BGH zur Verjährungshemmung durch Schlichtungsverfahren
Mit dieser Grundsatzentscheidung hat der BGH die Geltendmachung der Rechte von Patienten in Arzthaftungsprozessen erleichtert. In dem vom BGH entschiedenen Fall war der Kläger im Mai 2007 von einer Zecke gebissen worden. Ein knappes halbes Jahr später begab er sich wegen erheblicher Schmerzen im rechten Knie in orthopädische Behandlung. Nach mehreren Untersuchungen diagnostizierte der Orthopäde im März 2008 eine Entzündung der inneren Gelenkkapsel. Im Juni 2008 suchte der Kläger ein Kniezentrum auf. Dort wurde festgestellt, dass der Kläger an Borreliose erkrankt war und die Infektion inzwischen eine Arthritis in nahezu allen Körpergelenken ausgelöst hatte.
Haftpflichtversicherung wendet Verjährung ein
Der Kläger war der Auffassung, der von ihm konsultierte Orthopäde habe entgegen den Regeln der ärztlichen Kunst eine unrichtige Diagnose erstellt und dadurch die erheblichen Folgeerkrankungen verschuldet. Mit Formularschreiben vom 15.12.2011 stellte der Kläger einen Schlichtungsantrag bei der Schlichtungsstelle für Arzthaftpflichtfragen der norddeutschen Ärztekammern. Der Antrag ging am 22.12. 2011 bei der Schlichtungsstelle ein und wurde dem beklagten Arzt Anfang 2012 bekannt gegeben. Mit Schreiben vom 11.4.2012 lehnte die Haftpflichtversicherung des beklagten Arztes die Durchführung eines Schlichtungsverfahrens ab und berief sich auf die Verjährung eines möglichen Arzthaftungsanspruches.
Kläger scheiterte in den ersten beiden Instanzen
Mit seiner gegen den Arzt eingereichten Klage scheiterte der Kläger sowohl beim LG als auch beim zweitinstanzlich zuständigen OLG. Beide Instanzen gingen davon aus, dass mögliche Schadensersatzansprüche des Klägers verjährt seien. Insbesondere sei durch Einreichung des Antrages bei der Schlichtungsstelle keine Hemmung der Verjährung eingetreten, da die Hemmung der Verjährung in diesem Fall nur dann eintrete, wenn die Gegenpartei sich freiwillig auf das eingeleitete Verfahren einlasse.
Verjährungsfrist endete grundsätzlich Ende 2011
Der BGH stellte in seinem Revisionsurteil klar, dass die regelmäßige Verjährungsfrist nach § 195 BGB mit Schluss des Jahres 2008 gemäß § 199 Abs. 1 BGB zu laufen begonnen habe. Damit wäre die Forderung des Klägers nach drei Jahren mit Ablauf des Jahres 2011 verjährt, wenn nicht vorher ein Hemmungs- oder Neubeginntatbestand eingesetzt hätte.
Verjährungshemmung nur bei einvernehmlichen Güteverfahren
Eine solche Hemmung ist nach Auffassung des BGH aber durch Eingang des Schlichtungsantrags bei der ärztlichen Schlichtungsstelle vor Ablauf des Jahres 2011 rechtzeitig eingetreten. Rechtsgrundlage für die Beurteilung ist nach Auffassung des Senats § 204 Abs. 1 Nr. 4 BGB in der bis zum 25.2.2016 geltenden Fassung. Danach wird die Verjährung gehemmt durch die Veranlassung der Bekanntgabe des Güteantrages, der bei einer durch die Landesjustizverwaltung eingerichteten oder anerkannten Gütestelle oder, wenn die Parteien den Einigungsversuch einvernehmlich unternehmen, bei einer sonstigen Gütestelle eingereicht ist. Da es sich vorliegend um eine von den Ärztekammern eingerichtete und damit im Sinne des Gesetzes um eine „sonstige“ Gütestelle handelte, war nach dem Diktum des BGH das Einvernehmen zwischen den Parteien Voraussetzung für eine Verjährungshemmung.
Einvernehmen wird unwiderleglich vermutet
Anders als die Vorinstanzen war nach Auffassung des Senats allerdings vom Vorliegen eines solchen Einvernehmens auszugehen. Der BGH verwies insoweit auf die von den Vorinstanzen verkannte Vorschrift der bis zum 31.3.2016 geltenden Fassung des § 15a Abs. 3 Satz 2 EGZPO. Nach dieser Vorschrift wird das Einvernehmen nämlich unwiderleglich vermutet, wenn der Verbraucher
- eine branchengebundene Gütestelle, eine Gütestelle der Industrie- und Handelskammer oder der Handwerkskammer oder Innung angerufen hat.
- Entgegen der Auffassung der Vorinstanzen sei diese Vorschrift auch im Rahmen der Verjährungsvorschriften anwendbar.
- Dies folge unmittelbar aus dem Willen des Gesetzgebers, der mit dieser Vorschrift die verjährungsrechtliche Benachteiligung der Verfahren vor nicht durch die öffentliche Verwaltung eingerichteten Gütestellen habe beseitigen wollen.
Ablehnung des Schlichtungsverfahrens hindert die Verjährungshemmung nicht
Nach Auffassung des BGH sind die Schlichtungsstellen der Ärztekammern branchengebundene Gütestellen im Sinne dieser Vorschrift.
- Damit werde das Einvernehmen des Antragsgegners unwiderleglich vermutet, so dass die die Verjährung hemmende Wirkung mit Bekanntgabe des Antrags zwingend eintrete.
- Hierbei sei es ohne Bedeutung, dass die Haftpflichtversicherung des Beklagten die Durchführung des Schlichtungsverfahrens abgelehnt hat.
- Auch die Frage, ob nach der Verfahrensordnung der jeweiligen Schlichtungsstelle der Schlichtungsantrag unzulässig oder unbegründet ist, hindere den Eintritt der Hemmungswirkung nicht.
Das OLG muss weiter aufklären
Schließlich änderte es nach Auffassung des BGH auch nichts, dass dem Beklagten der Schlichtungsantrag erst Anfang des Jahres 2012 bekannt gegeben wurde. Gemäß § 204 Abs. 1 Nr. 4 GBG a.F. wirke die Hemmung auf den Zeitpunkt der Einreichung des Güteantrags zurück, wenn die Bekanntgabe „demnächst“ nach der Einreichung veranlasst werde. Diese Voraussetzungen sah der BGH im vorliegenden Fall als erfüllt an.
Somit hob der BGH die Entscheidung der Vorinstanz auf und verwies die Sache zur weiteren Verhandlung und erneuten Entscheidung an das Berufungsgericht zurück.
(BGH, Urteil v. 17.1.2017, VI ZR 239/15)
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