Die Studie des kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen ist eindeutig: Anfang bis Mitte der 90er Jahre führten noch über 20 % der angezeigten Vergewaltigungen zu einer Verurteilung des Täters; im Jahr 2012 waren es nur noch 8,4 %. Die Gründe sind vielfältig, das Ergebnis aber ist keineswegs akzeptabel, wie der Direktor des Kriminologischen Instituts Niedersachsen Prof. Christian Pfeiffer befindet.
Vergewaltiger springen nur selten aus dem Gebüsch
Der Albtraumfall, in dem ein Vergewaltiger im Park wie aus dem Nichts auftaucht, ist in der Realität die absolute Ausnahme. In solchen Fällen der „Fremdvergewaltigung“ führt tatsächlich die DNA-Analyse oft schnell zu einem Ermittlungserfolg.
Neueste kriminaltechnische Ermittlungsmethoden wie die Faserspuren- und die DNA- Analyse scheinen aber nicht immer zu fruchten, denn viel öfter gehören Vergewaltiger zum Bekanntenkreis oder zum beruflichen Umfeld der betroffenen Frauen oder sogar zur Familie.
In solchen Fällen hilft eine DNA-Analyse häufig nicht weiter. Wenn der Täter den sexuellen Kontakt grundsätzlich einräumt, aber darauf pocht, dass dieser einvernehmlich erfolgte, steht oft Aussage gegen Aussage und es geht meist nur noch um die Frage der Gewaltausübung oder der Einvernehmlichkeit.
Vergewaltigung in der Ehe
Seit die Vergewaltigung in der Ehe unter Strafe gestellt ist, häufen sich auch die Anzeigen von Ehefrauen. Zugleich mit dem Straftatbestand der Vergewaltigung in der Ehe wurde auch der erzwungene Oralverkehr in den Tatbestand der Vergewaltigung aufgenommen. Fehlt es an sichtbaren körperlichen Verletzungen, so ist eine Verurteilung in der Praxis oft schwer zu erreichen. Dies jedenfalls legt die Studie nahe.
Kachelmann-Verfahren hat viele Opfer abgeschreckt
In jüngster Zeit hatten einige spektakulären Verfahren eine abschreckende Wirkung auf das Anzeigeverhalten der Frauen. Wie die Untersuchung zu Tage gefördert hat, befürchten viele Opfer sexueller Straftaten, den Belastungen eines Strafverfahrens nicht gewachsen zu sein. Lang andauernde Gerichtsverfahren wie das in der Öffentlichkeit endlos diskutierte Kachelmann-Verfahren mit negativem Ausgang und Gegenklagen für die Anzeigeerstatterin machen den Frauen nicht gerade Mut.
10% Falschanzeigen
Trotz dieser Faktenlage sprechen sich die meisten Strafverteidiger gegen strafprozessuale Erleichterungen für die betroffenen Frauen aus. Sie verweisen darauf, dass jeder Angeklagte das Recht auf eine umfassende Verteidigung habe. Das Befragungsrecht der Rechtsanwälte gegenüber den Opfern dürfe auf keinen Fall eingeschränkt werden. Immerhin seien statistisch gesehen um die 10 % der Anzeigen bei Vergewaltigungsfällen unwahr. Ob aus Rache, verletztem Stolz oder sonstigen Motiven. Keinesfalls dürfe das Fragerecht des Strafverteidigers beschnitten werden, alles zu tun, um solche unrichtigen Strafanzeigen aufzudecken.
Verteidiger weisen dabei auf den spektakulären Fall des Lehrers Arnold, der infolge der Falschbeschuldigung durch seine Lehrerkollegin sieben Jahre unschuldig im Gefängnis saß (LG Darmstadt, Urteil v. 13.09.2013, 331 Js 7379/89) oder des Vaters, der aufgrund von Falschbeschuldigungen durch seine Tochter viele Jahre im Gefängnis verbrachte und erst 2013 vom LG Memmingen rehabilitiert wurde (LG Memmingen, Urteil v. 29.10.2013, 1 KLS 220 Js 16257/11).
Dokumentation der Erstaussage ist wichtig
Der Kriminologe Christian Pfeiffer betont, dass nach seinen Untersuchungen die Verurteilungswahrscheinlichkeit deutlich steige, wenn die Erstaussage des Opfers sorgfältig dokumentiert werde, am besten per Video und Tonträger. Gerade anhand der ersten Aussagen ließen sich einerseits Ungereimtheiten und damit Falschbeschuldigungen besser aufdecken, andererseits sich durch unmittelbar nach der Tat noch vorhandene Erinnerungen an spezifische Abläufe die Folgerichtigkeit der Darstellung später besser erhärten.
Starke Unterschiede zwischen den Bundesländern
Unklar bleibt nach der Untersuchung, aus welchen Gründen die Verurteilungswahrscheinlichkeit in den einzelnen Bundesländern extrem schwankt. In einigen Bundesländern ist die Wahrscheinlichkeit, dass eine Strafanzeige wegen Vergewaltigung zur Verurteilung führt sechsmal höher als in anderen. Interessant ist auch die Entwicklung bei der Zuordnung der Tatverdächtigen.
Waren im Jahr 1994 noch in 30 % des aufgeklärten Fälle die Tatverdächtigen fremde Täter, lag der Anteil im Jahr 2012 unter 18 %. Der Anteil der Tatverdächtigen, die mit dem Opfer verwandt waren, stieg im gleichen Zeitraum von 7,5 auf 27,9 %. Zum Teil beruht dies auf der Aufnahme des Tatbestandes der ehelichen Vergewaltigung im Jahr 1998 ins Strafgesetzbuch.
Im übrigen zeigt die niedersächsische Untersuchung, dass die Anzeigebereitschaft der Frauen gegenüber familiär verbundenen Tätern erheblich gestiegen ist. Nach Feststellung der EU-Grundrechteagentur hat in der EU jede dritte Frau mindestens einmal im Leben körperliche oder sexuelle Gewalt erlebt. Das sind ca. 62 Millionen Opfer.
Außerhalb der EU
Bemerkenswert ist, dass die Verfolgung von Tätern sexueller Gewalt sich in vielen Teilen der Welt im Umbruch befindet. Dies gilt insbesondere für Schwellenländer wie Indien. Dort zeigen sich die Medien als treibende Kraft in der Diskussion um die strafrechtliche Verfolgung von Sexualtätern. Die Zeiten, als indische Gerichte Freisprüche damit begründeten, dass die neuen Fast-Food-Gewohnheiten zu starken Hormonschwankungen bei Männern führten und es hierdurch zu Vergewaltigungen komme, dürfen zumindest in den Großstädten vorbei sein.
Amnesty International drängt darauf, das Thema Gewalt gegen Frauen weltweit ganz nach oben auf die Agenda zu setzen.