Medizinisch-psychologische Untersuchung bei Fahrgastbeförderung
In einem vom VG Neustadt entschiedenen einstweiligen Rechtschutzverfahren wehrte sich der Inhaber einer Fahrerlaubnis zur Personenbeförderung gegen die Entziehung seiner Fahrerlaubnisse betreffend die Klassen A, CE, D und DE. Die Fahrerlaubnisbehörde hatte die sofortige Entziehung der Fahrerlaubnis darauf gestützt, dass der Antragsteller einer Anordnung zur Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens nicht nachgekommen war. Grundlage der Anordnung waren vier Verkehrsverstöße des Antragstellers in einem Zeitraum von fünf Jahren und zehn Monaten. Im Wesentlichen handelt es sich hierbei um Geschwindigkeitsüberschreitungen, die (noch nach dem alten Punktesystem) zu 15 Punkten in der Flensburger Verkehrssünderkartei führten.
Vier Verstöße in knapp sechs Jahren
Gemäß § 11 Abs. 3 Nr. 4 FeV darf die Fahrerlaubnisbehörde bei wiederholten, erheblichen Verstößen gegen verkehrsrechtliche Vorschriften die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens verlangen. Verkehrsverstöße, die in der Flensburger Kartei zu einer Ansammlung von 15 Punkten führen, bewertete das VG als zumindest in ihrer Gesamtheit erheblich, so dass die rechtlichen Voraussetzungen für die Anordnung einer medizinisch-psychologischen Untersuchungen hiernach gegeben wären.
Vorgegebener Maßnahmenkatalog zur Ahndung von Verkehrsverstößen
Das VG bemängelte aber, dass die Erlaubnisbehörde die Vorschrift des § 4 Abs. 3 StVG nicht hinreichend berücksichtigt habe. Diese stehe in einem Spannungsverhältnis zu § 11 Abs. 3 Nummer 4 FeV. § 4 StVG schreibe einen festen Katalog an Maßnahmen vor, die die Fahrerlaubnisbehörde zum Schutz vor den Gefahren ergreifen könne, die von wiederholten Verkehrsverstößen ausgehen. Die Vorschrift bezwecke eine
- Vereinheitlichung der Behandlung von Mehrfachtätern und solle
- gleichzeitig dem Betroffenen die Möglichkeit geben, durch Aufbauseminare und verkehrspsychologische Beratung möglichst frühzeitig das von der Verkehrsbehörde beanstandete Verhalten positiv zu beeinflussen.
- Gleichzeitig solle die Vorschrift die möglichen Maßnahmen für die Betroffenen berechenbar und transparent machen.
Abweichende Maßnahmen sind nur im Ausnahmefall zulässig
Nach diesem abgestuften System seien Personen, die 18 Punkte oder mehr erreicht hätten, als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen anzusehen. Der Gesetzgeber habe im Rahmen dieser Vorschrift bewusst in Kauf genommen, dass Kraftfahrern mit einem Punktekonto, das darunter liege, die weitere Teilnahme am Straßenverkehr erlaubt sei. Aus Gründen der Rechtssicherheit dürfe von diesem System nur abgewichen werden, wenn nach den besonderen Umständen des Einzelfalls die Verkehrssicherheit ein Abweichen erfordere. Als Beispiel nennt das Gericht eine in den Verkehrsverstößen hervorgetretene besondere Rücksichtslosigkeit oder Aggressivität des Betroffenen oder wenn es sich bei dem Betroffenen um einen unverbesserlichen Raser handle.
15 Punkte rechtfertigen noch keine Anordnung der MPU
Diese Voraussetzung sah das VG im anhängigen Fall als nicht erfüllt an. Nach Beurteilung des Gerichts bewegen sich die Verstöße des Betroffenen noch im Normbereich dessen, was Verkehrsteilnehmern im Rahmen eines 15-Punktekontos in der Regel vorgeworfen wird.
Das VG sah daher die Entziehung der Fahrerlaubnis hinsichtlich der Fahrerlaubnisklassen A (Motorrad) und CE (LKW und PKW mit Anhänger) als nicht gerechtfertigt an.
Andere Standards bei Personenbeförderung
Anders beurteilte das Gericht die Rechtslage allerdings hinsichtlich der Fahrerlaubnisklassen zur Personenbeförderung (D/DE). Bei diesen Führerscheinklassen seien höhere Anforderungen an die Verantwortung des Fahrzeugführers zu stellen. Die Beförderung von Fahrgästen erfordere ein besonderes Verantwortungsbewusstsein des Fahrzeugführers. Dies zeige sich auch daran, dass beispielsweise § 10 Abs. 1 Nr. 9 FeV ein höheres Mindestalter für den Ersterwerb der Fahrerlaubnis voraussetze und auch der Prüfungsumfang und die Prüfungsdauer als Voraussetzung für den Erwerb wesentlich umfangreicher und strenger seien als bei der Standardfahrerlaubnis. Korrespondierend mit dieser gesetzlichen Wertung sei die Schwelle zur Intervention der Fahrerlaubnisbehörde, neben dem standardmäßigen Fahreignungsbewertungssystem des § 4 StVG weitere Anordnungen zu erlassen, deutlich niedriger als bei der Standardfahrerlaubnis. Der Schutz der Personengruppen, die sich dem Fahrerlaubnisinhaber anvertrauen gebiete es, alles zu tun, um drohende Gefahren von diesen abzuwenden.
Renitenz des Antragstellers berücksichtigt
Bei der Bewertung des anhängigen Falls berücksichtigte das Gericht, dass seitens der Fahrerlaubnisbehörde bereits nach dem dritten Geschwindigkeitsverstoß am 2.10.2013 ein Ermahnungsgespräch mit dem Antragsteller geführt wurde, in dem dieser auf eine drohende medizinisch-psychologische Untersuchung hingewiesen wurde. Am Ende des Gesprächs habe der Antragsteller ein Protokoll unterschrieben. Mit dieser Unterschrift habe er bestätigt, ausführlich darauf hingewiesen worden zu sein, dass weitere Verkehrsverstöße zu führerscheinrechtlichen Konsequenzen führen könnten. Danach habe der Antragsteller im August 2014 erneut eine Ordnungswidrigkeit begangen, indem er die zulässige Höchstgeschwindigkeit um 32 km/h überschritten habe.
Vorbildfunktion verletzt
Die erneute Geschwindigkeitsüberschreitung außerhalb der geschlossenen Ortschaft deutlich über der Bagatellgrenze. Als Inhaber einer Fahrerlaubnis zur Personenbeförderung seien vor diesem Hintergrund Zweifel an der Eignung des Antragstellers gerechtfertigt. Darüber hinaus habe er auch eine spezifische Vorbildfunktion als Fahrlehrer, die er durch die ständigen Verkehrsverstöße verletzt habe. Mit diesen Argumenten wies das VG den Eilantrag des Antragstellers hinsichtlich der Fahrerlaubnisklassen, die zu Personenbeförderung berechtigen, zurück
(VG Neustadt, Beschluss v. 25.6.2015, 1 L 407/15.NW)
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