Arzthaftung: Nierenspender muss über Risiken aufgeklärt werden

Wer plant, einem Verwandten ein Organ zu spenden, muss vollständig über die Risiken und Folgen der OP aufgeklärt werden, sonst ist der ärztliche Eingriff rechtswidrig und schadensersatzpflichtig. Eine fehlerhafte Aufklärung kann nicht durch die Fiktion folgenlos bleiben, der (edle) Spender hätte trotz der Risiken gespendet.

Der BGH hat entschieden, dass die arzthaftungsrechtlichen Grundsätze zur hypothetischen Einwilligung sind nicht auf Lebendorganspende anwendbar sind. Er hat dazu in zwei parallel gelagerten Fällen eine Grundsatzentscheidung getroffen, die Transplantationsärzte und -kliniken alarmieren sollten.

Tochter gibt Vater eine Niere ab und wird selbst krank

In dem einen Verfahren ging es um die Nierenspende einer Tochter an ihren Vater im Jahr 2009. Dieser litt im Zusammenhang mit seiner Leichtkettenerkrankung an einer chronischen Niereninsuffizienz. Er musste regelmäßig zur Dialyse.

  • Nach der Organspende trat auch bei der Tochter eine Niereninsuffizienz auf,
  • darüber hinaus ein chronisches Fatigue-Syndrom, das ihre Leistungsfähigkeit stark einschränkt.

Zu allem Unglück stieß der Körper des Vaters die gespendete Niere nach fünf Jahren ab.

Nierenspende an Ehefrau mit gesundheitlichen Folgen

In dem weiteren Verfahren war der Ehemann 2010 Nierenspender für seine dialysepflichtige Ehefrau. Nach der Spende kamen zu seiner schon vorher bestehenden Colitis ulcerosa (chronische Darmentzündung) als Folge der Nierenentnahme

  • erhöhte Cholesterin-Werte,
  • höchst kritische Nierenwerte und
  • ein chronisches Fatigue-Syndrom hinzu, das seine Erwerbsfähigkeit reduziert.

Beide Organspender rügten, dass sie über diese – bei ihnen eingetretenen – Risiken vor der Entnahme nicht ausreichend informiert worden waren und verlangten von Ärzten und Klinikum Schadensersatz.

Vorinstanzen gingen von hypothetischer Spender-Einwilligung aus

In erster und zweiter Instanz entschieden das Landgericht Essen bzw. das OLG Hamm die Abweisung der Schadensersatzansprüche der Kläger. In beiden Fällen wurden

  • diverse formelle und inhaltliche Aufklärungsfehler entweder festgestellt oder
  • man ließ sie dahingestellt, um sie sodann
  • mit Hilfe des Konstrukts der hypothetischen Einwilligung - übernommen aus dem Arzthaftungsrecht - als unbeachtlich unter den Tisch fallen zu lassen.

Die Übertragbarkeit des rechtmäßigen Alternativverhaltens auf die Lebendorganspende wurde nicht problematisiert, sondern einfach angenommen.

Die Richter schätzten die Tochter und den Ehemann im Ergebnis jeweils so ein, dass sie sich auch bei richtiger und vollständiger Aufklärung über die Risiken zur Organspende entschlossen hätten.

Umkehr der Entscheidungen durch den BGH

Die Kläger gingen unbeirrt den Rechtsweg weiter. Ihr Durchhaltevermögen wurde am Ende belohnt. Sie obsiegten – und das ist selten genug – mit ihren Nichtzulassungsbeschwerden und nun auch in den Revisionen.

Form- und verfahrenstechnische Fehler bei der ärztlichen Aufklärung

Der BGH unterschied nach der Art der festgestellten Verstöße:

Es wurden zum einen form- und verfahrenstechnische Fehler bei der Aufklärung begangen.

