In rechtsradikalen Kreisen sowie in der Querdenkerszene sind zur Zeit Nazivergleiche en vogue. Durch Hinweise auf die Verfolgung der Juden unter dem nationalsozialistischen Regime soll suggeriert werden, dass die in diesen Milieus vermutete und gefühlte gesellschaftliche und politische Ausgrenzung mit der Judenverfolgung im Nationalsozialismus vergleichbar sei.
Angebote von "Judensternen" mit der Aufschrift „Ungeimpft“
Im Internet werden bereits seit längerem Fahnen und Coronamasken angeboten, auf denen ein Judenstern mit der Aufschrift „Ungeimpft“ angebracht ist. Auf den Internetseiten rechter Gruppierungen und Querdenker sind Fotomontagen zu sehen, die das Tor zum Konzentrationslager Auschwitz zeigen mit der Aufschrift „Impfen macht frei“. Die Rechtsprechung tut sich mit der Bewertung dieses Verhaltens schwer. Einige Gerichte bewerten öffentlich zur Schau gestellte Vergleiche zwischen der angeblichen gesellschaftlichen und medialen Ausgrenzung der Anhänger rechten Gedankenguts mit der Verfolgung der Juden unter dem Nationalsozialismus als strafbare Volksverhetzung, andere lehnen eine Bestrafung ab.
AfD-Kommunalpolitiker wegen Volksverhetzung verurteilt
Ein AfD-Politiker trug am 30.6.2018 in Augsburg ein Plakat, auf dem ein "Judenstern" abgebildet war. Darauf aufgedruckt befanden sich die Jahreszahlen „1933-1945“ sowie das AfD-Logo mit dem Zusatz „2013-?“. Die StA Augsburg erhob hierauf Anklage wegen der Verwirklichung des Straftatbestandes der Volksverhetzung. Das LG Augsburg verurteilte den Politiker zu einer Geldstrafe, die dieser nicht akzeptierte und deshalb beim BayObLG Rechtsmittel einlegte.
Angeklagter verglich Ausgrenzung von AfD-Anhängern mit Judenverfolgung
Vor Gericht ließ sich der AfD-Politiker dahingehend ein, er habe mit seiner Aktion auf die Ausgrenzung der Juden in der NS-Zeit anspielen und damit einen Bezug zur heute gängigen gesellschaftlichen und medialen Ausgrenzung von AfD-Mitgliedern herstellen wollen.
Es sei aber nicht seine Absicht gewesen, die Ausgrenzung von AfD-Anhängern mit der Vernichtung der Juden im Dritten Reich zu vergleichen. Ihm sei es nur um die Kenntlichmachung gleichartiger politischer Mechanismen als Mittel der Ausgrenzung von Teilen der Bevölkerung gegangen.
Verharmlosung des Holocaust
Das BayObLG urteilte, das auf Breitenwirkung ausgelegte Tragen eines "Judensterns" bei einer Demonstration verharmlose die Verfolgung der Juden durch das NS-Regime. Dieses Verhalten sei geeignet, das gesellschaftliche Klima zu vergiften und erfülle damit den Tatbestand der Volksverhetzung gemäß § 130 Abs. 3 StGB.
Die auf dem "Judenstern" aufgedruckten Jahreszahlen 1933-1945 markierten den Zeitraum der Judenverfolgung durch die Nationalsozialisten insgesamt. Damit habe der Angeklagte erkennbar auf die gesamte Judenverfolgung Bezug genommen und damit auch auf den Holocaust. Das den Juden angetane Unrecht sei aber unter keinem denkbaren Gesichtspunkt mit der vom Angeklagten behaupteten gesellschaftlichen Ausgrenzung von Mitgliedern der AfD zu vergleichen (BayObLG, 205 StRR 240/20).
