Bürgermeister wegen fahrlässiger Tötung verurteilt, weil Dorfteich nicht gesichert war


Tod im Teich: Bürgermeister wegen fahrlässiger Tötung verurteilt

Tragisches Schicksal einer Familie: Drei Kinder ertrinken beim Angeln im Dorfteich, wohl während zwei das dritte zu retten versuchten. Weil der Bürgermeister den Teich nicht mit einem Zaun absichern ließ, hat ihn das Amtsgericht Schwalmtal nun wegen fahrlässiger Tötung zu einer Bewährungsstrafe verurteilt. Wurde hier die Verkehrssicherungspflicht überspannt? 

Eine schreckliche Tragödie spielte sich am 18. Juni 2016 am Dorfteich des nordhessischen Neukirchen ab. Drei 5, 8 und 9 Jahre alte Geschwister spielten an dem Teich. Nach Ermittlungen der Polizei soll der fünfjährige Junge mit hoher Wahrscheinlichkeit mit einem sogenannten Kinder-Kescher am Wasser geangelt haben. Einiges spreche dafür, dass er hierbei in den Teich gerutscht sei.

Glitschige Böschung wurde zur Todesfalle für die Kinder

Die beiden älteren Geschwister hätten der Spurenlage nach versucht, ihn wieder aus dem Teich zu ziehen und seien dabei selbst hineingerutscht. Die zum Teich hinabführende steile Böschung sei mit einer neuen Pflasterung versehen worden und infolge von Regen nass und glitschig gewesen. Auf dem glitschigen Boden habe man aus dem Teich nur schwer oder gar nicht herauskommen können. Selbst die beiden Männer, die den fünfjährigen Jungen aus dem Wasser geborgen hatten, waren nicht in der Lage, ohne fremde Hilfe wieder aus dem Teich zu gelangen. Erst nachdem die Feuerwehr eine Leiter die Böschung heruntergeschoben habe, sei ihnen das Verlassen des Teiches möglich gewesen. An der Stelle, an der das Unglück passierte, ist der Teich ca. 2 m tief.

Keine Anzeichen für Fremdeinwirkung

Die kriminaltechnischen Untersuchungen bestätigten diese Vermutungen der Polizei. Anzeichen für eine irgendwie geartete Art von Gewaltanwendung durch Dritte wurde nicht gefunden.

Der Dorfteich war Freizeitteich und Feuerlöschteich

Der „Steigertshäuser Teich“ wird seit Jahrzehnten zu Freizeitzwecken genutzt. Häufig finden dort Spielveranstaltungen statt. Nach Angaben des Bürgermeisters wurde der Teich allerdings auch zur Entnahme von Feuerlöschwasser genutzt. Es sei dort aber noch nie der Ruf nach Sicherungsmaßnahmen laut geworden. Der Bürgermeister des Orts übt sein Amt seit ca. 30 Jahren aus.

Kann und muss man sämtliche Gewässer des Landes absichern?

In der Verhandlung ließ er sich dahingehend ein, dass er den Teich in keiner Weise als Gefahrenquelle erkannt und das Erfordernis von Sicherungsmaßnahmen nicht in Erwägung gezogen habe, andernfalls müsse man sämtliche Gewässer, Seen und Flüsse absichern. Auch von den städtischen Gremien sei nie eine solche Forderung erhoben worden. Eine Anweisung zum Errichten eines Zaunes habe er rechtlich auch gar nicht geben können. Eine solche Maßnahme hätte von der Stadtverwaltung vorgeschlagen werden und vom Stadtrat beschlossen werden müssen. Er selbst sei hierzu nicht befugt gewesen.

