Kindesmissbrauch und Verbreiten/Besitz von Kinderpornographie sind künftig Verbrechen
Ursprünglich stand Bundesjustizministerin Christine Lambrecht den Forderungen nach Verschärfung des Strafrechts im Bereich des Kindesmissbrauchs und der Kinderpornographie kritisch gegenüber. Sie sah mehr Bedarf bei Sensibilisierung zum Thema, Schulung von Lehrern, Erziehern, Ärzten etc. und personellen Ressourcen an relevanten Stellen.
Sie hat ihre Einstellung, wohl auch unter teils reißerischem, medialem Druck, revidiert und ein Reformpaket zur Bekämpfung sexualisierter Gewalt gegen Kinder vorgestellt mit einem insgesamt deutlich härteren Strafrahmen als bisher.
Besitz und Verbreitung von Kinderpornographie sind künftig Verbrechen
Gemäß geltendem § 184 b StGB ist das Verbreiten, Herstellen, Beziehen oder Liefern kinderpornographischer Schriften mit einer Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bedroht. Im Fall der gewerbsmäßigen Tatbegehung erhöht sich der Strafrahmen gemäß § 184 b Abs. 2 StGB auf sechs Monate bis zehn Jahre. Beide Strafrahmen sollen erhöht werden:
- Die Verbreitung und der Besitz von Kinderpornographie sollen künftig als Verbrechen eingestuft und mit einer Mindestfreiheitsstrafe von einem Jahr belegt werden, § 184 b StGB-E.
- Im Fall der gewerbsmäßigen oder bandenmäßigen Tatbegehung soll die Mindestfreiheitsstrafe künftig zwei Jahre betragen, § 184 b Abs. 2 StGB-E.
- Das Inverkehrbringen, der Erwerb und Besitz von Sexpuppen mit kindlichem Erscheinungsbild wird demgegenüber nicht als Verbrechen gewertet und gemäß § 184 l StGB-E mit Freiheitsstrafe bis fünf Jahre geahndet.
Auch sexueller Missbrauch soll als Verbrechen eingestuft werden
Gemäß geltendem § 176 StGB wird derjenige, der sexuelle Handlungen einer Person unter 14 Jahren vornimmt oder an sich vornehmen lässt oder ein Kind dazu bestimmt, sexuelle Handlungen an einem Dritten vorzunehmen oder von einem Dritten an sich vornehmen zu lassen mit einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren bestraft, im Wiederholungsfall beträgt die Mindeststrafe gemäß § 176 a Abs. 1 StGB ein Jahr, in schweren Fällen gemäß § 176 a Abs. 2 StGB steigert sich die Mindeststrafe auf zwei Jahre.
- Künftig soll die Mindeststrafe auch für leichte Fälle auf ein Jahr erhöht § 176-E StGB, und
- damit auch diese Tat immer als Verbrechen eingestuft werden,
- die Höchststrafe soll auf 15 Jahre erhöht werden.
- Gemäß § 176 c StGB-E beträgt in Wiederholungsfällen die Freiheitsstrafe mindestens zwei Jahre,
- bei schwerer Misshandlung des Kindes gemäß § 176 c Abs. 3 StGB-E wird Freiheitsstrafe von nicht unter fünf Jahren verhängt.
- Verursacht der Täter leichtfertig den Tod des Kindes, beträgt die Mindestfreiheitsstrafe zehn Jahre.
Eigener Straftatbestand für sexuelle Handlungen ohne Körperkontakt
Ausdrücklich erfasst werden künftig Täter, die Kinder anderen zur Begehung sexueller Gewalttaten anbieten oder sich dazu verabreden. Ein eigenständiger Straftatbestand, § 176 a StGB-E, soll sexuelle Handlungen ohne Körperkontakt erfassen, wenn beispielsweise der Täter sexuelle Handlungen an sich selbst vor den Augen eines Kindes vornimmt. Für diese Taten wird ein Strafrahmen von sechs Monaten bis zehn Jahre Freiheitsstrafe vorgesehen.
Die Verjährungsfrist für sexuelle Bildaufnahmen von Kindern beginnt künftig erst mit Ende des 30. Lebensjahres von Betroffenen.