OLG Saarbrücken sieht keine Volksverhetzung
Das OLG Saarbrücken urteilte in einem ähnlich gelagerten Fall anders. Die Saarbrücker Entscheidung betraf eine AfD-Politikerin, die in ihrem Facebook-Profil "Judensterne" mit der Aufschrift „nicht geimpft“, „AfD-Wähler“, „SUV-Fahrer“ und „Islamophob“ veröffentlichte. Nach ihrer Einlassung wollte sie damit auf die gesellschaftliche Ausgrenzung der jeweiligen Personengruppen aufmerksam machen. Nach dem Urteil des OLG sind diese zum Kauf angebotenen "Judensterne" nicht geeignet, die öffentliche Meinung in einer Weise zu spalten, die den Rechtsfrieden gefährden könne. Die Angeklagte habe nicht den Holocaust leugnen wollen. Ihr Verhalten habe daher den Tatbestand des § 130 Abs. 3 StGB nicht erfüllt.
Beinhalten angebotene "Judensterne" eine Beleidigung?
Die Instrumentalisierung des "Judensterns" zu politischen Meinungsäußerungen durch die Angeklagte ist nach Auffassung des OLG Saarbrücken auch nicht als Beleidigung der unter dem Nationalsozialismus verfolgten Juden gemäß § 185 StGB zu qualifizieren. Die Verwendung des "Judensterns" als solche sei in Deutschland nicht verboten und stelle auch in der konkret von der Angeklagten gewählten Form keinen Angriff auf das einzigartige Verfolgungsschicksal der Juden unter dem Nationalsozialismus und damit auch auf deren Ehre dar. Die angebotenen "Judensterne "waren nach Auffassung des OLG schlicht geschmacklos, aber nicht strafbar.
(OLG Saarbrücken, Urteil v. 8.3.2021, Ss 72/20)
Hintergrund: "Judenstern" und Davidstern
Zurzeit des Nationalsozialismus wurden Juden zum Tragen eines dem Davidstern nachempfundenen Sterns mit der Aufschrift „Jude“ gezwungen, um Angehörige des jüdischen Glaubens und des jüdischen Volkes zu kennzeichnen und von der übrigen Gesellschaft abzugrenzen.
Der Davidstern oder Maggen-Davids (benannt nach König David, galt früher in verschiedenen Religionen als Zeichen der Macht Gottes und steht seit der Bemühung um die Gründung eines selbstständigen jüdischen Staates als Symbol für das Judentum. Er findet sich auch in der Flagge Israels.
Der „Judenstern“ gilt im Unterschied zum Davidstern als ein Begriff, den die Nationalsozialisten zum Zwecke der sozialen Isolation und Stigmatisierung eingeführt haben und als abwertend.
Einige AfD-Mitglieder, Coronaleugner und Querdenker vergleichen die von ihnen wahrgenommene gesellschaftliche Ausgrenzung gerne mit der Ausgrenzung der Juden zur Zeit des Nationalsozialismus, was allein bei einem Vergleich der damals und heute zu befürchtenden Folgen für die Betroffenen völlig abwegig scheint.
Der Tatbestand der Volksverhetzung
Gemäß § 130 Abs. 3 StGB wird mit Freiheitsstrafe bis zu 5 Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, wer eine
- unter der Herrschaft des Nationalsozialismus begangene völkerrechtswidrige Handlung
- billigt, leugnet oder verharmlost,
- und zwar in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören.
Störung des öffentlichen Friedens
Das BVerfG legt Wert darauf, dass eine Verurteilung nach dieser Vorschrift nur dann in Betracht kommt, wenn die Billigung, Leugnung oder Verharmlosung nationalsozialistischen Unrechts geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören. Die Störung des öffentlichen Friedens ist nach der Rechtsprechung des BVerfG nur bei den Tatbestandsvarianten Billigung und Leugnung indiziert, im Falle der Verharmlosung muss die Geeignetheit zur Störung des öffentlichen Friedens gesondert festgestellt werden (BVerfG, Beschluss v. 22.6.2018, 1 BvR 2083/15).