Manager von Unternehmen wie von Kanzleien machen immer wieder denselben Kardinalfehler: Sie überschätzen die kurzfristigen Trends und unterschätzen langfristige Entwicklungen.
Ein Beispiel: Immer mehr Kanzleien tummeln sich in sozialen Medien oder bauen Blogs auf. Eine langfristige digitale Kommunikationsstrategie mit klaren Zielen, wohin die Kanzlei letztendlich will, fehlt indes in den meisten Fällen. Das Management fährt nur auf Sicht und wird auf äußere Veränderungen zumeist nur reagieren statt aktiv handeln.
Zu viel Skepsis gegen Technik
Sicher – es gibt heute so gut wie keinen Anwalt mehr, der nicht mit dem Computer arbeitet, Kanzlei-Software einsetzt und/oder mit Microsoft-Office-Programmen arbeitet. Eigene Programmierkenntnisse, die Mandanten und Anwälten das Leben noch leichter machen könnten, fehlen aber zumeist. Künstliche Intelligenz via Roboter betrachten die Anwälte und Kopfarbeiter eher als Bedrohung denn als Chance.
Ängste in Bezug auf Legal Tech
Nach einer Umfrage des Soldan Anwaltsinstituts befürchten 46 Prozent der Anwälte, dass ihnen Nichtanwälte mit neuen Legal Tech Produkten für Verbraucher Konkurrenz machen.
Das zu einem Zeitpunkt, wo die digitale Revolution noch in den Kinderschuhen steckt. Die Haltung gegenüber digitalen Innovationen wird mit Zweifeln gespeist statt mit Neugier:
„Dass der Computer einmal den Anwalt ersetzt, glaube ich nicht“
oder:
„Unsere Mandanten sind ganz normale Menschen wie Du und ich. Die wollen nicht mit einem Roboter kommunizieren.“
So oder ähnlich lauten die Vorbehalte gegenüber digitalen Innovationen.
Es geht nicht um Mensch gegen Roboter
Unstreitig sind viele Tätigkeiten des Anwalts Routine, die ebenso gut digital abgearbeitet werden könnte. Das würde Mandanten Geld sparen und Anwälten Zeit, die sie für Sinnvolles verwendet könnten – etwa die Weiterbildung oder die Akquise lukrativer Mandate. Auch hätten sie so mehr Zeit, über neue digitale Geschäftsmodelle nachzudenken.
Auch wenn Schlagzeilen in der Presse aus den letzten Monaten den Irrglauben geschürt haben, dass der Roboter den Menschen und auch Anwälte in nicht allzu weiter Ferne ersetzen würden, sind wir davon derzeit noch weit entfernt.
Es gibt mehrere Szenarien
Andererseits - wer hätte vor 15 Jahren gedacht, dass heute eine Vielzahl von Tätigkeiten über das Smartphone abgewickelt werden? Und Künstliche Intelligenz kann heute sehr viel – sogar Schachweltmeister schlagen.
- Aber Künstliche Intelligenz „versteht“ eben keine Texte.
- Sie ist nicht in der Lage, verschiedene Vertragsklauseln miteinander zu kombinieren, weil der jeweilige Sachverhalt das erfordert.
Innovationsschub durch Blockchain
Einen weiteren Innovationsschub erwarten die Experten von der so genannten Blockchain. Im Prinzip geht es darum,
- manipulationsanfällige große Datenbanken zu dezentralisieren
- und auf vertrauenswürdige, aber teure Dritte zu verzichten
- so etwa eine Bank bei Zahlungsvorgängen,
- weil die Identifizierung und die Historie der Transaktionen in einem Dokument fälschungssicher festgehalten werden können.
Wenn die Technologie die Jurisprudenz erreicht
Wenn die Technologie soweit ist, wird das - auch mit Blockchain - so ziemlich alles verändern, was Juristen tun – jedenfalls was die Ausführung von Verträgen angeht.
Beispiel: Jemand ordert einen Mietwagen. Als er ihn abholt und die Start-Funktion drückt, tut sich nichts. Der Grund: Er hat vergessen, zu zahlen. Wenn der Kunde jetzt per Handy an die Mietwagenfirma zahlt und anschließend noch einmal die Start-Funktion drückt, brummt der Motor.
All das hat die Blockchain im Hintergrund mit eindeutigen Codes bewerkstelligt.
Recht ist ein Code
Auch Recht ist nichts Anderes als ein Code. So lässt sich jeder Anspruch in seine einzelnen Tatbestandsmerkmale auffächern und digital visualisieren.
Dann werden Definitionen, Ausnahmen und Ausnahmen von den Ausnahmen hinzugefügt. Auf diese Art und Weise lässt sich das gesamte Recht atomisieren. Beide, Künstliche Intelligenz und Blockchain, erfordern dieses extrem präzise Denken in Prozessen und Bausteinen. Denn Künstliche Intelligenz lernt viel besser, wenn sie mit einer strukturierten und nicht nur unstrukturierten Datenbasis gespeist wird. Und die Blockchain besteht ohnehin aus Codes. Die Rechtssprache entwickelt sich damit immer mehr zu einer Programmiersprache.
