Richter nach 10 Jahren von Rechtsbeugungs-Vorwurf freigesprochen

Ein Richter, der einen Strafverteidiger trotz Unzuständigkeit und ohne Haftgründe verhaften ließ, landete selbst für Jahre auf der Anklagebank. Der BGH hat ihn nach langem Instanzenzug jetzt freigesprochen. Er agierte auf Grundlage der „Hüttenstädter Prozessordnung“ rabiat und mit einer Vielzahl von Rechtsverstößen, wusste es aber nicht besser.  

Im Jahr 2007 hatte die Staatsanwaltschaft Potsdam einem Richter vorgeworfen, im Zusammenhang mit einem von ihm geleiteten Strafverfahren vorsätzlich zu Unrecht Haftbefehle erlassen und mehre andere Verfahrensfehler begangen zu haben. Darum kamen 3 Personen für 8 Tage in Haft.

Richter vermutete Mittäterschaft des Verteidigers

Der Richter hatte 2005 den Vorsitz in einem Strafverfahren im Amtsgericht Eisenhüttenstadt, in dem ein Nachlasspfleger wegen Untreue in sechs Fällen mit einem Gesamtschaden von 430.000 Euro angeklagt worden war.

  • Der Richter bezichtigte den Verteidiger des Angeklagten, an den Taten beteiligt gewesen zu sein, obwohl der Sachverhalt dazu keinen Anlass gab.
  • Gleichwohl ließ er den Verteidiger, der mehrere Befangenheitsanträge gegen ihn gestellt hatte, noch während der Hauptverhandlung festnehmen.
  • Dabei erließ er gegen ihn und andere Haftbefehle, obwohl er laut Geschäftsplan nicht zuständig war.

Richter nahm die Sache sehr persönlich

Der zuvor mit mehreren Befangenheitsanträgen konfrontierte Richter warf "seine Robe nach hinten, deutete auf den Verteidiger und rief: "Sie sind festgenommen!'" (BGH Beschluss vom 07.07.2010 - 5 StR 555/09).

Dann wurden der angeklagte Nachlassverwalter und sein Rechtsanwalt verhaftet und in Handschellen abgeführt. Acht Minuten befand sich in einer Kita, in der die Frau des Nachlassverwalters arbeitet, auch diese in Handschellen.

Begründet wurden die Haftbefehle mit Flucht- und Verdunklungsgefahr  Anschließend ließen der Richter und der später mitangeklagte Oberstaatsanwalt die Inhaftierten sieben Tage in der U-Haft "schmoren", ohne zeitnah auf die Haftbeschwerden zu reagieren. Auch die Kanzleiräume des Anwalts wurden durchsucht.

Durchsuchung nach der HPO = Hüttenstädter Prozessordnung

Als der Strafverteidiger nach Rechtsgrundlagen für die Aktivitäten fragt, erklärte der Richter, es handele sich um eine „Durchsuchung nach der HPO“, der „Hüttenstädter Prozessordnung“. Zu ihr hatte der Richter schon zuvor erläutert:

"Hier gilt doch nicht die StPO, hier gilt doch die HPO. Die kennen Sie doch? Die kennt nur einen Paragraphen und der heißt: Der Strafprozess beginnt mit der Vollstreckung, alles weitere bestimmt der Vorsitzende!"

Im späteren Verlauf des Prozesses wegen Rechtsbeugung gab der Direktor des Amtsgerichts an, die „HPO“ habe er als Gerichtspräsident eingeführt, da ihm die Urteile der Landgerichte zu lasch erschienen.


Haftbefehle erst nach acht Tagen aufgehoben

Wegen der Haftbefehle, welche erst nach acht Tagen aufgehoben wurden, verurteilte das LG Potsdam den beklagten Richter wegen Rechtsbeugung in Tateinheit mit Freiheitsberaubung

  • weil keine Haftgründe vorgelegen hatten
  • und der Richter unzuständig war,

und Rechtsbeugung auch durch den Verstoß gegen Verfahrensvorschriften begangen werden kann, zu zwei Jahren Freiheitsstrafe, die zur Bewährung ausgesetzt wurden.

