Verurteilung des 2. Kudamm-Rasers wegen versuchten Mordes zu 13 Jahren Haft
Das vom BGH mit einer früheren Entscheidung aufgehobene Urteil der 34. Großen Strafkammer des LG Berlin gegen die 25 und 28 Jahre alten Täter lautete auf gemeinschaftlichen Mord in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und vorsätzlicher Gefährdung des Straßenverkehrs. Doch zum Tatenschluss des Nichtkollidierenden war der BGH nicht überzeugt worden.
Unbeteiligter Fahrer war durch Kollision mit einem der beiden Rennteilnehmer verstorben
Im Rahmen eines illegalen Autorennens auf dem Kudamm in Berlin war ein unbeteiligter Jeep-Fahrer infolge eines Zusammenstoßes mit dem Fahrzeug eines der beiden Rennteilnehmers ums Leben gekommen. Im 2. Anlauf hatte der BGH
- das Mordurteil gegen den das todbringende Fahrzeug lenkenden Raser bestätigt,
- die Verurteilung des 2. Rasers wegen Mordes aber gekippt.
Den BGH überzeugten insbesondere die Ausführungen des LG zum gemeinsam gefassten Tatentschluss der Angeklagten nicht (BGH, Urteil v. 18.6.2020, 4 StR 482/19).
Fehlende Herbeiführung der Kollision war reiner Zufall
Auf das BGH-Urteil hat das LG nun reagiert und den verbliebenen Angeklagten wegen versuchten Mordes zu einer Haftstrafe von 13 Jahren verurteilt. Die 29. Große Schwurgerichtskammer des LG Berlin geht in ihrer Entscheidung nicht mehr von einem gemeinsamen Tatplan der beiden Raser aus. Allerdings bewertete das LG den Umstand, dass das Fahrzeug des zu Tode gekommenen Rentners lediglich mit dem Fahrzeug des anderen Angeklagten zusammengestoßen war und nicht mit dem des verbliebenen zweiten Angeklagten, als reinen Zufall.
Landgericht: Raser hat den Tod anderer billigend in Kauf genommen
Auch der zweite Angeklagte habe den Tod unbeteiligter Verkehrsteilnehmer als Folge seiner rücksichtslosen Raserei zumindest als möglich vorhersehen müssen und damit billigend in Kauf genommen. Auch bei ihm seien - wie bei den anderen Raser - die Mordmerkmale der Heimtücke und des niedrigen Beweggrundes gegenüber fremden Verkehrsteilnehmern erfüllt. Da sein Tun den Tod eines Menschen aber nicht kausal herbeigeführt hat, komme eine Bestrafung wegen vollendeten Mordes nicht in Betracht. Da er auf der subjektiven Seite jedoch die Tatbestands- und subjektiven Merkmale des Mordes erfüllt habe, sei er wegen versuchten Mordes zu verurteilen.
Kein Tötungsvorsatz gegenüber Beifahrerin
Einen bedingten Tötungsvorsatz gegenüber seiner im Fahrzeug befindlichen Beifahrerin verneinte die Kammer. Insoweit habe er sich gegenüber der durch den Unfall verletzten Beifahrerin lediglich einer fahrlässigen Körperverletzung schuldig gemacht.
Lebenslange Freiheitsstrafe wegen Versuch abgemildert
Im Strafausspruch hielt das Gericht eine 13-jährige Haftstrafe für tat- und schuldangemessen. Dabei machte das Gericht von der Möglichkeit Gebrauch, die für Mord gemäß § 211 StGB vorgesehene lebenslange Freiheitsstrafe im Fall des Versuchs gemäß § 49 Abs. 1 Ziff. 1 StGB zu mildern.
- Strafmildernd wertete das Gericht, dass der Täter sich reuig gezeigt und um Entschuldigung gebeten sowie durch seine Aussagen zur Sachverhaltsaufklärung beigetragen habe.
- Die Kammer betonte allerdings, dass das Verschulden des Angeklagten angesichts eines eklatanten Fehlverhaltens und der eingetretenen Folgen gravierend und daher eine hohe Freiheitsstrafe nicht zu umgehen war.
- Die Kammer ordnete die Fortdauer der Untersuchungshaft an.
- Daneben verhängte das Gericht eine fünfjährige Sperre für die Wiederteilung der Fahrerlaubnis gegen den Angeklagten.