Einvernehmlicher Sex zwischen Kindern bzw. Jugendlichen soll privilegiert werden
Die Sonderregelung des § 176 Abs. 2 StGB-E soll bei einvernehmlichem Sex unter Kindern und Jugendlichen etwa gleichen Alters den Gerichten die Möglichkeit einräumen, je nach Gestaltung des Einzelfalls von einer Bestrafung abzusehen. Hiermit soll vermieden werden, dass der Staat auf sexuelle Interaktionen unter Kindern und Jugendlichen, die Teil einer normalen sexuellen Entwicklung sind, unangemessen reagiert und beispielsweise Kinder oder Jugendliche auf Jahre in stigmatisierende Register bringt.
Neues „Wording“: Sexualisierte Gewalt gegen Kinder
Besonders umstritten ist die Änderung der Begrifflichkeiten. Der Begriff „sexueller Missbrauch“ wird künftig durch den Begriff „sexualisierte Gewalt gegen Kinder“ ersetzt werden. Nach der Wertung des BMJV soll damit künftig das Unrecht der Taten klarer schon in der Begrifflichkeit hervortreten. Kritiker wenden ein, der neue Begriff stelle das Merkmal der Gewalt zu sehr in den Vordergrund, in den meisten Fällen gehe es den Tätern aber um sexuelle Stimulation oder Befriedigung.
Verfahrenseinstellungen künftig praktisch ausgeschlossen
Die Änderungen betreffen nicht nur die künftig zu erwartende Höhe der Strafen von Tätern. Die Einstellung von Verfahren wegen Geringfügigkeit oder gegen Auflagen ist zukünftig ausgeschlossen.
Untersuchungshaft künftig ohne Flucht- und Verdunkelungsgefahr
Auch die StPO ist von den Änderungen betroffen.
- Gemäß § 48a StPO-E sind Verhandlungen, Vernehmungen und Untersuchungshandlungen bei besonders schutzbedürftigen Zeugen, die zugleich Verletzte sind, unter Berücksichtigung der schutzwürdigen Interessen der Zeugen und möglicher schwerwiegender Nachteile für deren körperliche und seelische Gesundheit
- sowie bei minderjährigen Verletzten unter einem besonderen Beschleunigungsgebot durchzuführen.
- Gemäß ergänztem § 112 StPO-E können künftig bei schwerer sexueller Gewalt gegen Kinder dringend Tatverdächtige auch ohne Flucht- oder Verdunkelungsgefahr in Untersuchungshaft genommen werden
- Außerdem wird das Entdeckungsrisiko der Täter dadurch erhöht, dass der Katalog der Telekommunikationsüberwachung und Online-Durchsuchung bei einschlägigen Straftaten erweitert wird.
Verbesserung der Qualifikation von Staatsanwälten und Richtern geplant
Flankierend plant das BMJV eine bessere psychologische Ausbildung der Richter:innen und Staatsanwält:innen, die mit diesen Straftatbeständen befasst sind. Besondere Fortbildungs- und Schulungsmaßnahmen sollen zu einer besseren Qualifikation der maßgeblichen Richter:innen und Staatsanwält:innen an Jugendgerichten, aber auch bei den Familiengerichten führen. Die Qualität der Befragungen von Kindern und Zeugen in solchen Verfahren soll auf diese Weise deutlich verbessert werden. Ein Vorhaben, das schon seit Jahrzehnten im Raum steht und nun durch erweiterte Qualifikationsanforderungen einen gesetzlichen Niederschlag gefunden hat.
Änderung des Bundeszentralregistergesetzes
Das Bundesland Baden-Württemberg hatte den Vorschlag unterbreitet, Sexualdelikte künftig zeitlich unbegrenzt im Führungszeugnis einzutragen. Diesen Vorschlag greift der beschlossene Gesetzentwurf teilweise auf und sieht für bestimmte Sexualstraftaten künftig schon bei geringfügigen Verurteilungen eine Aufnahme in das erweiterte Führungszeugnis für die Dauer von zehn Jahren vor. Für bestimmte kinderschutzrelevante Straftaten ist eine Aufnahmefrist von 20 Jahren bei Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe oder Jugendstrafe von mehr als einem Jahr vorgesehen.
