Schmerzensgeldforderungen nach folgenschweren Operationen

Wer sich einer Operation unterzieht, über die Risiken belehrt wird und die Einwilligungserklärung unterzeichnet (und das betrifft die Mehrzahl der Fälle), der hat bei Verwirklichung eines der Operationsrisiken ein Problem: Ihn trifft die volle Beweislast für einen Behandlungsfehler.

Der Kläger verlor als Folge einer Leistenbruch-OP einen Hoden und nahm - gut nachvollziehbar - die Krankenhausträgerin wegen fehlerhafter ärztlicher Behandlung auf Schmerzensgeld und Schadenersatz in Anspruch. Was auf den 1. Blick naheliegend wirkte erwies sich als schwierig.

Aufklärungspflichten erfüllt, Aufklärungsbogen nicht für alle OP-Varianten vorhanden

Am 01.02.2007 führte der Patient aufgrund einer Krankenhauseinweisung seines Hausarztes im Hospital des Krankenhausträgers ein Vorgespräch wegen der operativen Behandlung eines beidseitigen Leistenhernienrezidivs (Leistenbruch).

  • Im Rahmen des Vorgesprächs empfahl der Oberarzt einer Operation beidseits mit Netzeinlage in konventioneller Technik,
  • von einer Operation in so genannter minimalinvasiver Technik riet er ab.

Am 09.02.2007 führte der Kläger mit einer Krankenhausärztin ein weiteres Aufklärungsgespräch, wobei ihm ein Aufklärungsbogen für die Behandlung von Leistenbrüchen in minimalinvasiver Operationstechnik ausgehändigt wurde. Ein Aufklärungsbogen für die Operation in konventioneller Technik stand nicht zur Verfügung. Die Ärztin erklärte jedoch ausdrücklich den Unterschied.

Postoperative Hämatombildung und Schwellung im Bereich des Skrotums

Da der Kläger privat zusatzversichert zwar, entschied er sich am 13.2.2007, dem Tag der Operation, für eine Operation durch den Chefarzt. Da dieser verhindert war, wurde er aber durch einen anderen Arzt operiert. Postoperativ kam es zu einer Hämatombildung und zu einer Schwellung im Bereich des Skrotums.

Unfruchtbar und sexuelle Leistungsfähigkeit deutlich eingeschränkt

Dies führte im Verlauf der Folgemonate zu einer Verhärtung des rechten Hodens, so dass dieser im Oktober 2007 entfernt werden musste. Der linke Hoden war bereits ebenfalls so geschädigt, dass der Kläger unfruchtbar und seine sexuelle Leistungsfähigkeit deutlich eingeschränkt war.

Nach Auffassung des Klägers waren diese Folgen auf eine fehlerhafte ärztliche Behandlung bei der Leisten- OP zurückzuführen. Er forderte daher vom Krankenhausträger ein Schmerzensgeld von nicht unter 120.000 € sowie materiellen Schadensersatz.

Sachverständiger kann die Ursache der Hodenschädigung nicht klären

Obwohl eine erste Schwellung des Hodens bereits am 17.02.2007, also vier Tage nach der durchgeführten Operation aufgetreten war, sah der Sachverständige sich nicht in der Lage, einen ursächlichen Zusammenhang zwischen der durchgeführten Leisten-OP und der Schädigung des Hodens zu bestätigen.

Der Sachverständige bezeichnete vielmehr die vom Kläger nach der Operation erlittenen Schmerzen und auch die Anschwellung des Hodens als normal. Darüber hinaus zog der Sachverständige eine aus seiner Sicht näher liegende Alternativursache für die Schädigung des Hodens in Erwägung, nämlich eine beim Kläger festgestellte chronische Durchblutungsstörung. Selbst wenn ein Zusammenhang mit der zuvor durchgeführten Operation bestanden haben sollte, so hätte nach Auffassung des Sachverständigen eine Stauung des Blutabflusses nicht mehr beseitigt werden und ein Absterben des Hodens nicht mehr vermieden werden können. In diesem Fall hätte sich ein für eine  Leistenoperation typisches Risiko verwirklicht, ohne dass ein ärztlicher Kunstfehler bei Durchführung der Operation feststellbar sei.

Wirksame Einwilligung

Das Gericht folgte den Ausführungen des Sachverständigen und wies im übrigen darauf hin, dass der Kläger wirksam in die Durchführung der Operation eingewilligt habe. Die Alternative einer minimalinvasiven Operation sei mit ihm ausführlich besprochen worden, er sei aber der medizinisch nicht angreifbaren Empfehlung des Arztes zu einer konventionellen Operationstechnik befolgt. Auf das erhöhte Risiko einer Hodenschädigung sei er ausdrücklich hingewiesen worden und habe dennoch in diese Vorgehensweise eingewilligt.

Falscher Aufklärungsbogen ändert nichts

Nach Auffassung des Gerichts ändert sich an diesem Ergebnis auch nichts durch die Verwendung eines Aufklärungsbogens für eine andere (minimalinvasive) als die zur Anwendung gekommene konventionelle Operationstechnik. Die Unterschiede seien mit einer Ärztin besprochen worden, so dass der Kläger über Verlauf und Risiken der Operation umfassend aufgeklärt worden sei.

Chefarztwahl ist unerheblich

Auch die entgegen der Chefarztwahl durchgeführte Operation durch einen anderen Arzt fiel nach Auffassung des Senats nicht ins Gewicht. Das Formular, auf dem der Kläger die Chefarztwahl angekreuzt habe, habe die übliche Vertreterregelung für den Fall der Verhinderung des Wahlarztes enthalten. Dass der Chefarzt verhindert gewesen sei, habe der Kläger nicht bestritten, so dass die Durchführung der Operation durch einen Vertreter rechtlich zulässig gewesen sei. Im übrigen habe der Kläger auch die von ihm unterzeichnete Einwilligung nicht unter einen Vorbehalt der Durchführung der OP durch den Chefarzt gestellt. Damit war nach Auffassung des OLG die Behandlung insgesamt nicht zu beanstanden. Der Kläger ging daher komplett leer aus.

 (OLG Hamm, Urteil v. 21.10.2013, 7 U 17/12)


Schlagworte zum Thema:  Arzthaftung, Schmerzensgeld, Aufklärungspflicht