Angeklagter sitzt seit fünf Jahren Untersuchungshaft
Die Verteidiger hatten auf eine Bestrafung wegen versuchter Körperverletzung und gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr plädiert. Bei der von ihnen geforderten vierjährigen Haftstrafe, wäre der Angeklagte, der sich bereits seit fünf Jahren in Untersuchungshaft befindet, aus der Strafhaft zu entlassen gewesen.
Revision bereits angekündigt
Die Verteidigung hat bereits Revision angekündigt. Voraussichtlich wird sich der BGH also ein drittes Mal mit der Causa „Kudamm-Raser“ befassen müssen. Das Verfahren würde sich damit weiter in die Länge ziehen. Schon jetzt hat das LG darauf hingewiesen, dass die schriftlichen Urteilsgründe frühestens in drei Monaten zur Verfügung stehen werden.
(LG Berlin, Urteil v. 2.3.2021, 529 Ks 6/20)
Stadtrasern droht auch künftig lebenslange Freiheitsstrafe
Die Abfolge der diversen Entscheidungen des LG Berlin sowie des BGH dokumentiert ein Dilemma in der Rechtsprechung vor Einführung des Raserparagraphen 315d StGB, mit dem die Veranstaltung von und die Teilnahme an verbotenen Straßenrennen inzwischen mit einer maximalen Strafdrohung von zehn Jahren Freiheitsstrafe bedroht ist. Vor dessen Einführung haben einige Gerichte die Teilnehmer an Straßenrennen, die den Tod eines Menschen zur Folge hatten, lediglich wegen fahrlässiger Tötung - in der Regel zu Bewährungsstrafen - verurteilt. Diese als äußerst unbefriedigend empfundene Urteile dürften mit Einführung des § 315d StGB Geschichte sein.
Mordverurteilung mit hoher Signalwirkung: Rennen im öffentlichen Straßenraum sind tabu!
Ergänzend kommt den jetzigen Entscheidungen zur Verwirklichung des Mord-Tatbestandes erhebliche Bedeutung für die Zukunft der Verurteilung von Rasern zu, da diese Urteile auch künftig für Teilnehmer an unerlaubten Straßenrennen neben einer Verurteilung nach § 315d StGB die Option einer Verurteilung wegen Mordes mit der Androhung lebenslanger Freiheitsstrafe eröffnen. Insoweit hat der BGH allerdings auch hohe Hürden aufgebaut und in seiner mündlichen Urteilsbegründung betont, dass eine Verurteilung wegen Mordes in diesen Fällen eine besonders gründliche und dezidierte Auseinandersetzung der Gerichte mit der subjektiven Tatseite und den einzelnen Mordmerkmalen voraussetzt und eher die Ausnahme als die Regel sei.
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Hinweis: Inzwischen eigener Straftatbestand für illegale Autorennen
Nach einer entsprechenden Ergänzung des Strafgesetzbuches kann die Teilnahme an illegalen Autorennen im Straßenverkehr inzwischen nach § 315 d StGB mit bis zu zehn Jahren Haft bestraft werden, wenn hierdurch der Tod eines anderen Menschen verursacht wird. Auf den Berliner Fall konnte diese erst im Oktober 2017 eingeführte Vorschrift rückwirkend nicht angewandt werden. In den Raserfällen mit Todesfolge bestand in der Praxis daher früher nur die Wahl zwischen einer Verurteilung wegen fahrlässiger Tötung mit einer Höchststrafe von 5 Jahren oder wegen Mordes und damit zu lebenslanger Freiheitsstrafe. Zwischen diesen beiden oft als unbefriedigend empfundenen Extremen bietet nun der 2017 eingeführte § 315 d StGB eine praktikable Lösung.
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https://www.tagesspiegel.de/politik/warum-das-bgh-urteil-ungerecht-ist-nur-der-zufall-machte-einen-raser-zum-moerder-und-den-anderen-nicht/25929086.html
Viele Grüße Renate Mikus
Könnte man argumentieren, dass der in dubio pro reo Grundsatz verletzt wurde, da das voluntative Element des bedingten Vorsatzes nicht ausreichend "bewiesen" sondern vielmehr aufgrund der objektiven Umstände unterstellt wurde? Chancen vorm BVerfG?