Legal Tech im Kanzleialltag – die Digitalisierung ist längst da


Legal Tech im Kanzleialltag – die Digitalisierung ist längst da

Wie bestimmen Kanzleisoftware, Online-Akquise, Recherche-Tools und Fortbildung im Netz bereits jetzt die Qualität und Wettbewerbsfähigkeit der meisten Kanzleien. Mit dieser Frage beschäftigt sich Rechtsanwalt Bernfried Rose von ROSE & PARTNER LLP.

Rechtsdienstleistungs-Start Ups, die mit innovativen Geschäftsmodellen herkömmliche Kanzleien bedrohen und Anwalts-Roboter, die dank künstlicher Intelligenz komplexe Rechtsprobleme lösen. So in etwa sieht die futuristische Vorstellung vieler Anwälte aus, wenn sie über Legal Tech sinnieren.

Dabei verändert die Digitalisierung bereits viele alltägliche und vergleichsweise unspektakuläre Bereiche der tatsächlichen anwaltlichen Tätigkeit. Wer da nicht am Ball bleibt, wird es künftig im Wettbewerb schwer haben.

Sensible Mandantendaten in der Cloud?

Wer die IT nicht länger als nicht funktionierendes Ärgernis wahrnehmen will, kann sie heute einfach aus seiner Kanzlei „verbannen“. Das Zauberwort heißt ASP (Application Service Providing). Kanzleiserver und Daten liegen bei diesem System in einem externen Rechenzentrum. Die angeschlossenen Rechtsanwälte können aus ihrem Büro, von zuhause oder von unterwegs mit PC, Tablet oder Smartphone auf Emails, Akten etc. zugreifen. Die notwendige Software wird gemietet, Administration, Wartung und Updates erfolgen selbständig aus der Ferne durch einen IT-Dienstleister. Dieser ist im Idealfall auf Rechtsanwälte spezialisiert und verfügt über Kenntnisse im Datenschutzrecht sowie im anwaltlichen Berufsrecht und ist nach der Rechtsänderung zum beruflichen Verschwiegenheitsrecht auch an die gesetzliche Schweigepflicht gebunden.

Cyber-Security wird schließlich immer mehr zum zentralen IT-Thema für Kanzleien. Sensible Mandantendaten in der Cloud? Das klingt für manchen noch immer nach einem zu sorglosen Umgang mit Informationen. Ob die Daten allerdings auf einem Server in der Kanzlei hinter einer abgeschlossenen Sperrholztür im Technikraum sicherer sind, darf bezweifelt werden.

Kanzleisoftware – die Welt der unbegrenzten Möglichkeiten

Was macht nun der moderne Anwalt mit dieser jederzeitigen Verfügbarkeit von Rechenpower und Programmen? Zumindest hat er gute Chancen, eine Stunde früher Feierabend zu machen als andere Kollegen. Für die erforderliche Effizienzsteigerung sorgen zum Beispiel folgende Hard- und Softwarefeatures:

  • Ein zweiten Bildschirm, der es ermöglicht mehrere Anwendungen gleichzeitig zu betrachten. Vor allem das ständige Öffnen, Schließen, Anpassen und Verschieben von Windows-Fenstern entfällt.
  • Ein Headset mit Kopfhörer und Micro ermöglicht das gleichzeitige Telefonieren und Arbeiten in Dokumenten, Akten oder im Netz.
  • Ergänzt um eine Spracherkennungssoftware wie zum Beispiel Dragon lassen sich damit in Echtzeit Schriftsätze, Verträge, Emails etc. erstellen ohne selbst zu tippen oder einen Fachangestellten zu bemühen.
  • Schließlich sollte noch eine Telefonsoftware für eine Verbindung von Telefonanlage und der Kanzleisoftware sorgen. Damit lässt sich z.B. der Mandant direkt aus der Akte heraus anrufen oder ein Kollege in der Kanzlei wird via Chat kontaktiert.

Digitales Kernstück der Kanzlei bleibt dabei die Kanzleisoftware, die heute im Zeichen der elektronischen Akte steht. Darin finden sich nicht nur die selbst digital erstellten Dokumente sondern auch die eingescannte Post der sonstigen Beteiligten wie Mandant, Gegner oder Gericht.

Das spart nicht nur Papier und Aktenschleppen beim mobilen Arbeiten. Dank Texterkennungssoftware kann man in allen zur Akte gehörenden Dokumenten in Sekunden mit einer Volltextsuche zum Beispiel Klarheit darüber gewinnen, was die gegnerische Seite  wann zu einem Thema geäußert hat.

Anwalt oder Fachangestellte – wer wird überflüssig?

Vor allem Funktionen wie Fristen, Rechnungserstellung und Dokumentenvorlagen werden im Zeitalter der Digitalisierung immer weiter automatisiert. Diese gehören in den meisten Kanzleien zwar zum Kompetenzbereich der Fachangestellten. Rechtsanwälte, die sich selbst mit ihrer Kanzleisoftware auskennen, benötigen aber immer weniger Unterstützung aus dem Sekretariat. Interessant ist das vor allem für junge Einzelanwälte beim Start in die Selbständigkeit.