DIN-Normen schreiben Absicherung von Feuerlöschteichen vor

Das Gericht hatte vor diesem Hintergrund zu entscheiden, ob den Bürgermeister der Gemeinde eine Verkehrssicherungspflicht traf und ob er diese verletzt hatte. Hierbei spielte die Frage, ob der Dorfteich als Freizeitteich oder als Feuerlöschteich einzuordnen ist, eine nicht unerhebliche Rolle. Ein Löschteich muss nach DIN 14210 mit einer 1,25 m hohen Umfriedung abgesichert werden, die Norm gilt nicht für Fisch- oder Badeteiche.

BGH misst den DIN-Normen deliktsrelevante Bedeutung zu

Auch der BGH hat sich mit dem Problem bereits befasst. Nach der rechtlichen Wertung des BGH spiegeln die DIN-Normen den Stand der für die betroffenen Kreise geltenden, anerkannten Regeln der Technik wider und sind damit geeignet, das nach der Verkehrsauffassung zur Sicherheit Gebotene zu definieren. Die DIN-Normen seien grundsätzlich auch zum Zweck der Gefahrenabwehr für den Einzelnen und für die Allgemeinheit geschaffen worden und hätten deshalb auch eine Bedeutung für die Definition der deliktischen Verkehrssicherungspflicht. Diese Feststellungen traf der BGH u.a. in einem Fall, in dem ein Kind in einen nicht umzäunten Feuerlöschteich gerutscht war und sich hierdurch erhebliche körperliche Verletzungen zugezogen hatte (BGH Urteil v. 12.11.1996 , VI ZR 270/95).

AG bejaht Verletzung der Verkehrssicherungspflicht

Vor dem Hintergrund dieser Rechtsprechung kam das AG im konkreten Fall zu dem Ergebnis, dass der Bürgermeister seine Verkehrssicherungspflicht verletzt habe. Er hätte angesichts der Gefahrenlage, die nicht zuletzt durch die Neuanlegung der bei Regen rutschigen Pflastersteine erhöht worden sei, eine Umfriedung des Teichs zu Sicherheitszwecken zumindest anschieben müssen. Aus den Schilderungen der Polizei sei ersichtlich, dass es nahezu unmöglich sei, ohne fremde Hilfe aus dem Teich wieder herauszukommen, wenn man erst mal drin ist. Dies gelte zumindest für die 2 m tiefe Unglücksstelle, die für die Kinder zur tödlichen Falle geworden sei.

Bundesweite Signalwirkung für die Haftung von Bürgermeistern

Im Ergebnis hat sich das AG zwar um eine möglichst niedrige Strafe aus dem Strafrahmen eines Tötungsdelikts bemüht, dennoch beinhaltet die Verurteilung zu 100 Tagessätzen a 120 Euro, also insgesamt 12.000 Euro, für den Bürgermeister einen empfindlichen Schuldspruch, auch wenn die Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt ist. Hinzu kommt die Auflage der Zahlung eines Geldbetrages in Höhe von 4.000 Euro an eine gemeinnützige Einrichtung. Die Entscheidung könnte bundesweit Signalwirkung haben für den Umfang der Verkehrssicherungspflichten und die persönliche Verantwortlichkeit von Verwaltungschefs bei deren Verletzung.

Hat das AG die Verkehrssicherungspflicht überspannt?

Der Verteidiger des Bürgermeisters, ein ehemaliger Oberstaatsanwalt aus Frankfurt, hat die Frage aufgeworfen, wer bei einer - nach seiner Auffassung -  solch ausufernden Verantwortlichkeit eines Verwaltungschefs in Zukunft noch Bürgermeister werden wolle, zumal Bürgermeister in der Öffentlichkeit inzwischen ohnehin jeder Menge Beschimpfungen, Beleidigungen bis hin zu Bedrohungen und körperlichen Angriffen ausgesetzt seien. Dem Urteil liege eine unverhältnismäßige Überspannung der Verkehrssicherungspflicht zu Grunde. Er hat deshalb Berufung gegen die Entscheidung angekündigt ((AG Schwalmtal, Urteil v. 20.2.2020).

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