Flucht vor der Polizei kann den Tatbestand des verbotenen Autorennens erfüllen
Die rasanten Fahrerflucht vor der Polizei und eine verbotenes Kraftfahrzeugrennen haben nach Ansicht des OLG Stuttgart so viele relevante Gemeinsamkeiten, dass sie unter den selben Tatbestand fallen können.
Fahrer flüchtet mit enormer Geschwindigkeitsüberschreitung vor Polizeikontrolle
Der später Angeklagte fuhr innerorts vor einem Streifenwagen. Dieser wollte ihn kontrollieren und zeigte deshalb ein Haltesignal. Als der Fahrer die Situation realisierte, blieb er nicht etwa stehen. Vielmehr beschleunigte er rasant, in dem Bestreben das Polizeifahrzeug, das inzwischen Blaulicht und Martinshorn eingeschaltet hatte und das Haltesignal „Stopp Polizei“ zeigte, abzuhängen:
- Die Gegenfahrbahn nutzend fuhr der Mann bei Rot über eine Ampel.
- Die innerorts erlaubten 50 km/h überschritt er um 95 km/h – er raste mit 145/h durch die Ortschaft, wobei er geblitzt wurde.
- Nachdem er die Ortschaft verlassen hatte, fuhr er auf einer kurvenreichen und unübersichtlichen Strecke mit Geschwindigkeiten zwischen 160 und 180 km/h – zugelassen waren dort gerade mal 70 km/h.
- Bei seiner Flucht schnitt der Mann an unübersichtlichen Stellen Kurven. Sein Fokus lag allein auf einem schnellen Fortkommen. Die Belange anderer Verkehrsteilnehmer waren ihm dabei allem Anschein nach gleichgültig.
Das Polizeiauto konnte dem Mann nicht folgen und musste die Verfolgung abbrechen.
Ist Polizeiflucht unter dem Tatbestand "Verbotene Kraftfahrzeugrennen" zu subsumierbar?
Vor Gericht musste geklärt werden, ob Fälle der sogenannten „Polizeiflucht“ unter den seit dem 13.10.2017 geltenden, neuen Straftatbestand „Verbotene Kraftfahrzeugrennen“ (§ 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB) fallen können.
§ 315d Verbotene Kraftfahrzeugrennen (Auszug)
(1) Wer im Straßenverkehr
1. ein nicht erlaubtes Kraftfahrzeugrennen ausrichtet oder durchführt
2. als Kraftfahrzeugführer an einem nicht erlaubten Kraftfahrzeugrennen teilnimmt oder
3. sich als Kraftfahrzeugführer mit nicht angepasster Geschwindigkeit und grob verkehrswidrig und rücksichtslos fortbewegt, um eine höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen, wird mit einer Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
Das Amtsgericht hatte das so entschieden. Der Angeklagte habe in der Absicht gehandelt, eine höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen. Das OLG Stuttgart hat sich dieser Sichtweise angeschlossen.
Das spricht für eine rechtliche Gleichsetzung der Polizeiflucht mit verbotenen Kraftfahrzeugrennen
Es sei nicht nötig, das Fahrzeug mit der objektiv höchstmöglichen Geschwindigkeit zu führen oder es bis an die technischen bzw. physikalischen Grenzen auszufahren, so das OLG.
Ausreichend sei vielmehr, wenn der Fahrer auf eine relative, nach den Sicht-, Straßen- und Verkehrsverhältnissen oder den persönlichen Fähigkeiten des Fahrers mögliche Höchstgeschwindigkeit anstrebe.
Eine höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen, muss auch nicht der Haupt- oder Alleingrund für eine Fahrt sein.
Rennziel "Flucht" ist mit dem Ziel "Sieg in einem Rennen" vergleichbar
Sowohl der Gesetzeswortlauf des § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB als auch die Begründung des Gesetzgebers sprächen dafür, auch die Polizeiflucht als tatbestandsmäßig anzusehen. Denn diese sei von einem spezifischen Renncharakter geprägt, in dem sich gerade die in den Gesetzesbegründung genannten besonderen Risiken wiederfänden.
