Justiz-Kontroverse in den USA um „Boneless-Wings“


Justiz-Kontroverse in den USA um „Boneless-Wings“

„Boneless Wings“ auf der Speisekarte sind keine Garantie für Hähnchenflügel ohne Knochen. Diese Entscheidung des Supreme Court of Ohio hat in den USA für Aufsehen gesorgt und es sogar in den Wahlkampf geschafft.

Die etwas kuriose Logik des Urteils des Supreme Court des Bundesstaates Ohio beschäftigt die öffentlichen Medien in den USA und ist selbst bei den an der Entscheidung beteiligten Richtern des Supreme Court of Ohio Anlass für sarkastische, teils bis an die Grenze der Beleidigung geführte Auseinandersetzungen.

Stammgast bestellte knochenlose Hähnchenflügel

„Boneless Wings“ waren seit 2016 Gegenstand eines erbitterten Rechtsstreits in Ohio. Der Kläger, ein Stammgast einer Restaurantkette, hatte 2016 mit seiner Frau und Freunden in einem Restaurant der Kette in Hamilton, Ohio, gegessen. Er bestellte sein Lieblingsgericht: „Boneless Wings“, also Hähnchenflügel ohne Knochen.

Ein langer Knochen versteckte sich in den „Boneless Wings“

Das Essen, das ihm sonst so gut bekam, lag ihm überraschend schwer im Magen. Drei Tage nach dem Verzehr der Hähnchenflügel bekam er hohes Fieber. Der Beschwerdeführer begab sich daraufhin in die Notaufnahme des örtlichen Krankenhauses. Die Diagnose: Ein langer, dünner Knochen im Magen und ein Riss in der Speiseröhre, die sich entzündet hatte. Die Entzündung hatte sich schließlich auf den ganzen Körper ausgebreitet.

Kläger rügte fahrlässiges Verhalten des Restaurantbetreibers

Vor Gericht forderte der Kläger daraufhin vom Betreiber des Restaurants eine angemessene Entschädigung. Für ihn stand fest, dass der von den Ärzten gefundene lange Knochen von den „Boneless Wings“ stammen musste und den Riss in seiner Speiseröhre mit den weiteren gesundheitlichen Folgen verursacht hatte. Außerdem warf er dem Lieferanten und der Farm, die das Huhn aufgezogen hatte, Fahrlässigkeit vor.

Klage nicht zur Entscheidung zugelassen

Nachdem die unteren Instanzgerichte seine Klage abgewiesen hatten, entschied schließlich das oberste Gericht von Ohio über den Fall. Der „Supreme Court of Ohio“ bestätigte die Entscheidungen der Vorinstanzen, wonach das Verfahren gar nicht erst in das Stadium einer Jury-Entscheidung gelangte. In den USA ist die Bewertung einer Klage durch Berufsrichter als rechtlich schlüssig Voraussetzung dafür, dass in der 2. Stufe des Verfahrens eine aus Laien bestehende Jury die vorgetragenen Tatsachen bewertet. Kommt die Jury zu dem Ergebnis, dass ein Anspruch auf Entschädigung besteht, entscheiden wiederum Berufsrichter über die endgültige Höhe einer zu gewährenden Entschädigung.

Knochenlos ist keine Garantie für das Fehlen von Knochen

Eine knappe Mehrheit der Richter vertrat die Auffassung, dass die Bezeichnung „boneless“ – also knochenlos – für den Gast keine Garantie darstelle, dass die ihm anschließend servierten Hähnchenflügel keine Knochen enthielten. Jeder durchschnittlich begabte Mensch wisse, dass Hähnchenflügel üblicherweise Knochen enthielten. Der im Widerspruch zu dieser natürlichen Eigenschaft eines Hähnchenflügels stehende Speisekartenzusatz „boneless“ bedeute daher nicht, dass Hähnchenflügel ohne Knochen verwendet und serviert würden. Die Bezeichnung „boneless“ stehe lediglich für eine besondere Zubereitungsart und enthalte kein rechtlich wirksames Versprechen, dass das so zubereitete Produkt knochenfrei auf den Teller oder in die Pappschale komme.

Entscheidung am Supreme Court mit knapper Mehrheit von 4 zu 3 Richtern

Drei der sieben zur Entscheidung berufenen Richter waren dezidiert anderer Meinung als die knappe Mehrheit. Ein Richter hat sich die Mühe gemacht, das Urteil mit einer abweichenden Meinung zu versehen. Nach seinem Sondervotum kann kein Normalbürger ernsthaft annehmen, dass Eltern, die ihre Kinder „Boneless Wings“ oder „Chicken Nuggets“ oder „Chicken Fingers“ essen lassen, dies nicht im Vertrauen darauf tun, dass diese Mahlzeiten keine Knochen enthalten, die beim Verschlucken erhebliche gesundheitliche Schäden bei ihrem Kind verursachen können.

Sarkastische und hämische Kommentare unter Richterkollegen

Ein weiterer Richter, der der Senatsminderheit angehörte, zeigte nicht einmal die Bereitschaft, sich mit der Mehrheitsmeinung seiner Richterkollegen inhaltlich auseinanderzusetzen. Er bezeichnete die Mehrheitsentscheidung in Anlehnung an ein Nonsense-Gedicht schlicht als „utter jabberwocky“, also als völligen Schwachsinn. Einer der Mehrheitsrichter entgegnete sarkastisch, wer die Bezeichnung von Speisen wörtlich nehme, müsse bei „Chicken Fingers“ erwarten, dass tatsächlich Finger serviert würden. Das tue aber niemand.

Boneless-Wings-Entscheidung ist Wahlkampfthema

Das Urteil hat es nun sogar in den US-Wahlkampf geschafft. Der Bundesstaat Ohio gehört zu den „Swingstates“. Die Wahlentscheidung seiner Bürger kann für den US-Wahlkampf entscheidende Bedeutung haben. Wahlkampfthema ist die Entscheidung deshalb, weil sämtliche Richter, die für die Nichtzulassung der Klage gestimmt haben, republikanisch ausgerichtet sind, während die Gegenstimmen ausschließlich von Demokraten stammen. Die demokratischen Richter werfen den republikanischen vor, das Wort „ohne Knochen“ so lange hin und her gewendet zu haben, bis das Gegenteil dessen herauskam, was jeder normale Mensch darunter versteht, nämlich frei von Knochen.

Kommt in Ohio ein Individualrecht auf knochenlose Chicken Wings?

Ein Senator des Bundesstaates Ohio hat eine Prüfung der Frage angekündigt, ob ein Gesetz erlassen werden kann, dass Verbrauchern das Recht zum Verzehr von Hähnchenflügel ohne Knochen gibt, wenn auf der Speisekarte „boneless“ steht. Der demokratische Senator will sich ggf. für ein solches Individualrecht der Bürger stark machen.

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