Die Realisierung eines dringenden Bedüfnisses nach Knastluft kann überraschend schwierig sein: So kurios dieser Sachverhalt auf den ersten Blick erscheinen mag, so klar hat es der BGH in einem jetzt veröffentlichten Beschluss auf den Punkt gebracht: Wegen Raubes verurteilt werden kann nur, wer sich die entwendete Sache mit unbedingtem Vorsatz zueignen will – und der kann bei nicht materiellen Zielen fehlen.
Das Problem mit der Freiheit: Nicht jeder will aus der Haft entlassen werden
In dem vom BGH entschiedenen Fall befand sich die Angeklagte bis Anfang Mai 2018 - ebenso wie ihre Ehefrau - im Strafvollzug. Am 12.5.2018 wurde sie aus der Haft entlassen, ihre Ehefrau saß weiter ein. Das Leben allein außerhalb der Gefängnismauern behagte der Angeklagten überhaupt nicht. Mit der neu gewonnenen Freiheit kam sie nur schlecht zurecht. Das anlässlich der Haftentlassung erhaltene Übergangsgeld war schnell verbraucht. Ihr Wunsch zurück zu ihrer noch inhaftierten Ehefrau in das geregelte Leben des Strafvollzugs wurde übermächtig.
Entschluss zur Haft verheißenden Straftat spontan umgesetzt
Die Angeklagte beschloss daher, eine Straftat zu begehen, sich dabei erwischen zu lassen und auf diese Weise wieder in den Strafvollzug zu gelangen. Eine Dose mit Pfefferspray führte sie zum Zwecke der Selbstverteidigung immer mit sich. In der Innenstadt von Augsburg in Bahnhofsnähe sichtete sie ein ihr geeignet erscheinendes Opfer, eine Frau die ein Mobiltelefon vom Typ Samsung Galaxy S7 in der Hand hielt. Kurz entschlossen schritt die Angeklagte auf ihr Opfer zu, sprühte ihr Pfefferspray ins Gesicht und entwendete ihr das Mobiltelefon.
Festnahme erfolgte widerstandslos
Anschließend flüchtete die Angeklagte einige Schritte, ließ sich dann von Passanten aufhalten und von der Polizei festnehmen. Das entwendete Mobiltelefon hatte sie einfach in ihre Hosentasche gesteckt, so dass es von der Polizei problemlos sichergestellt werden konnte.
Strafkammer verurteilt Angeklagte wunschgemäß
Die Strafkammer des LG Augsburg verurteilte die Angeklagte wegen Raubes - wie von der Angeklagten geplant - zu einer Haftstrafe. Im Anschluss an die Verurteilung hatte sich die Angeklagte die Sache mit der Haft aber wohl anders überlegt und ließ ihren Verteidiger gegen das Urteil Revision einlegen.
Urteil des LG widersprüchlich
Die Revision führte zur Aufhebung des landgerichtlichen Urteils durch den BGH. Der BGH verwies auf die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 249 Abs. 1 BGB, wonach wegen Raubes nur bestraft werden kann, wer einem anderen eine Sache unter Drohung oder Anwendung von Gewalt in der Absicht wegnimmt, die Sache sich oder einem Dritten rechtswidrig zuzueignen.
Der Senat monierte, die Feststellung des LG, die Angeklagte habe der Geschädigten das Mobiltelefon in Zueignungsabsicht weggenommen, stehe im Widerspruch zu den übrigen tatbestandlichen Feststellungen des Urteils. Das LG führe an anderer Stelle aus, die Angeklagte habe den Überfall ausschließlich zum Zwecke ihrer erneuten Inhaftierung ausgeübt. Dies lasse sich mit der von der Strafkammer konstatierten Zueignungsabsicht nicht in Einklang bringen.
Eine Straftat mit dem Ziel der Inhaftierung - das ist nicht neu
Der BGH verwies auf seine ständige Rechtsprechung, wonach eine Zueignungsabsicht im Rahmen des Raubtatbestandes ausscheidet, wenn der Täter die fremde bewegliche Sache mit dem Ziel wegnimmt, anschließend von der Polizei gestellt zu werden und er davon ausgeht, dass die entwendete Sache dann wieder problemlos an den Eigentümer zurück gelangt (BGH Urteil v. 1.3.2012, 3 StR 434/11; BGH, Urteil v. 25.10.1968, 4 StR 398/68).
Der Täter muss die Aneignung unbedingt wollen
Für eine Verurteilung der Angeklagten wegen Raubes kommt es nach der Wertung des BGH daher darauf an, ob diese zum Zeitpunkt der Wegnahme davon ausgegangen war, dass das Mobiltelefon nach ihrer Ergreifung wieder problemlos an die Geschädigte zurückgelangen würde.
Selbst wenn die Angeklagte erwogen haben sollte, das Mobiltelefon für sich zu behalten oder zu verwerten, falls es nicht zu ihrer Festnahme käme, so sei - so der BGH - der für eine Verurteilung wegen Raubes erforderliche Aneignungswille der Angeklagten auch dann noch nicht ohne weiteres gegeben. Der Täter eines Raubes müsse die Aneignung für sich oder einen Dritten mit unbedingtem Willen erstreben, die Inkaufnahme der Aneignung lediglich als mögliche Folge der Tat reiche nach gefestigter Rechtsprechung für den Tatbestand des Raubes nicht aus (BGH, Beschluss v. 22.3.2012, 4 StR 541/11). Die für eine endgültige Bewertung erforderlichen Tatsachenfeststellungen habe die Vorinstanz bisher nicht getroffen.
Entscheidend ist das vorrangige Ziel der Angeklagten
Mit diesen Erwägungen hob der BGH das Urteil des LG Augsburg auf und verwies die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer des LG zurück. Das LG habe insbesondere zu prüfen, ob der Wille der Angeklagten zur Festnahme das vordringliche Ziel ihres Handelns oder lediglich ein nachrangiges Fernziel nach einer zuvor beabsichtigten Zueignung des Mobiltelefons gewesen sei. Nur im letzten Fall sei eine Verurteilung wegen Raubes gerechtfertigt.
(BGH, Beschluss v. 29.4. 2019, 1 StR 37/19)
Fazit: Wer sich nach einer Komplettversorgung im staatlichen Strafvollzug sehnt, sollte über fundierte Kenntnisse zu den Tücken des Strafrechts verfügen, sonst kann der Plan leicht daneben gehen.
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