Gleichzeitig ist aber auch eine gegenteilige Entwicklung zu verzeichnen. So können die Fachangestellten – ausgestattet mit entsprechenden Tools – heute immer weiter in die anwaltliche Tätigkeit vordringen. Wird also vielleicht doch eher der Anwalt überflüssig?

Die Entwicklung wird auch dadurch befeuert, dass Kanzleien heute Programme zur Verfügung stehen, die nicht nur bei der Erstellung und Verwaltung von Dokumenten hilfreich sind, sondern immer mehr in die eigentliche rechtliche Arbeit vordringen. Was mit überschaubaren Tools wie etwa erbrechtlichen Berechnungsprogrammen anfing, entwickelt sich derzeit weiter zu Dokumentengeneratoren und für den Einsatz in Großkanzleien bestimmte Vertragssoftware.

Bald kostenlos? Rechtsrecherche im Netz

Trotz dieser immer besser werdenden elektronischen Helfer muss der Anwalt dann aber doch gelegentlich noch selbst zur Tat schreiten. Auf der Suche nach Lösungen stehen ihm heute jedoch die meisten Urteile, Lehrmeinungen, Mustertexte und Checklisten online oder zumindest digital zur Verfügung.

Bislang mag das noch ein gutes Geschäft für Verlage zu sein. Es dürfte jedoch nur eine Frage der Zeit sein, bis hier die Preise bröckeln. Mal sehen, wann der erste zitierfähige kostenlose juristische Kommentar auf den Markt kommt, der rein werbefinanziert im Netz steht.

Digitales Selbststudium statt Kaffeepause mit Kollegen

Selbst die anwaltliche Fortbildung wird gerade aus der analogen Welt herausgedrängt. „Fortbildung im Online-Selbststudium“ nennen das einschlägige Anbieter. Solchen Internet-Kursen fehlt natürlich die soziale Komponente. Schließlich fand bisher ein Großteil des Networkings unter Anwälten während der Kaffeepause in irgendwelchen Tagungshotels anlässlich einer Fortbildung statt.

Dennoch werden sich die Online-Fortbildungen ganz sicher zunehmender Beliebtheit erfreuen – nicht zuletzt, weil sich inzwischen die Pflichtfortbildungen von Fachanwälten von 10 auf 15 Stunden jährlich erhöht haben.

Google statt Golfplatz – die Digitalisierung der Akquise

Wer dann – von der Technik optimiert und fortgebildet – auf der Suche nach neuen Mandaten ist, an denen er seine neu gewonnene Effizienz ausprobieren kann, stellt schnell fest: Bei den Akquisekanälen verschiebt sich das Gewicht immer weiter ins Internet. War man früher oft allein mit privatem und beruflichem Networking erfolgreich und lebte als etablierter Rechtsanwalt überwiegend von Empfehlungen, fragen Rechtsratsuchende inzwischen immer häufiger den Google-Algorithmus.

Dort finden sie gelegentlich sogar mehr oder weniger brauchbare Antworten auf ihre Rechtsfrage. In jedem Fall finden sie aber über die Suchmaschine einen Anwalt, der sich ihrem Problem annimmt.

  • Eigene Homepage,
  • Profile in Anwaltsuchdiensten,
  • Content-Marketing mit Online-Fachbeiträgen

– das sind daher die Bausteine für eine erfolgreiche Mandantengewinnung im Netz.

Einsteigen, dabei sein!

Selbstverständlich gibt es noch genügend Rechtsanwälte, die über derartige Akquisebemühungen nur müde lächeln, weil sie auch auf klassischem Wege gut im Geschäft sind. Das sind jedoch stets nur Momentaufnahmen. Die Trends werden sich nicht umkehren lassen.

Vielleicht mag sich ein Anwalt, der nach Zeitaufwand abrechnet, auch aktuell gar nicht daran stören, dass er ohne den Einsatz der zahlreichen technischen Hilfen doppelt so lang für eine Bearbeitung benötigt wie die Kollegen, die ihre Arbeitsweise bereits mit Legal Tech optimiert haben. Er sollte dabei jedoch nicht den Wettbewerb vergessen. Die Digitalisierung macht anwaltliche Leistungen und Honorare für Mandanten vergleichbar.

Wer als Anwalt die technischen Möglichkeiten nutzt, steigert die Effizienz und senkt die Kosten. Gibt er diesen Vorteil an den Mandanten weiter, sorgt die neue Transparenz dafür, dass er seine Stellung im Wettbewerb stärkt.

Klingt nach normalen Marktmechanismen – war aber im Rechtsberatungsmarkt vor dem Einzug von Legal Tech nicht besonders ausgeprägt.