Kein Widerrufsrecht bei Messekäufen
Ein Verbraucherverband nahm eine Vertriebsgesellschaft auf Unterlassung in Anspruch. Das Unternehmen bot auf der jährlich stattfindenden Messe „Grüne Woche“ in Berlin Dampfstaubsauger an. Der Preis für die Staubsauger betrug einschließlich Zubehör 1.600 Euro. Ein aus Berlin stammender Besucher zeigte Interesse und unterzeichnete ein Bestellformular. Eine Widerrufsbelehrung enthielt das Formular nicht.
Verbraucherschützer schreiten ein
Nach dem Messebesuch überkam den Berliner ob des doch sehr hohen Preises für einen Staubsauger Kaufreue. Er informierte einen Verbraucherverband über das fehlende Widerrufsrecht. Der Verband forderte darauf von dem Staubsaugervertreiber die Abgabe einer Erklärung, dass er es in Zukunft unterlasse, auf der Messe „Grüne Woche“ in Berlin Kaufverträge über die Lieferung von Dampfstaubsaugern abzuschließen, ohne die Kunden über ihr Widerrufsrecht gemäß §§ 312 g, 355 BGB zu belehren. Nachdem das Vertriebsunternehmen die Abgabe der Unterlassungserklärung verweigerte, nahm der Verband das Unternehmen gerichtlich auf Unterlassung in Anspruch.
Entscheidende Frage: Ist ein Messestand ein Geschäftsraum?
Das angerufene LG machte die Entscheidung über diese Frage an § 312 d Abs. 1 BGB fest. Hiernach besteht ein Widerrufsrecht an außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen. Außerhalb von Geschäftsräumen geschlossen sind Verträge, die bei gleichzeitiger körperlicher Anwesenheit des Verbrauchers und des Unternehmers an einem Ort geschlossen werden, der kein Geschäftsraum des Unternehmers ist. Gemäß der Legaldefinition des § 312 b Abs. 2 Satz 1 2. Halbsatz BGB umfasst der Begriff „Geschäftsräume“ auch bewegliche Gewerberäume, in denen der Unternehmer seine Tätigkeit für gewöhnlich ausübt.
Messestände sind regelmäßig bewegliche Geschäftsräume
Nach Auffassung des LG ist ein Messestand - jedenfalls auf der Grünen Woche – als beweglicher Geschäftsraum im Sinne des Gesetzes zu qualifizieren. Verbrauchern, die dort Kaufverträge abschließen, stehe somit kein Widerrufsrecht zu. Das LG verwies insoweit auch auf die inzwischen mehrfach geänderte Richtlinie 2011/83/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25.10.2011, nach der als Geschäftsräume alle Arten von Räumlichkeiten gelten, an denen der Unternehmer sein Gewerbe ständig oder gewöhnlich ausübt. Hierzu gehören auch Marktstände, Messestände und sogar Lastwagen, wenn sie als Verkaufsraum genutzt werden.
Das Gesetz verlangt keine zeitlich ununterbrochene Nutzung als Geschäftsraum
Aus der Richtlinie folgt nach Auffassung des Gerichts auch, dass der Unternehmer sein Gewerbe in dem Geschäftsraum nicht ständig ausüben müsse, es genüge wenn er dies für gewöhnlich tue. Der Begriff der gewöhnlichen Ausübung setzt nach der Interpretation des Gerichts keine zeitlich durchgehende Tätigkeit voraus. Daher seien auch in regelmäßigen oder unregelmäßigen Abständen genutzte Markt- und Messestände von der Vorschrift umfasst .
Kauf auf einem Messestand erfordert keinen besonderen Verbraucherschutz
Auch nach dem Sinn des Gesetzes, der den Verbraucher vor überraschenden Angeboten oder vor besonderen Drucksituationen außerhalb üblicher Geschäftsräume schützen wolle, ist nach Auffassung des LG ein Verbraucher, der in einer Messehalle für Haustechnik einen Staubsauger kauft, nicht in besonderem Maße schutzbedürftig.
- Das Angebot von Staubsaugern könne für Verbraucher in einer Messehalle für Haustechnik nicht überraschend sein.
- Etwas anderes gelte nur, wenn der Händler auf einem Markt- oder Messestand unerwartet Waren verkaufe, die für die Messe oder den Markt nicht typisch seien.
- Der Verkauf von Staubsaugern in einer Messehalle, die für Haustechnik vorgesehen sei, sei jedenfalls messetypisch.
Schließlich ist nach Auffassung des LG die Situation in einer solchen Messehalle nicht vergleichbar mit Situationen, in denen der Verbraucher außerhalb von Geschäftsräumen – z.B. bei Käufen an der Wohnungstür - überraschend mit unerwarteten Kaufangeboten konfrontiert und deshalb vom Gesetzgeber als besonders schutzwürdig angesehen wird.
Klage abgewiesen
Im Ergebnis handelt es sich nach Auffassung des LG bei einem Messekauf nicht um ein Geschäft, bei dem ein Widerrufsrecht gemäß §§ 312 b, 355 BGB besteht. Das LG wies somit die Unterlassungsklage in vollem Umfang ab.
(LG Freiburg, Urteil v. 22.10.2015, 14 O 176/15)
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