

Michael Buback als tragische Figur

Der Sohn des ermordeten Generalbundesanwalts, Michael Buback, kämpft als Nebenkläger mittlerweile ohne eigenen Anwalt, da er sich nach eigenen Angaben diesen nicht mehr leisten kann. Mit einem ihm vom Gericht beigeordneten Rechtsanwalt hatte er sich heillos zerstritten. Mehrfach hat er die Angeklagte angefleht, den oder die Täter zu nennen. Wenn nicht noch eine unerwartete Wendung eintritt, droht die weitere Aufklärung ergebnislos zu versanden.

(BGH, Beschluss v. 10.01.2012,  StB 20/11).