Keine Haftung für versehentlich entsorgte Zahnprothese

Ein Krankenbesuch bei der Mutter ihres Lebensgefährten endete vor Gericht. Die Schwiegertochter in spe entsorgte benutzte Papiertücher in den Ofen. Sie wusste und bemerkte nicht, dass sich darin der Zahnersatz der Kranken befand. Diese verlangte wegen des Versehens der Besucherin Schadensersatz in fünfstelliger Höhe.

Kommt es bei Gefälligkeiten zu einem Schaden für den, dem eigentlich Gutes getan werden sollte, ist die Frage der Haftung besonders diffizil und heikel, nicht zuletzt im Familienkreis. 

Krankenbesuch bei an Pneumonie erkrankter Familienangehörigen

Eine Lungenentzündung fesselte in diesem Rechtsfall eine ältere Frau ans Bett. Ihr Sohn und seine Lebensgefährtin besuchten sie. Bei einem dieser Krankenbesuche räumte die Partnerin des Sohnes im Beisein der Mutter ihres Freundes auf. Unter anderem entsorgte sie einige gebrauchte Papiertaschentücher, die sich auf dem Nachttisch neben dem Bett befanden. Das erwies sich als folgenschwerer Fehler.

Zahnprothese zusammen mit alten Taschentüchern im Ofen verbrannt

Den Taschentuch-Haufen versuchte die hilfsbereite Besucherin so wenig wie möglich zu berühren und warf ihn in den Ofen. Mit Schrecken stellten die Beteiligten bzw. Betroffenen fest, dass der zwanzig Jahre alte Zahnersatz der Kranken der Aufräumaktion zum Opfer gefallen war. Die Erkrankte hatte ihre Zahnprothese in ein Papiertuch gewickelt auf den Nachttisch zusammen mit den alten Taschentüchern gelegt.

Schadensersatzklage wegen versehentlich entsorgtem Zahnersatz

Das Ganze entwickelte sich vom Familienstreit zu in einem Rechtsstreit. Die Frau mit dem entsorgten Zahnersatz verklagte die Lebensgefährtin Ihres Sohnes auf knapp 12.000 EUR Schadensersatz vor dem LG Trier. Nachdem sie dort verloren hatte, legte sie vor dem OLG Koblenz Berufung ein, auch diese erfolglos.

Was aussieht wie Müll, darf ohne weitere Untersuchung weggeworfen werden

Die Gerichte kamen einhellig zu dem Schluss, dass der Papiertaschentuch-Berg nicht vor Entsorgung auf wertvolle Gegenstände untersucht werden musste, da es keinerlei Anhaltspunkte dafür gab.

Geprüft wurden Ansprüche aus vertraglichen und gesetzlichen Schuld- oder Gefälligkeitsverhältnissen und aus unerlaubter Handlung. Das Landgericht nahm dabei eine stillschweigend vereinbarte Haftungsprivilegierung an, die dazu führte, dass die Entsorgerin der Taschentücher nur für grobe Fahrlässigkeit und Vorsatz haftet.

OLG Koblenz verneint auch einfache Fahrlässigkeit

Das OLG Koblenz kam ohne das Haftungsprivileg aus. Es sah in dem Verhalten der Frau schon keine einfache Fahrlässigkeit, weil sie nicht wusste, dass sich der Zahnersatz unter den Tüchern befand und dies auch nicht erkennen konnte oder damit rechnen musste. Die Entsorgung in den Ofen fanden die Richter mit Blick auf die Keime völlig in Ordnung.

Das größere Verschulden lag bei der Kranken selbst

Die Koblenzer Richter drehten den Spieß dann auch noch zu Ungunsten der Klägerin um: sie sahen bei ihr ein Mitverschulden in Form grober Fahrlässigkeit. Sie hätte ihren wertvollen Zahnersatz nicht mitten in die benutzten Taschentücher legen dürfen. Außerdem war sie da, als die Fast-Schwiegertochter aufräumte, hätte sie also aufhalten können.

Berufungsrücknahme nach Bescheinigung fehlender Erfolgsaussichten

Das für die Beteiligten sicherlich unangenehme Verfahren endete nach entsprechendem Hinweis des OLG Koblenz damit, dass die Klägerin ihre Berufung zurücknahm. So sparte sie angesichts der sicheren Niederlage zwei Gerichtsgebühren.

(OLG Koblenz, Hinweis-Beschluss v. 13.4.2021 und Beschluss v. 3.5.2021 (zum Verlust des Rechtsmittel nach Zurücknahme der Berufung), 8 U 1596/20).




Hintergrund: Stillschweigender Haftungsausschluss bei Gefälligkeiten 

Unter besonderen Umständen ist ein stillschweigender Ausschluss der Haftung für leichte Fahrlässigkeit des Gefälligen anzunehmen. Eine derartige Haftungsbeschränkung kann im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung auf der Grundlage des § 242 BGB jedoch nur ganz ausnahmsweise angenommen werden; sie stellt eine künstliche Rechtskonstruktion aufgrund einer Willensfiktion dar, da sie von einem Haftungsverzicht ausgeht, an den beim Abschluss der Vereinbarung niemand gedacht hat.

Voraussetzung ist grundsätzlich,

  • dass der Schädiger, wäre die Rechtslage vorher zur Sprache gekommen,
  • einen Haftungsverzicht gefordert hätte
  • und sich der Geschädigte dem ausdrücklichen Ansinnen einer solchen Abmachung billigerweise nicht hätte versagen können

(BGH, Urteil v. 09.06.1992, VI ZR 49/91, NJW 1992, 2474, OLG Koblenz, Urteil v. 07.07.2015, Az. 3 U 1468/14).


Schlagworte zum Thema:  Haftung, Schadensersatz, Fahrlässigkeit