Daran ändere auch der Umstand nichts, dass, wie im vorliegenden Fall, das Ziel des Wettbewerbs eine Flucht und nicht der Sieg in einem Rennen sei: Die risikobezogene Vergleichbarkeit einer Polizeiflucht mit einem sportlichen Wettbewerb liege auf der Hand.
Norm soll Fahrt mit Renncharakter von bloßer Geschwindigkeitsüberschreitung abgrenzen
Der Schutzzweck der Vorschrift liege in der Abgrenzung zwischen Fahrten mit Renncharakter – und damit mit abstrakt höherem Gefährdungspotenzial –und bloßen Geschwindigkeitsüberschreitungen
Vor diesem Hintergrund wäre es sinnwidrig für eine Strafbarkeit, bei identischer Fahrweise und gleicher abstrakter Gefährdungslage allein danach zu differenzieren, welche Motive die Absicht, eine höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen, letztlich ausgelöst haben oder begleiten.
(OLG Stuttgart, Beschluss v. 04.07.2019, 4 Rv 28 Ss 103/19).
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Durch die Neuregelung in § 315d StGB drohen Teilnehmern an Autorennen bis zu zwei Jahre Haft wenn niemand zu Schaden kommt. Kommt es zu Sachschäden, Verletzten oder gar Toten drohen bis zu zehn Jahre Haft. Vorreiter der seit 24.8.2017 geltenden Neuregelung waren rigorose Richter.
Illegale Autorennen haben Suchtpotenzial
Die Expertenmeinung lautet:
Auch mit erhöhten Strafdrohungen werden illegale Autorennen auch zukünftig zur Realität im Straßenverkehr gehören.
Nach Schätzungen von Verkehrsexperten existieren allein in Köln über 4.000 rennfertig aufgemotzte Autos. Das Problem wird auch künftig sein, diejenigen darunter auszumachen, die illegale Autorennen veranstalten. Psychologen gehen davon aus, dass es sich bei vielen potentiellen Teilnehmern um eine regelrechte Sucht handelt, die durch eine Gesetzesverschärfung nur begrenzt in den Griff zu kriegen ist. In der Szene ist es bereits üblich, sich bei organisierten Autorennen über Funk vor herannahenden Polizeistreifen zu warnen.
Auch Alltagsraser sind ein Problem
Der Kriminologe Prof. Dr. Henning Müller, der im Rechtsausschuss des Bundestages als Sachverständiger zur Anhörung im Rahmen der Gesetzesänderung geladen war, warnt davor, wegen einiger spektakulärer Rennunfälle die insgesamt äußerst erheblichen Unfallrisiken durch die ganz normalen Alltagsraser zu vernachlässigen. Das Rasen im Straßenverkehr stelle insgesamt ein gravierendes Sicherheitsrisiko dar, dessen Ahndung durch Bußgelder aktuell in vielen Fällen deutlich zu milde sei.
Resolute Richter hatten die Reform provoziert
Resolute Richter hatten zuvor die Grenzen des Ordnungswidrigkeiten-Rechts und der Fahrlässigkeits-Straftaten gesprengt, um auf die zunehmend gefährlichen und folgenschweren Rennen zu reagieren. Allerdings waren die Entscheidungen uneinheitlich: Furore gemacht hatte ein Urteil der 34. Großen Strafkammer des LG Berlin gegen die 28-jährigen und 25-jährigen Spontanteilnehmer an einem Illegalen Autorennen, bei dem am 2.1.2016 in Berlin ein 69-jähriger unbeteiligter Fahrer eines Jeeps zu Tode gekommen war.
Das LG verurteilte die Rennteilnehmer wegen gemeinschaftlichen Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und vorsätzlicher Gefährdung des Straßenverkehrs zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe. Die Fahrerlaubnis wurde beiden Angeklagten lebenslang entzogen (LG Berlin, Urteil v. 27.2.2017, 535 Ks 8/16). Das Urteil, obwohl später vom BGH wegen Begründungsfehlern aufgehoben, hatte Signalwirkung, auch für den Gesetzgeber.
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