Im Zweifel zählt die notarielle Urkunde, nicht deren Entwurf

Die Vorlage eines Vertragsentwurfes, der abweichende Regelungen zu dem später notariell beurkundeten Grundstückskaufvertrag enthält, kann die Vermutung der Richtigkeit und Vollständigkeit der notariellen Urkunde nicht widerlegen. So sieht es jedenfalls der BGH.

Mit notariellem Vertrag vom 21. März 2012 kaufte die Klägerin vom Beklagten ein mit einer Halle bebautes Grundstück. Zuvor hatte der Notar an beide Vertragsparteien einen Vertragsentwurf übersandt, in dem es u.a. hieß:

  • Kaufgegenstand ist ein mit einer Halle bebautes Grundstück,
  • die Klägerin hat das Kaufobjekt besichtigt und kauft es im gegenwärtigen altersbedingten Zustand,
  • der Kaufgegenstand wird übergeben, wie er steht und liegt, ohne Gewähr für das genaue Flächenmaß, Größe, Güte und Beschaffenheit. 

Abweichende Regelungen in der notariellen Urkunde

In dem von den Vertragsparteien schließlich unterzeichneten und notariell beurkundeten Vertrag erklärten die Parteien zunächst einleitend, dass sie ausreichend Gelegenheit hatten, den Entwurf der Urkunde zu prüfen und sich mit dem Inhalt auseinanderzusetzen.

Des Weiteren enthielt der Vertrag dann folgende vom Entwurf abweichende Regelungen:

  • Kaufgegenstand ist ein mit einer Halle bebautes Grundstück; die Halle weist eine Fläche von 640 qm auf;
  • die Klägerin hat das Kaufobjekt besichtigt und kauft es im gegenwärtigen altersbedingten Zustand zum heutigen Datum mit den Einrichtungsgegenständen;
  • der Kaufgegenstand wird übergeben, wie er steht und liegt, ohne Gewähr für das genaue Flächenmaß, Größe, Güte und Beschaffenheit mit Ausnahme der Größe der Halle. 

Käuferin verlangt Schadensersatz

Da der Verkäufer kurz vor Grundstücksübergabe eine Einbauküche entfernte und sich zudem herausstellte, dass die Halle nur eine Fläche von 540 qm aufweist, verlangte die Käuferin vom Verkäufer auf Grundlage der notariellen Urkunde Schadenersatz.

Keine Vereinbarung über Hallengröße im Vertragsentwurf

Der beklagte Verkäufer hingegen stützte sich auf den Vertragsentwurf, der keine Vereinbarung über eine bestimmte Hallengröße und über den Verkauf von Einrichtungsgegenständen enthält. Durch die Bezugnahme im notariellen Kaufvertrag auf diesen Entwurf sei zum Ausdruck gekommen, dass beide Parteien den Inhalt des Entwurfes hatten rechtsverbindlich gelten lassen wollen.

Kammergericht: Vertragsentwurf gilt

Das Landgericht und auch das Kammergericht folgten der Ansicht des Beklagten und wiesen die Klage ab. Es sei ein Vertrag mit dem Inhalt des Vertragsentwurfs zustande gekommen. Damit seien auch keine wirksamen Vereinbarungen über eine bestimmte Hallengröße und über den Verkauf von Einrichtungsgegenständen getroffen worden, die einen Schadenersatzanspruch hätten begründen können.

Bezüglich der von dem Entwurf abweichenden Regelungen sei der Notarvertrag widersprüchlich und unwirksam.

Der Vertragsentwurf, auf den der notarielle Vertrag Bezug nimmt, widerlege damit die Vermutung der Vollständigkeit und Richtigkeit der notariellen Urkunde.

BGH: Notarielle Urkunde gilt

Dieser Ansicht folgte der BGH nicht. Das Kammergericht verkenne mit seiner Rechtsauffassung insbesondere den Zweck der notariellen Beurkundung und des Beurkundungsverfahrens, urteilten die Richter des obersten deutschen Zivilgerichts.

Für Kaufverträge über ein Grundstück ist von Gesetzes wegen zwingend die notarielle Beurkundung vorgeschrieben (§ 311b Abs. 1 Satz 1 BGB). Das strenge Beurkundungsverfahren und insbesondere die dem Notar in den §§ 17 ff. BeurkG auferlegten Pflichten sollen

  • die rechtskundige Beratung und Belehrung sicherstellen,
  • den Beteiligten die Reichweite des Geschäftes verdeutlichen und
  • Käufer und Verkäufer vor übereilten Verträgen bewahren.

Entwurf dient nur der Vorbereitung der Beurkundungsverhandlung

Der Notar hat bei Verbraucherverträgen nach § 17 Abs. 2a Satz 2 Nr. 2 BeurkG die Pflicht, den beabsichtigten Text des Rechtsgeschäfts den Vertragsparteien schon vor der Beurkundung zur Verfügung zu stellen. Nach Auffassung der Bundesrichter sollen die Parteien dadurch Gelegenheit erhalten, sich auf die eigentliche Beurkundungsverhandlung vorzubereiten - insbesondere sollen sie sich vorab mit dem Gegenstand der Beurkundung auseinandersetzen und Unklarheiten und Änderungswünsche vorher klären.

In der sich anschließenden Beurkundungsverhandlung soll der Notar dann die endgültigen Absichten und Interessen der Beteiligten ermitteln und die tatsächlich abgegebenen Erklärungen dokumentieren (§§ 8, 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BeurkG). Bestandteil der Beurkundungsverhandlung sei damit gerade nicht der Vertragsentwurf. Denn nur der notarielle Vertrag erbringe als öffentliche Urkunde i.S.v. § 415 ZPO den vollen Beweis darüber, dass

  • die Erklärung mit dem niedergelegten und beurkundeten Inhalt so abgegeben wurde,
  • den Vereinbarungen der Parteien entspricht und
  • auch nur dieser Inhalt vereinbart ist.

Vorlage des Entwurfs reicht als Beweis nicht aus

Den Beklagten, der sich auf eine vom Urkundentext abweichende Regelung beruft, trifft die Beweislast. Die Vermutung der Richtigkeit und Vollständigkeit der notariellen Urkunde könne aber nicht allein durch die Vorlage des Vertragsentwurfes, der diese abweichenden Regelungen enthält, widerlegt werden. Denn dies führe nach Auffassung der Bundesrichter dazu, dass dem vorläufigen Entwurf die maßgebliche Bedeutung zukommt und nicht der notariellen Urkunde. Dies ist mit dem Gesetz nicht vereinbar.

Auch die im Vorspann der notariellen Niederschrift aufgenommene Bestätigung der Parteien, dass sie ausreichend Gelegenheit zur Prüfung des Entwurfes und einer Auseinandersetzung mit dessen Inhalt hatten, lässt schon vom Wortlaut her nicht den Schluss zu, dass der Entwurfstext rechtsverbindlich gelten soll.

(BGH, Urteil v. 10.6.2016, V ZR 295/14)



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