Voraussetzungen der vollständigen Sorgerechtsentziehung
Im Beschwerdeverfahren streiten die Beteiligten über die Entziehung der elterlichen Sorge für vier Kinder, die zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung 12, 10, 6 und 5 Jahre alt waren. Beide Eltern hatten keine abgeschlossene Ausbildung, der Vater war weitgehend Analphabet.
Entziehung der elterlichen Sorge für vier Kinder
Nach heftigen Streitereien der Eltern bezog der Kindesvater mit den vier Kindern am 01.12.2009 eine eigene Wohnung. Das Aufenthaltsbestimmungsrecht für alle vier Kinder wurde ihm alleine übertragen. Nach zeitweiser guter Zusammenarbeit des Kindesvaters mit dem Jugendamt gestaltete sich diese aufgrund psychischer Probleme des Vaters immer schwieriger, als dieser sich zunehmend mit seinem Kummer mit der von ihm getrennt lebenden Kindesmutter beschäftigte, die sich seinem Cousin gewandt hatte.
Nach erheblichen Problemen mit Tabletten und diversen Therapieversuchen flüchtete der Kindesvater sich schließlich in seine Arbeit, so dass die Kinder zunehmend verwahrlosten. Später vom Gericht hinzugezogene Psychologen stellten bei allen Kindern schwere psychische Defekte fest, die sich in völliger Schulverweigerung und teilweise in völlig übertriebener Fürsorge des ältesten Kindes gegenüber seinen Geschwistern zeigte. Im August 2013 hat das Familiengericht den Eltern die Kindessorge vollständig entzogen.
Elternrecht ist Verfassungsgut von hohem Rang
Die Rechtsgrundlage für die Entziehung der elterlichen Sorge findet sich in §§ 1666, 1666 a BGB. Voraussetzung ist eine erhebliche Kindeswohlgefährdung sowie eine - trotz öffentlicher Hilfen - nicht hinreichende Gefahrenabwehr durch die sorgeberechtigten Eltern.
- Vor diesem Hintergrund stellte das OLG klar, dass die Trennung von ihren Kindern für die Eltern der stärkste vorstellbare Eingriff in ihr grundrechtlich durch Art. 6 Abs. 1-3 GG geschütztes Elternrecht sei, wobei dieser Eingriff in gleicher Intensität das Kind betreffe.
- Das Familiengericht habe deshalb mit äußerster Sorgfalt zu prüfen, ob bei einem Verbleiben in der Familie die Kinder in ihrem körperlichen, geistigen oder seelischen Wohl nachhaltig gefährdet seien (OLG Brandenburg, Beschluss v. 15. 01.2009, 9 UF 51/07).
Sorgerechtsentziehung kann zwingend geboten sein
Auf der anderen Seite wies das OLG darauf hin, dass die Entziehung der elterlichen Sorge auch geboten sein kann, wenn das Kind bereits einen Schaden erlitten hat und zukünftige Schädigungen des Kindeswohls unmittelbar bevorstünden. Anhaltspunkte hierfür seien typischerweise
- die Beeinträchtigung der sprachlichen Entwicklung,
- eine eingetretene Verwahrlosung,
- psychische Schwierigkeiten und Neigung zur Gewalt,
- Auffälligkeiten in der sozialen Verträglichkeit,
- mangelnde Konzentrationsfähigkeit sowie
- Traumatisierungseffekte.
Vorliegend stellte der Senat bei allen Kindern deutlich erkennbare Defekte in ihrem emotionalen und sozialen Verhalten fest. In einer fünfstündigen Anhörung durch das OLG hätten alle Kinder schwere Auffälligkeiten gezeigt, der ältere habe erklärt, Papa weine oft, manchmal breche er auch zusammen oder schreie oder kratze sich im Gesicht. Er würde sich zwar freuen, wenn der Vater ihn in der jetzigen Pflegefamilie besuche, wenn er wieder gehe, sei es aber auch nicht schlimm. Aus alledem folgerte der Senat, dass sämtliche Voraussetzungen für eine Entziehung des Sorgerechts vorlagen und die Entscheidung des Familiengerichts nicht zu beanstanden sei.
Kindesanhörung auch bei heimlichen Tonaufnahmen verwertbar
Umfassend prüfte der Senat schließlich die vom Kindesvater vorgebrachten Umstände einer angeblichen heimlichen Ausstattung der Kinder mit versteckten elektronischen Aufnahmegeräten vor der Kindesanhörung. Der Kindesvater pochte darauf, dass die vor dem Senat durchgeführte Kindesanhörung deshalb nicht verwertbar sei. Hierzu stellte der Senat heraus, dass einerseits das Vorbringen des Vaters aus verschiedenen Gründen nicht glaubhaft sei, zum andern komme es für die Verwertbarkeit der Kindesanhörung allein darauf an, ob der Ablauf der Kindesanhörung und die die Authentizität der Angaben der Kinder durch versteckte elektronische Aufnahmegeräte infrage gestellt seien (BVerfG, Beschluss v. 21.04.2005, 1 BvR 510/04).
Nach den Erkenntnissen des Senats hatten die Kinder bei ihrer Anhörung in keiner Weise das Bewusstsein, dass durch eine Tonaufnahme ihre Aussagen später vom Vater oder von anderen überprüft werden könnten. Die Kinder hätten frei und offen mit dem Gericht gesprochen. Ein Grundrecht der Beteiligten, insbesondere des Kindesvaters, auf rechtliches Gehör sei auch aus keinem Gesichtspunkt verletzt. Es sei daher nicht ersichtlich, dass die Anhörung der Kinder rechtlich nicht verwertbar sein sollte. Im Ergebnis gelangte der Senat zu der Überzeugung, dass eine Gefährdung des Wohls der Kinder nur dadurch ausgeschlossen werden könne, dass es bei der Sorgerechtsentziehung durch das Familiengericht bleibe.
(OLG Hamm, Urteil v. 26.2.2014, 3 UF 184/13).
Vgl. zum Thema Sorgerecht auch:
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