Durch den Jahresgeschäftsverteilungsplan des Amtsgerichts Eisenhüttenstadt wurde die Zuständigkeit für ermittlungsrichterliche Befugnisse ausdrücklich zwei namentlich benannten Richtern, nicht jedoch dem handelnden Richter zugewiesen.

Dieses Urteil hob der Bundesgerichtshof später allerdings wieder wegen Verfahrensfehlern auf. Nach erneuter Hauptverhandlung sprach das Landgericht Potsdam den Richter frei.

Zweimal vor dem BGH gelandet

Der BGH hob den Freispruch wieder auf und wies die Potsdamer Richter an, noch zu prüfen, ob sich der Angeklagte gemäß früheren Äußerungen für den Erlass zweier Haftbefehle zu diesem Zeitpunkt für zuständig hielt.

Inhaltlich seien die Haftentscheidungen nicht zu beanstanden, das weitere Verhalten des Richters belege den Vorwurf der Rechtsbeugung nicht.

Richter hielt sich für zuständig für Haftbefehle

Nach weiteren Feststellungen des Landgerichts Potsdam hielt sich der angeklagte Richter ür zuständig – dies insbesondere aufgrund einer engen Verflechtung aller Tatvorwürfe, der gegen alle Verhafteten vorgenommenen Durchsuchungshandlungen und der von ihnen gemeinsam in dem anhängigen Strafverfahren möglicherwiese begangenen Verdunkelungshandlungen.

Kein Vorsatz, das Recht unrichtig anzuwenden

Damit fehlte dem Angeklagten nach Ansicht des BGH der Vorsatz, das Recht unrichtig anzuwenden. Deshalb hat der Bundesgerichtshof den Freispruch des Angeklagten jetzt rechtskräftig bestätigt. Hoffentlich nicht mit Blick auf oder in die Hüttenstädter Prozessordnung.

BGH Urteil vom 10.5.2017 - 5 StR 19/17


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Hintergrund

Nach dem Gesetzeswortlaut liegt Rechtsbeugung vor, wenn ein Richter, ein anderer Amtsträger oder ein Schiedsrichter, welcher sich bei der Leitung oder Entscheidung einer Rechtssache zugunsten oder zum Nachteil einer Partei einer Beugung des Rechts schuldig macht, mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu fünf Jahren bestraft (§ 339 StGB).

Wer kommt als Täter in Betracht?

Rechtsbeugung ist ein Sonderdelikt, d.h. ein Delikt, das nicht jedermann, sondern nur ein bestimmter Personenkreis begehen kann. Dazu gehören:

• Berufsrichter und ehrenamtliche Richter (§ 11 Abs. 1 Nr. 3 StGB),

• andere Amtsträger, sofern sie eine Rechtssache wie ein Richter zu leiten oder zu entscheiden haben wie Rechtspfleger, Staatsanwälte und Schiedsrichter im Sinne des 10. Buchs der Zivilprozessordnung.

Tathandlung

Tathandlung ist die bewusst falsche Anwendung des Rechts zum Vor- oder Nachteil einer Partei. Vom Begriff „Recht“ im Sinne des § 339 StGB sind erfasst:

• Gesetzesrecht,

• Gewohnheitsrecht und

• das von den Parteien geschaffene Vertragsrecht.

• Nach herrschender Ansicht auch überpositives Recht, wobei Rechtsbeugung nur in Betracht kommt, wenn sich positives Recht so offenkundig als gesetzliches Unrecht erweist, dass es „unter Missachtung der Menschenwürde Gerechtigkeit nicht einmal mehr anstrebt“ .

Der Täter kann neben materiellem Recht auch Verfahrensrecht verletzen.

Als Verfahrensrechtsverletzungen kommen z.B. in Betracht die Nichterhebung von Beweisen, eine Entscheidung trotz Unzuständigkeit oder die Verletzung des Beschleunigungsgrundsatzes.

Verfahrensfehler stellen nur dann eine Rechtsbeugung dar, wenn elementare Rechtsverstöße vorliegen, bei denen sich der Täter bewusst und in schwerer Weise von Recht und Gesetz entfernt.


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