Arzt haftet nicht automatisch für Fehldiagnose im Rahmen einer Krebsvorsorge
Die im Jahre 1968 geborene Klägerin suchte seit August 2006 den beklagten Arzt regelmäßig zur Krebsfrüherkennung auf. Nach ihrer eigenen – von dem Beklagten bestrittenen – Darstellung hatte sie den Arzt bei der Früherkennungsuntersuchung im Juli 2007 auf eine von ihr selbst ertastete Verhärtung der rechten Brust hingewiesen. Unstreitig hatte der beklagte Arzt selbst eine solche Verhärtung durch Ertasten nicht feststellen können. Bei dem weiteren Termin im November 2007 führte der Beklagte eine Sonographie durch, die ebenfalls zu keinem Negativbefund führte. Im März 2008 entdeckte der beklagte Arzt durch Abtasten eine auffällige Verhärtung der rechten Brust und überwies die Klägerin daraufhin zur Mammographie, bei der ein ausgedehntes Mammakarzinom diagnostiziert wurde. Nach Operation, Chemotherapie und Bestrahlungstherapie entwickelte sich bei der Patientin ein chronisches Lymphödem, das weitere aufwändige Behandlungen erforderlich machte. Wegen der erheblichen gesundheitlichen Folgen verklagte die Patientin ihren Arzt auf Schadenersatz, Schmerzensgeld sowie auf Zahlung einer monatlichen Rente von 1.000 EUR. Weder beim LG noch beim OLG drang sie mit der Klage durch.
Behandlungsfehler nicht nachgewiesen
Nach Auffassung des OLG-Senats war es der Klägerin schon nicht gelungen, einen Behandlungsfehler des Arztes nachzuweisen. Zwar habe der sachverständige Gutachter festgestellt, dass das im März 2008 diagnostizierte Karzinom sich mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit nicht innerhalb von drei Monaten entwickelt habe, sondern bereits bei dem Vorsorgetermin im November 2007 mit hoher Wahrscheinlichkeit vorhanden gewesen sei. Sicher sei dies indes nicht, da sichere Angaben zur Wachstumsgeschwindigkeit eines Tumors nicht möglich seien. Im übrigen sei auch nicht sicher, dass ein möglicherweise bereits im November 2007 vorhandenes Karzinom auch zu diesem Zeitpunkt schon ertastbar gewesen sei.
Eine unrichtige Diagnose ist noch kein Behandlungsfehler
Das OLG wies darauf hin, dass selbst dann, wenn man einen Diagnosefehler des Arztes unterstellte, nach der Rechsprechung des BGH ein Behandlungsfehler erst dann vorliege, wenn der Arzt die erhobenen Befunde vorwerfbar fehlinterpretiert habe (BGH, Urteil v. 08.07.2003, VI ZR 304/02). Nach dieser Rechtsprechung bestehe für erstellte Diagnosen grundsätzlich ein Beurteilungs- und Entscheidungsspielraum, den der Arzt nach Angaben des Sachverständigen im vorliegenden Fall nicht durch einen Interpretationsfehler überschritten habe. Insbesondere habe der Arzt aufgrund der von ihm vorgenommene Interpretation der Früherkennungsuntersuchung im November 2007 keine Veranlassung gehabt, weitere Untersuchungen anzuordnen. Da die ärztlichen Unterlagen auch keinen Hinweis darauf enthielten, dass die Patientin selbst auf eine von ihr ertastete Verhärtung hingewiesen habe, könne der Senat diesen Umstand nicht als erwiesen angesehen.
Negative Auswirkungen auf Heilungsverlauf nicht nachgewiesen
Das OLG stellte einen zweiten Mangel in der Beweisführungskette der Klägerin heraus: Nach Auffassung des Senats hätte selbst dann, wenn ein vorwerfbarer Behandlungsfehler des Arztes unterstellt würde, die Klägerin nicht hinreichend dargelegt und bewiesen, dass bei einer frühzeitigen Erkennung des Karzinoms der anschließende Behandlungsverlauf weniger belastend gewesen wäre. Der Senat hob hervor, dass die Amputation der rechten Brust, die erduldete Chemotherapie und die anschließende Strahlentherapie die Klägerin stark belastet hätten. Jedoch habe der Sachverständige nicht ausschließen können, dass bei einer Erkennung des Karzinoms im November 2007 die gleiche Behandlung erforderlich gewesen wäre und damit auch die gleichen schwerwiegenden Folgen für die Gesundheit der Klägerin eingetreten seien. Damit sei nicht mit hinreichender Sicherheit belegt, dass – der Behandlungsfehler immer noch unterstellt – die späte Erkennung des Karzinoms einen ungünstigen Einfluss auf den Heilungsverlauf gehabt habe.
Vergleichsurteil nicht maßgeblich
Der Senat sah auch keine Vergleichbarkeit mit einem anderen vom OLG Hamm entschiedenen Fall, in dem der betroffenen Patienten Schmerzensgeld zugesprochen wurde. In dem Vergleichsfall habe das Gericht nämlich einen groben Behandlungsfehler in einer risikoerhöhenden Medikamentenanordnung gesehen, die in dem dort entschiedenen Fall zu einer Beweislastumkehr geführt habe (OLG Hamm, Urteil v. 12.8.2013, 3 U 57/13). Ein vergleichbarer Behandlungsfehler sei im vorliegenden Fall aber nicht erkennbar. Die Krebspatientin ging somit im Ergebnis komplett leer aus.
(OLG Hamm, Urteil v. 07.09.2013, 26 U 88/12).
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