Leidenschaft und Begeisterung sind gefragt
Derzeit befindet sich die digitale Revolution in der Anwaltschaft noch im Anfangsstadium. Es geht um die Industrialisierung des Rechts, nämlich darum, aus dem was da ist, bessere Daten zu machen.
Das kann zum Beispiel der Aufbau eines digitalen Generators für einen Arbeitsvertrag sein.
Eine Kanzlei könnte die vermutlich 1.000 verschiedenen Vertragsklauseln herunterbrechen und in einer Datenbank vernetzen und dokumentieren – arbeitgeber- und arbeitnehmerfreundlich.
Führungsaufgabe bei der Industrialisierung des Rechts
Die Führungsaufgabe besteht also zunächst einmal darin, bessere Datenstrukturen aufzubauen. Der entscheidende Vorteil: Alle Informationen lassen sich miteinander verknüpfen. Der Anwender muss damit nicht mehr mit Zehntausenden von Dokumenten kämpfen. Damit entsteht Raum für industrielle und standardisierte Rechtsdienstleistungen.
Ganz viel Arbeit des Juristen ist repetitiv
Anwälte, die ihre Arbeit auch einmal kritisch hinterfragen, wissen, dass ein Großteil ihrer Arbeit kein Unikat ist, sondern das juristische Wissen in vielen Fällen immer wieder gleich oder ähnlich angewendet wird.
Das ist mit dem Erscheinen des ersten Rechtsformularbuchs vergleichbar: Das ist der Tod des Anwalts, hatten viele Juristen zunächst befürchtet. In Wahrheit sind die Rechtsformulare eine enorme Arbeitserleichterung, die Anwälten neue Ressourcen beschert haben.
Think big!
Die Arbeit an den Codes machen sich derzeit zumeist Nichtanwälte oder einzelne Nischenanwälte zunutze.
Eine Firma, die mit Legal Tech enormen Erfolg hat, ist flightright.de. Welcher Anwalt hat schon Lust, Prozesse wegen Flugverspätung zu führen, wenn der Streitwert nur 200 Euro bis maximal 600 Euro beträgt? Wenn aber nun Tausende von Flugopfern Mandanten werden wollen, sähe das schon anders aus. Flightright hat genau das erfolgreich realisiert – auch wenn derzeit ein Dutzend Nachahmer in diesem Marktsegment Platz genommen haben.
Eine Aufgabe der Anwälte kann folglich darin bestehen, aussichtsreiche Prozesswellen vorherzusehen und dazu Internetportale aufzusetzen, mit denen Mandanten ihre Ansprüche prüfen und durchsetzen lassen können.
Das funktioniert zum Beispiel bei der Überprüfung von Harz IV - Bescheiden genauso wie bei Bußgeld- oder BaFöG-Bescheiden, wie das Startup-Unternehmen https://rightmart.de zeigt. Oder www.myright.de, wo sich mittlerweile 25.000 vom Diesel-Abgasskandal betroffene VW-Kunden einer „Sammelklage“ angeschlossen haben.
Alle Mitarbeiter fortbilden und an Bord holen
Es ist klar, dass all diese möglichen Aufgaben nicht von einer Person allein bewältigt werden kann. Nur im Team und im Austausch mit den Mandanten gelingt die Digitalisierung 4.0.
Deshalb ist zunächst ein Commitment aller Mitarbeiter erforderlich, sich entsprechend engagiert einzusetzen und vor allem zunächst einmal fortzubilden.
Businessplan zu Möglichkeiten und Ziele von Legal Tech 4.0
Ist der 4.0 Spirit geweckt, wird eine Analyse der Ist-Situation in der Kanzlei erforderlich sein. Und ein Businessplan, welche Möglichkeiten und Ziele Legal Tech 4.0 für die Kanzlei bringt, was das kostet und wer das wie in der Sozietät umsetzt.
Bei der Neueinstellung juristischer wie nichtjuristischer Mitarbeiter ist die besondere Affinität zu allen digitalen Themen ebenso wichtig wie sonstige fachliche Expertise. Programmierkenntnisse sind erwünscht, Spezialkenntnisse in Webdesign oder Costumer-Relationship im Netz.
Hintergrund:
Die BCG-Studie „How Legal Technology Will Change the Business of Law“ geht jedenfalls davon aus, dass die Software künftig 30 bis 50 Prozent der Aufgaben von Junior-Anwälten übernehmen könnte. Darüber gilt es aber nicht zu vergessen, dass die Rationalisierung im Recht auch vielen Menschen vereinfachten Zugang zu Recht eröffnet.