Sachlichkeitsgebot - BGH verbietet Anwalt Schockwerbung


Sachlichkeitsgebot - BGH verbietet Anwalt Schockwerbung

Werbung hat fast immer auch etwas mit Auffallen zu tun. Doch es gibt Grenzen - besonders für Ärzte, Anwälte und ähnliche Berufe. Was Benetton und anderen Gewerbetreibenden erlaubt ist, nämlich Werbekampagnen mit schockierenden Fotos durchzuführen, um auf soziale Missstände hinzuweisen, bleibt deshalb für Anwälte verboten. Hier streiken mit Blick auf das Berufsrecht Anwaltskammer und BGH.

Der Fall betraf einen Anwalt aus dem Rheinland, der plante, auf Kaffeetassen mehrere Schockfotos abzudrucken. Eine der Tassen zeigt ein 6-8jähriges Mädchen, das von einer jungen Frau gezüchtigt wird. Dabei liegt das Mädchen mit entblößtem Gesäß nach oben bäuchlings über den Knien der Frau. Diese wiederum sitzt auf einem Sofa und schlägt das Kind mit einem hölzernen Gegenstand auf das nackte Gesäß. Das Kind scheint zu schreien, jedenfalls zu wimmern. Das skizzierte Motiv ist farbig abgebildet.

Schocken zu Akquisezwecken?

Die unschöne Abbildung wird mit dünnen gekreuzten, roten Streifen durchstrichen. Links neben der Abbildung befindet sich der Text: „Körperliche Züchtigung ist verboten (§ 1631 Abs. 2 BGB)“.

Rechts neben der Abbildung sind die Kanzleidaten abgedruckt.

  • Der Anwalt fragte bei der Rechtsanwaltskammer Köln an, ob die Werbung zulässig sei.
  • Die beschied ihn, dass die beabsichtigte Werbemaßnahme auf Kaffeetassen nicht mit dem anwaltlichen Berufsrecht und dem Wettbewerbsrecht vereinbar und daher zu unterlassen sei.

Die dagegen erhobene Klage vor dem AGH NRW blieb ebenso erfolglos wie das Rechtsmittel vor dem BGH.

Bundesrichter stören sich an Nacktheit

Der BGH hält die Werbung für unsachlich und damit nach § 43b BRAO für rechtswidrig. Diese Bewertung werde nicht dadurch in Frage gestellt, dass die Textzeile „Körperliche Züchtigung ist verboten (§ 1631 II BGB)“ für sich genommen einen gewissen Informationsgehalt aufweise und als solche in einer anwaltlichen Werbung nicht zu beanstanden wäre.

  • „Denn Blickfang für den Betrachter ist - vom Kläger auch so beabsichtigt - die realistische Darstellung des Verprügelns eines Kindes.
  • Dies wird noch dadurch verstärkt, dass das Kind am Unterleib nackt ist, wobei die Unterhose bis zu den Knien herabgezogen ist.
  • Da Nacktheit fraglos kein essentielles Element der Darstellung einer Kindesmisshandlung ist, legt dies die Annahme nahe, dass bei einem Teil des Betrachterkreises auch sexuelles Interesse geweckt werden soll“, meinte der BGH.

Kein Beitrag zur gesellschaftskritischen Auseinandersetzung

Die mit dem Bild in Zusammenhang gestellte Tatsache, dass die körperliche Misshandlung von Kindern im Rahmen der Erziehung in Deutschland seit langem ausdrücklich verboten ist, gerate auf diese Weise zu bloßem Beiwerk und „vermag deshalb auch nicht - was der Kläger zuletzt in den Vordergrund gerückt hat - einen Beitrag zu einer gesellschaftskritischen Auseinandersetzung zu leisten.

Dies insbesondere, weil die Abbildung auf zu Werbezwecken verbreiteten, vom Kläger so genannten "Humpen" aufgedruckt ist. Auch der Umstand, dass der Aufdruck durchgestrichen ist, könne in Anbetracht der reißerischen und sexualisierenden Darstellung keinen Ausgleich schaffen, befanden die höchsten deutschen Zivilrichter.

