Für gewerbliche Winterdienste gelten strengere Anforderungen an die Streupflicht
Anfang März 2015 fuhr eine 54-jährige Radfahrerin frühmorgens zu einem Supermarkt in Neukeferloh bei München und stürzte dort aufgrund einer vereisten Fläche unmittelbar vor dem Radstellplatz. Sie erlitt eine Fraktur des rechten Mittelfingers mit Kapselanriss und hat heute noch Schwierigkeiten, die Hand zu einer Faust zu ballen bzw. Flaschen zu öffnen. Die weitere Entwicklung ist hier ungewiss.
Glätte und Streubedarf waren nicht ohne Weiteres zu erkennen
Die Klägerin bestätigte, dass die Straßen und Wege an diesem Tag im Wesentlichen schneefrei gewesen seien. Es habe jedoch am Vortag geregnet und die Nacht sei sehr kalt gewesen, so dass sie deshalb vorsichtig gefahren sei.
Gemeinde beauftragte Unternehmen mit dem Winterdienst
- Mit ihrer Klage verlangte sie von dem beklagten Unternehmen
- die Zahlung von 3.000 EUR Schmerzensgeld
- und die Feststellung, dass dieses verpflichtet sei, auch alle zukünftigen Schäden aus dem Sturz zu ersetzen.
Das beklagte Unternehmen, welches von der Gemeinde für Winterdienst beauftragt wurde, verteidigte sich damit, dass es von der Gemeindeverwaltung an diesem Tag nicht zum Einsatz gerufen worden sei, da die Flächen schnee- und eisfrei gewesen sein sollen. Zudem sei noch genügend Splitt vorhanden gewesen.
Temperaturen knapp über dem Gefrierpunkt – vereiste Fläche wahrscheinlich
Das Amtsgericht München bestätigte eine fahrlässige Verletzung der Verkehrssicherungspflichten der Beklagten.
- Die Verkehrssicherungspflicht, insbesondere der Winterdienst, sei unstreitig von der Gemeinde auf die Beklagte übertragen worden.
- Das Unternehmen sei daher verpflichtet gewesen, an diesem Tag eine Kontrolle durchzuführen
- und bei Feststellung der glatten Stelle zu streuen.
Die zuständige Richterin war zur Überzeugung gelangt, dass aufgrund der in München zu diesem Zeitpunkt vorherrschenden Mindesttemperatur von 0,4 Grad Celsius an der streitgegenständlichen Stelle eine Glätte aufgrund überfrierender Nässe vorlag.
Gewerbliche trifft höhere Sorgfaltspflichten: Verletzung der Kontroll- und Streupflicht bejaht
Da es sich um ein Datum Anfang März handle und zu dieser Zeit üblicherweise in München und Umgebung der Winter noch nicht vorbei sei, so die Richterin in der Urteilsbegründung, könne es auch zu Eis- und Schneeglätte kommen. Aufgrund der an diesem Tag vorliegenden Temperatur sei es auch nicht ausgeschlossen gewesen, dass es an einzelnen Stellen glatt sein könnte. Da die Beklagte den Winterdienst gewerblich ausübe, treffe sie zudem im Vergleich zu privaten Anliegern auch erhöhte Sorgfaltspflichten. Das Urteil ist zwischenzeitlich rechtskräftig, nachdem die Beklagte ihre Berufung zurückgenommen hatte.
(AG München, Urteil v. 8.08.2018, 154 C 20100/17).
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Hintergrund:
Zeitlicher Umfang der Räum- und Streupflicht
Für den Verkehrssicherungspflichtigen heißt es im Winter regelmäßig: Früh aufstehen! Denn grundsätzlich sind Gehwege zu den allgemeinen „Betriebszeiten“, d.h. werktags von 7 Uhr bis 20 Uhr von Schnee und Eis freizuhalten (BGH, Urteil v 20.11.1984, VI ZR 169/83).
Bei besonderen örtlichen Gegebenheiten kann dies aber auch länger sein. Ein Ladenbesitzer, der sein Geschäft für den Publikumsverkehr bis 22 Uhr öffnet, muss auch bis dahin den zu seinem Laden führenden Gehweg frei halten. Sonn- und feiertags wird dar Beginn der Streu und Räumpflicht allgemein erst mit 9 Uhr angenommen.
Räumlicher Umfang: Wie breit muss die Schneise sein?
Auf normalen Gehwegen hat die Räumung in einer Breite zu erfolgen, die es ermöglicht, dass zwei Fußgänger problemlos aneinander vorbei gehen können. Dies entspricht einem Breitenmaß von ca. 1,2 m. Bei wenig frequentierten Gehsteigen soll eine Breite von 50 cm ausreichend sein (OLG Frankfurt a.M., Urteil v. 22.08.2001, 23 U 195/00).
Bei welchen Wetterlagen?
Die Räum- und Streupflicht entsteht nicht erst dann, wenn bereits Schnee gefallen ist und Glatteis sich gebildet hat. Sobald die Wetterlage das Entstehen von Schnee und Glatteislagen wahrscheinlich erscheinen lässt und die entsprechende Lageveränderung unmittelbar bevorsteht, entsteht die Verpflichtung, vorsorglich Streugut auszubringen um Gefahrenlagen zu verhindern.
Salz oder Granulat?
Eine besonders tückische Frage: Viele Kommunen erlauben auf ihrem Gebiet nämlich kein Streusalz und drohen für Zuwiderhandlungen sogar Geldbuße an ( z.B. München, Hamburg und Berlin). Die Zivilgerichte sehen das nicht selten anders und urteilen auf Verletzung der Verkehrssicherungspflicht, wenn bei anders nicht vermeidbaren Glatteislagen kein Salz gestreut wurde. Hier ist dringend eine Harmonisierung erforderlich.
Wohin mit den Schneemassen?
Diese Frage ist ebenfalls nicht einfach zu beantworten. Größere Schneemengen dürfen jedenfalls nicht einfach in die Ablaufrinne der Straße verbracht werden, da sie dort den Straßenverkehr behindern können.
Der Schnee soll so verräumt werden, dass er auf dem Gehweg verbleibt. Sind die Witterungsverhältnisse so katastrophal, dass ein Räumen des Schnees ohne Behinderung anderer Verkehrsteilnehmer nicht möglich ist, so soll die Räumungspflicht im Einzelfall auch ganz entfallen können (OLG Hamm, Urteil v. 03.07.1995, 6 U 16/95).
Bei Stürzen: Schadensersatz und Schmerzensgeld
Kommt es infolge einer nicht ordnungsgemäßen Ausübung der Salz- und Streupflicht zu Sach – und/oder Personenschäden so haftet der Verkehrssicherungspflichtige in vollem Umfange für entstandene Schäden und muss ggfls. auch Schmerzensgeld zahlen. Der Abschluss einer Haftpflichtversicherung für diese Fälle ist daher unbedingt zu empfehlen.
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