  • Es war z.B. kein neutraler Arzt beim Aufklärungsgespräch dabei (§ 8 Abs.2 S.3 Transplantationsgesetz, TPG) und
  • die Beteiligten hatten keine Niederschrift des Aufklärungsgesprächs unterzeichnet (§ 8 Abs.2 S.4 TPG). 
  • Solche Verstöße führen laut BGH nicht per se zur Unwirksamkeit der Einwilligung der Spender in die Organentnahme und zu deren Rechtswidrigkeit. Allerdings sind sie bei der Beweiswürdigung starkes Indiz dafür, dass die Risikohinweise unzureichend waren.

Die Behandlungsseite ist beweisbelastet.

Entscheidungserhebliche Gesundheitsrisiken wurden nicht mitgeteilt

Darüber hinaus gab es inhaltliche Fehler bei der Aufklärung. Beiden Spendern wurde mehr oder weniger suggeriert, dass das Leben nach der Transplantation ganz normal ohne Einschränkungen weiterginge. Keiner von Beiden wurde darauf hingewiesen,

  • dass die zweite Niere die Arbeit der gespendeten nur zu etwa 70 % kompensiert und
  • dass das Risiko einer eigenen Niereninsuffizienz wegen niedriger Ausgangswerte besteht.
  • Genauso wenig wurde das Fatigue-Syndrom als mögliche Folge angesprochen.

Der Tochter wurde auch nicht gesagt, dass die Vorerkrankung ihres Vaters ein höheres Risiko des Abstoßens birgt.

BGH lässt Gerichte nicht über Edelmut der Spender spekulieren

Im Gegensatz zu den Vorinstanzen hielt der BGH diese mangelnde Aufklärung inhaltlicher Art für beachtlich mit der Folge der Rechtswidrigkeit des Eingriffs.  Vor allem aber will er gar nicht erst damit anfangen, den Organspendern zu unterstellen, sie hätten trotzdem eingewilligt oder sich auch nur diese Frage zu stellen. Er verweist auf

  • die Besonderheiten des Transplantationsgesetzes (TPG),
  • das es zum Schutz des Spenders streng formuliert ist.

So ist beispielsweise die Weitergabe eines nicht regenerierungsfähigen Organs wie die Niere eins ist, nur für eine besonders nahestehende Person möglich (§ 8 Abs.1 S.2 TPG).

Jede Risikoinformation kann relevant sein für die sehr persönliche, konfliktbeladene Entscheidung des Spenders. Darüber hinaus sähe der BGH das notwendige Vertrauen künftiger Spender erschüttert, wenn eine rechtswidrige Organentnahme sanktionslos bliebe und die besonderen Anforderungen an die Aufklärung unterlaufen würden.

Das OLG Hamm muss sich nun mit der Höhe der Schadensersatzansprüche der Spender beschäftigen.

(BGH, Urteile v. 29.01.2019, VI ZR 495/16 und VI ZR 318/17).


Hintergrund:

Wer darf als lebender Organspender fungieren?

Volljährige Personen dürfen Organe spenden (§ 8 TPG). Voraussetzung dafür ist,

  • dass der Spender ärztlich umfassend aufgeklärt wurde,
  • eingewilligt hat,
  • als Spender geeignet erscheint
  • und nicht - über das Operationsrisiko hinausgehend - gefährdet
  • oder schwer beeinträchtigt wird.

Die Übertragung des Organs muss geeignet erscheinen,

  • das Leben des Empfängers zu erhalten
  • oder eine schwerwiegende Krankheit zu heilen
  • oder die Beschwerden zu lindern.

Einschränkung für "nicht erneuerbare" Organe

Die Entnahme von Organen, die sich nicht wieder bilden können, ist darüber hinaus nur zulässig zum Zwecke der Übertragung

  • auf Verwandte ersten oder zweiten Grades,
  • Ehegatten, eingetragene Lebenspartner,
  • Verlobte oder andere Personen,
  • die dem Spender in besonderer persönlicher Verbundenheit offenkundig nahe stehen (§ 8 Abs. 1 Satz 2 TPG).

Hiermit soll unter anderem eine leichtfertige oder aus Druck oder finanziellen Gründen beeinflusste Spende verhindert werden.


Schlagworte zum Thema:  Arzthaftung, Organspende, Einwilligung