Neue Klimaklagen von Umweltverbänden gegen Großkonzerne
Das jüngste Urteil des BVerfG gegen die Bundesrepublik Deutschland, mit dem diese zu konkreten Maßnahmen zur Erreichung der Klimaschutzziele in kürzerer Zeit als von der Bundesregierung geplant, verurteilt hat, hat den Umweltverbänden spürbar Auftrieb verliehen.
Autokonzerne sollen umweltschädlichen CO2-Ausstoß schneller reduzieren
Greenpeace und die Deutsche Umwelthilfe (DUH) wollen nun BMW, Daimler und VW sowie den Energieversorger "Wintershall Dea" zu einer nachhaltigen Reduktion des Ausstoßes von umweltschädlichem CO2 zwingen. Um sie entsprechend verklagen zu können, wurden nun die juristischen Vorkehrungen getroffen.
Daimler u. a. Abgabe verbindlicher Unterlassungserklärung gefordert
In Vorbereitung der Klagen haben die betreffenden Unternehmen bereits Abmahnschreiben erhalten. Darin wird auf das Pariser Klimaschutzabkommen verwiesen, das abweichend von den Plänen der EU-Kommission einen Ausstieg aus den umweltschädlichen Verbrennungsmotoren bis zum Jahr 2030 vorsieht.
Verkauf von Verbrennungsmotoren ab 2030 unterlassen
Die Automobilkonzerne werden darin aufgefordert, verbindliche Erklärungen abzugeben, die Produktion und den Verkauf von Verbrennungsmotoren ab dem Jahr 2030 zu unterlassen. Die Fristen zur Abgabe entsprechender Erklärungen laufen nach Angaben der Verbände bei BMW und Mercedes-Benz am 20. September, bei VW Ende Oktober aus.
"Wintershall Dea" soll fossile Produktion herunterfahren
Wintershall Dea, das in den kommenden Jahren eine deutliche Steigerung seiner fossilen Produktion plant, soll verbindlich erklären, ab dem Jahr 2026 keine neuen ÖL- und Gasfelder mehr zu erschließen. Anspruchsteller sind nicht die Umweltorganisationen als solche, sondern deren geschäftsführende Mitglieder als von den Emissionen betroffene Einzelpersonen.
Anspruchsteller rügen Verletzung ihrer Grundrechte
Die Anspruchsteller berufen sich auf ihre Rechte auf Erhaltung der Lebensgrundlagen für sich, ihre Kinder und Enkel. Sie seien durch das umweltschädliche Verhalten der Automobilindustrie und der Energiewirtschaft sowohl in ihrem verfassungsrechtlich geschützten Recht auf Leben und Gesundheit aus Art 2 GG als auch in ihrem Eigentumsrecht aus Art. 14 GG verletzt.
Umweltverbände bemängeln Taktieren der Automobilindustrie
Trotz gegenteiliger Versprechen - so die Argumentation - habe sich die Automobilindustrie bisher nicht von den umweltschädlichen Verbrennungsmotoren verabschiedet. Der Verkauf klimaschädlicher Verbrennungsmotoren boome nach wie vor. Mit dieser Vorgehensweise der Lippenbekenntnisse zum Umweltschutz einerseits und der Ankurbelung des Verkaufs von Verbrennungsmotoren andererseits seien die Klimaschutzziele in dem vom Pariser Klimaabkommen vorgegebenen Fristen nicht zu erreichen. Ähnliches gelte für die Expansionspläne einiger großer Energieunternehmen.
Automobilindustrie bekennt sich zum Klimaschutz
Die Automobilunternehmen ihrerseits verweisen auf die von ihnen bereits eingeleitete Umstellung der Entwicklung und Produktion vom Verbrennungsmotor weg auf Elektroantriebe. Sowohl BMW als auch Mercedes-Benz sehen sich geradezu als Vorreiter des Klimaschutzes und bekennen sich zu den Zielen des Pariser Klimaschutzabkommens. Mit einer gerichtlichen Klage sei die große weltpolitische Herausforderung der Reduzierung des CO2 Ausstoßes nicht zu erreichen. Die Automobilkonzerne und die Energiewirtschaft hätten längst verstanden, worum es geht und entsprechend reagiert.