Rechtswissenschaftler und Strafverteidiger üben Kritik
Bundesjustizministerin Christine Lambrecht erklärte zu dem Gesetzentwurf, sexualisierte Gewalt gegen Kinder und Kinderpornographie müssten in Zukunft „ohne Wenn und Aber als Verbrechen“ eingestuft werden. Strafrechtler wie der Göttinger Strafrechtsprofessor Kai Ambos kritisieren demgegenüber insbesondere die Anhebung der unteren Strafrahmen als eine „unverhältnismäßige Überkriminalisierung“ leichterer Fälle, die es auch gebe. Schon die flüchtige Berührung eines Kindes mit sexueller Motivation oder der Besitz eines unsittlichen Fotos seien künftig möglicherweise als Verbrechen einzustufen mit einer Mindestfreiheitsstrafe von einem Jahr. Auch die Aushebelung der Grundsätze zur Untersuchungshaft stoßen auf scharfe Kritik, insbesondere von Strafverteidigern, doch bei diesem heiklen Thema waren kritische Äußerungen an den Strafverschärfungen schon fast rufgefährdend.
Auf breite Zustimmung treffen dagegen die Pläne des BMJV zur besseren Ausbildung von Familien- und Jugendrichter:innen.
Kritik auch aus der Opposition
Der Gesetzentwurf wurde im Bundestag mit den Stimmen der Koalition und der AfD beschlossen und am 7.5. stimmte ihm der Bundesrat zu.Insbesondere Grüne und FDP kritisieren, dass einzelne Bestimmungen über das Ziel hinausschössen. So sei nach dem Gesetzentwurf ein jugendlicher Schüler, der auf seinem Handy das aufreizende Nacktfoto einer Minderjährigen speichert, als Verbrecher einzustufen. Das Gesetz könne auf diese Weise zu einer nicht mehr gut zu machenden Stigmatisierung von Jugendlichen führen und diesen damit ihre Zukunft verbauen.
Gesetzesvorhaben löst die Probleme der Tataufdeckung nicht
Auch die Polizeibehörden sehen das Hauptproblem auf diesem Gebiet mehr in den praktischen Problemen der Strafverfolgung als in der Höhe der Strafen. Zur Ermittlung von Tätern, die immer mehr über Internetplattformen agieren, sei ein Abgleich gigantischer Datenmengen erforderlich. Die beweissichere Feststellung konkreter Beschuldigter im Netz sei das zentrale Problem der Strafverfolgung. Zwar hätten nach Feststellungen der Polizei NRW die Ermittler im Jahr 2018 ca. 92 % der ermittelten Straftaten im Bereich Kinderpornographie aufgeklärt, die Dunkelziffer der nicht entdeckten Fälle sei aber gigantisch und nicht abzuschätzen.
Aufklärung erfordert Aufstockung der technischen und personellen Mittel
Der Fall der Aufdeckung von Kinderpornographie im nordrhein-westfälischen Bergisch Gladbach zeigt, dass diese Einschätzung der Polizeibehörden nicht aus der Luft gegriffen ist. In Bergisch Gladbach sind die Behörden auf über 30.000 Einzelspuren gestoßen, deren Auswertung Monate wenn nicht Jahre dauern kann. Schärfere Strafandrohungen können vor diesem Hintergrund nur dann zu einer Eindämmung dieses ständig wachsenden Kriminalitätssegments führen, wenn die Strafverfolgungsbehörden technisch und personell so ausgestattet werden, dass die begangenen Straftaten entdeckt, aufgeklärt und die Täter ermittelt werden können.
Hohes gesellschaftliches Vernichtungspotential für Verdächtigte
Nicht zuletzt ist das Thema Kindesmissbrauch schon jetzt bekannt und gefürchtet für sein Potential, alleine mit einem entsprechenden Verdacht, sei er auch irrig oder schlimmstenfalls taktisch lanciert oder motiviert, soziale Existenzen unwiederbringlich zu vernichten.
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