Das OLG Hamm hat die Qualifizierung der Tätowierung eines 14-jährigen Kindes als gefährliche Körperverletzung als grundsätzlich möglich in Betracht gezogen. Das Gericht stellte insoweit aber Mindestanforderungen an die tatsächlichen Feststellungen zum Tathergang sowie zu den Tatfolgen.
Mutter tätowierte ihre 14-jährige Tochter
Eine Mutter hatte ihre 14-jährige Tochter eigenhändig mit einer Tätowierung versehen. Gemeinsam mit dem Kindesvater besaß sie das gemeinsame Sorgerecht. Für den Bereich Gesundheitsfürsorge und Aufenthaltsbestimmungsrecht war das Jugendamt als Ergänzungspfleger bestellt. Eine Einwilligung des Jugendamtes zur Tätowierung hatte die Mutter nicht eingeholt.
Freiheitsstrafe von sechs Monaten auf Bewährung
Die StA leitete wegen dieses Vorgehens der Mutter Ermittlungen ein. Das AG verurteilte die Mutter wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von zehn Monaten, die es zur Bewährung aussetzte. Auf die Berufung der Mutter reduzierte das LG das Strafmaß auf eine Freiheitsstrafe von sechs Monaten auf Bewährung.
Tätowierungsgerät als gefährliches Werkzeug
Die Tätowierung mittels eines Tätowierungsgeräts erfüllt nach Auffassung beider Gerichte den Tatbestand der gefährlichen Körperverletzung i. S. v. § 224 Nr. 2 StGB. Das Tätowierungsgerät sei grundsätzlich geeignet, am Körper eines Menschen schwere Verletzungen zu verursachen und dessen gesundheitliches Wohlbefinden erheblich zu beeinträchtigen. Insoweit sei die Tattoonadel als gefährliches Werkzeug im Sinne dieses Straftatbestandes einzuordnen.
LG: Tätowierung kann gefährliche Körperverletzung sein, muss aber nicht
Die Mutter legte gegen ihre Verurteilung wegen gefährlicher Körperverletzung durch das LG das Rechtsmittel der Revision ein. Das Revisionsgericht schloss sich der Auffassung des LG an, wonach ein Tätowierungsgerät grundsätzlich unter den Begriff des gefährlichen Werkzeugs subsummiert werden könne.
Ein Tätowiergerät hat nach Auffassung des Senats aber nicht per se eine solche Eignung, vielmehr komme es auf die konkrete Art der Verwendung an. Nur wenn die Ausführung und Art der Tätowierung im konkreten Fall geeignet war, die körperlichen Funktionen oder das Erscheinungsbild des Opfers so einschneidend zu beeinträchtigen, dass der oder die Geschädigte hierdurch körperlich oder auch psychisch erheblich zu leiden hat, sei der Tatbestand der gefährlichen Körperverletzung erfüllt.
Tattoo muss nach heutiger Verkehrsauffassung Erscheinungsbild nicht beeinträchtigen
Das OLG maß bei der Bewertung der Tat der allgemeinen Verkehrsauffassung eine nicht unerhebliche Bedeutung bei. Nach den heute gesellschaftlich allgemein vorherrschenden Vorstellungen könne eine Tätowierung nicht per se als erhebliche Beeinträchtigung des Erscheinungsbildes einer Person angesehen werden. Auch der Vorgang des Tätowierens begründe als solcher noch nicht ein erhebliches Leiden. Eine konkrete Eignung zu erheblichen Verletzungen sei aber denkbar, wenn etwa das Tätowiergerät nicht fachmännisch verwendet oder nicht hinreichend desinfiziert wurde und es hierdurch zu schwerwiegenden Entzündungen kommt oder wenn durch eine falsche Haltung oder zu hohen Druck Verletzungen tieferer Gewebeschichten hervorgerufen würden.
Sachgemäße Anbringung der Tätowierung ist nicht auszuschließen
Nach den tatsächlichen Feststellungen des LG war die Angeklagte zwar keine ausgebildete Tätowiererin, allerdings hatte sie sich selbst bereits einige Tätowierungen beigebracht. Sie sei also nicht unerfahren und hat nach eigener, nicht widerlegter Aussage die Tätowierung bei ihrer Tochter unter penibler Einhaltung der Hygieneregeln angebracht.
Lücken in den tatsächlichen Feststellungen des LG
Vor dem Hintergrund dieser Einlassung der Angeklagten bemängelte das OLG, dass das LG keine hinreichenden tatsächlichen Feststellungen zum eigentlichen Akt der Tätowierung und deren Folgen getroffen habe. Weder habe das LG sich mit der Frage der Schmerzzufügung noch mit der Frage des anschließenden Gesundheitszustandes und einer möglichen Beeinträchtigung des Erscheinungsbildes des Körpers des Kindes beispielsweise durch die Art des angebrachten Motivs und/oder dessen Größe auseinandergesetzt.
Bestrafung auch wegen einfacher Körperverletzung möglich
Nach Auffassung des OLG tragen die bisherigen tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz eine Verurteilung wegen gefährlicher Körperverletzung nicht. Die Frage der fehlenden Einwilligung des Jugendamtes spiele für die Frage der Einordnung als gefährliche Körperverletzung keine Rolle, sondern erst hinsichtlich der Frage der Rechtswidrigkeit der Körperverletzung.
Mangels Einwilligung sei das Verhalten der Angeklagten als einfache Körperverletzung in jedem Fall strafbar. Bei Anwendung des Strafrahmens des § 223 StGB (einfache Körperverletzung) sei aber nicht auszuschließen, dass die Bestrafung der Angeklagten geringer ausfalle als bei einer Ahndung als gefährliche Körperverletzung.
LG muss erneut entscheiden
Der Senat hat die erstinstanzliche Verurteilung daher aufgehoben und die Sache zur weiteren Sachaufklärung und Entscheidung an die Vorinstanz zurückverwiesen.
(OLG Hamm, Urteil v. 2.9.2021, 4 RVs 84/21).