Anspruchsteller berufen sich mit Recht auf lebenswerter Umwelt auf das BVerfG
Rückenwind verspüren die Umweltverbände durch die Rechtsprechung des BVerfG, das ein Recht der jungen und der zukünftigen Generationen auf ein freiheitliches Leben in einer Welt postuliert, die nicht durch Umweltbelastungen und klimabedingte Extremwetterereignisse wie Hitzewellen, Waldbrände, Wirbelstürme, Starkregen, Überschwemmungen und Erdrutsche nur noch bedingt lebenswert ist. Aus diesem Recht leitet das BVerfG die Verpflichtung des Staates ab, das Erreichen der Klimaneutralität nachhaltig und mit höchstmöglichen Tempo zu betreiben. Hierzu müsse der Pfad zur Reduzierung der Treibhausgase klar definiert und zeitlich fixiert werden (BVerfG, Beschluss v. 24.3.2021, 1 BvR 2656/18, 1 BvR 96/20, 1 BvR 78/20 u.a.).
Klimaklagen häufen sich in Deutschland und weltweit
Die Klagen gegen zu lasche Klimaschutzmaßnahmen häufen sich. Klimaaktivisten haben unter Führung des DUH die Bundesländer Bayern, Brandenburg und Nordrhein-Westfalen auf Einführung konkreter gesetzlicher Regelungen zur Erreichung der Klimaschutzziele verklagt.
Vor dem EGMR ist eine Klage portugiesischer Kinder wegen Mitverursachung des Klimawandels gegen Deutschland und 32 weitere Staaten anhängig. In einem viel beachteten Beschluss hat der EGMR
- diese Klage ausdrücklich zugelassen und
- das Klagebegehren der Kläger als dringlich eingestuft.
- Den Klägern sei nicht zumutbar, den grenzübergreifenden Klimawandel vor nationalen Gerichten in 33 verschiedenen Ländern separat anzugreifen.
- Damit hat der EGMR - im Unterschied zum EuGH (Urteil v. 25.3.2021, C 565/19) - bestätigt, dass die Kläger grundsätzlich eine individuelle Rechtsposition auf Schutz des Klimas innehaben.
- Mit dieser Begründung hat der EGMR auch die Bündelung der gegen 32 Staaten gerichteten Klagebegehren in einem einzigen Verfahren für zulässig erklärt.
Klimaklagen auch gegen einzelne Wirtschaftsunternehmen
Nicht nur die Verfahren gegen Staaten wegen Verletzung der Grundsätze des Klimaschutzes häufen sich, auch Klagen gegen einzelne Unternehmen nehmen zu. In Deutschland hat ein peruanischer Farmer den Elektrokonzern RWE wegen der Treibhausgasemissionen auf Entschädigung vor dem OLG Hamm verklagt.
In den Niederlanden hat der „Hague District Court“ in einem Aufsehen erregenden Urteil im Mai 2021 den Energiekonzern „Royal Dutch Shell“ verpflichtet, den Ausstoß von CO2 bis zum Jahr 2030 um netto 45 % im Vergleich zum Jahr 2019 zu senken. Auch von diesem Urteil erhoffen sich die deutschen Anspruchsteller starken Rückenwind.
Pariser Klimaschutzabkommen kann Unternehmenspflichten begründen
Die Besonderheit der niederländischen Entscheidung besteht vor allem darin, dass das Gericht in Den Haag aus dem Pariser Klimaschutzabkommen die konkrete Verpflichtung eines einzelnen Unternehmens, nämlich des Energiekonzerns Shell, abgeleitet hat, die von ihm verursachten Emissionen so anzupassen, dass die Vorgaben des Pariser Klimaabkommens erreicht werden können. Diese Verpflichtung begründete das Gericht mit der allgemeinen Sorgfaltspflicht des Unternehmens gegenüber der Gesamtgesellschaft. Diese Gesamtverantwortung eines Wirtschaftsunternehmens gegenüber der Gesellschaft wird inzwischen auch von irischen Gerichten anerkannt.
Individualanspruch auf Umweltschutz gegen Unternehmen auch in Deutschland?
Vor dem Hintergrund der im EU-Ausland getroffenen Entscheidungen gegen Wirtschaftsunternehmen zugunsten des Umweltschutzes dürfte es bei den zu erwartenden zivilrechtlichen Klagen von Greenpeace und der DUH vor diversen Landgerichten gegen Unternehmen der Automobilwirtschaft und „Wintershall Dea“ spannend werden, inwieweit auch die deutschen Gerichte eine solche gesellschaftliche Gesamtverantwortung von Unternehmen, aus denen individuelle Rechte abgeleitet werden können, ebenfalls bejahen.
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