Gefährdet das Ansehen der Rechtsanwaltschaft

Die Rechtsanwaltskammer habe mit Recht darauf hingewiesen, dass solche Werbung geeignet wäre, bei der rechtsuchenden Bevölkerung den Eindruck zu erwecken, die Rechtsanwaltschaft habe Derartiges nötig, um Mandate zu erlangen, und damit das Ansehen der Rechtsanwaltschaft insgesamt zu beeinträchtigen.

Sachlichkeitsgebot verbietet Anwälten, wie Gewerbetreibender zu werben

Das in § 43b BRAO, § 6 Abs. 1 BORA ausgeformte berufsrechtliche Sachlichkeitsgebot anwaltlicher Werbung ist trotz der damit verbundenen Einschränkung der Berufsausübungsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG), unter Umständen auch der Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG), verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, teilen die BGH-Richter mit. 

Auch nicht EU-konform

Es sei in ähnlicher Form im Gemeinschaftsrecht angesprochen, indem dort den Mitgliedstaaten aufgegeben werde, „die Unabhängigkeit, die Würde und die Integrität des Berufsstandes im Rahmen kommerzieller Kommunikation zu gewährleisten (vgl. Art. 24 Abs. 2 Satz 1 der Richtlinie 2006/123/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 über Dienstleistungen im Binnenmarkt, ABl. Nr. L 376 S. 36).

Gesetzgeber wollte Sachlichkeitsgebot bei Neuordnung des Berufsrechts beibehalten

Dass die Rechtsanwaltschaft unter der Geltung des Sachlichkeitsgebots nicht sämtliche Werbemethoden verwenden darf, die im Bereich der werbenden allgemeinen Wirtschaft (noch) hinzunehmen wären (vgl. zu sog. "Schockwerbung" BVerfGE 102, 347; 107, 275), entspricht auch dem Willen des Gesetzgebers (vgl. Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Neuordnung des Berufsrechts der Rechtsanwälte und der Patentanwälte, BT-Drucks. 12/4993 S. 28; Beschlussempfehlung und Bericht, BT-Drucks. 12/7656 S. 48).

Unabhängigkeit des Rechtsanwalts als Organ der Rechtspflege sichern

Die werberechtlichen Vorschriften des anwaltlichen Berufsrechts dienten dem Zweck, die Unabhängigkeit des Rechtsanwalts als Organ der Rechtspflege zu sichern.

  • Mit der Stellung eines Rechtsanwalts sei im Interesse des rechtsuchenden Bürgers eine Werbung nicht vereinbar, die ein reklamehaftes Anpreisen in den Vordergrund stellt
  • und mit der eigentlichen Leistung des Anwalts sowie dem unabdingbaren Vertrauensverhältnis im Rahmen eines Mandats nichts mehr zu tun hat.

Verboten werden könnten danach unter anderem Werbemethoden, die Ausdruck eines rein geschäftsmäßigen, ausschließlich am Gewinn orientierten Verhaltens seien.

Reißerische Aufmachung contra Informationswert 

Zwar sei es einem Rechtsanwalt nicht verwehrt, für seine Werbung Bilder oder Fotografien zu verwenden, Gegenstände wie etwa Tassen als Werbeträger einzusetzen oder auch Ironie und Sprachwitz als Stilmittel zu gebrauchen.

Die Grenzen zulässiger Werbung seien jedoch überschritten, wenn die Werbung darauf abziele, gerade durch ihre reißerische und/oder sexualisierende Ausgestaltung die Aufmerksamkeit des Betrachters zu erregen, mit der Folge, dass ein etwa vorhandener Informationswert in den Hintergrund gerückt werde oder gar nicht mehr erkennbar seien.

BGH sorgt sich um Image des gesamten Berufsstands

Vor allem aber sorgt sich der BGH wohl um das Image des gesamten Berufsstands, wenn er schreibt: „Derartige Werbemethoden sind geeignet, die Rechtsanwaltschaft als seriöse Sachwalterin der Interessen Rechtsuchender zu beschädigen.“

(BGH, Urteil v. 27.10.2014,AnwZ (Brfg) 67/13).

Schlagworte zum Thema:  Kanzleimarketing, Berufsrecht