Bundesrat hat Reform des Sexualstrafrechts verabschiedet - es bleibt beim (stummen) Nein
Beweisschwierigkeiten könnten den Effekt schmälern und der medial aufgeheizte Lohfink-Prozess überschattete das Gesetzgebungsverfahren zeitweise. Doch nun hat der Bundesrat den Änderungen am 23.9.2016 zugestimmt:
- Es reicht künftig aus, dass das Opfer seinen entgegenstehenden Willen ausdrücklich verbal oder konkludent, etwa durch Weinen oder Abwehrhandlungen, zum Ausdruck bringt.
- Eine Gewaltandrohung oder -ausübung ist nicht mehr Voraussetzung für die Strafbarkeit.
- Ausreichend ist auch eine Situation, in der das Opfer nicht in der Lage ist, einen entgegenstehenden Willen zu bilden oder zu äußern.
Lang geforderte und umkämpfte Neuerung
Insbesondere Juristinnen- und Frauenverbände beklagten den unzureichenden Schutz, den das Strafrecht Opfern von sexuellen Übergriffen bisher bietet.
- Bemängelt wurde vor allem, dass Sexualstraftäter in der Praxis häufig nur bestraft wurden, wenn sie Gewalt gegen das Opfer angewendet hatten.
- Mit der Reform soll erreicht werden, dass Täter immer bestraft werden können, wenn sie sich über den erkennbar entgegenstehenden Willen des Opfers hinwegsetzen.
Ein einfaches Nein des Opfers, auch ohne kämpferische Aktivitäten, soll ausreichen, um dessen entgegenstehenden Willen zu dokumentieren.
Kölner Silvesternacht hat Reformpläne beschleunigt
Das bereits seit längerer Zeit beabsichtigte Reformvorhaben wurde durch die Vorgänge in der Kölner Silvesternacht zusätzlich gepusht. Neu hinzugekommen ist die Strafbarkeit sexueller Angriffe aus einer Gruppe heraus. Vor dem Hintergrund der Kölner Erfahrungen geplant:
Es sollen alle Gruppenmitglieder strafbar sein, wenn aus der #Gruppe heraus #Sexualstraftaten begangen werden.
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Damit einhergehend wird das Aufenthaltsgesetz dahingehend geändert, dass die Verhängung einer Freiheitsstrafe deutlich schneller zu einer Ausweisung führt.
"Begrapschen" wird unter Strafe gestellt
Kernstück der Reform sind neben der „Gruppenstrafbarkeit“ die Änderungen der §§ 177, 179 StGB.
Insbesondere leichtere sexuelle Übergriffe, wie ungefragtes Begrapschen oder auch das unvermittelte Aufdrücken eines Kusses, stehen nach dem geänderten § 179 unter Strafe.
Gemäß § 179 Abs. 1 StGB wird in Zukunft bestraft, wer unter Ausnutzung einer Lage, in der eine andere Person aufgrund ihres körperlichen oder psychischen Zustandes zum Widerstand unfähig ist, aufgrund der überraschenden Begehung der Tat zum Widerstand unfähig ist oder im Fall des Widerstandes ein empfindliches Übel befürchtet sexuelle Handlungen an dieser Person vornimmt oder an sich von dieser Person vornehmen lässt.
Die Strafdrohung beträgt in diesem Fall sechs Monate bis zehn Jahre.
Bundesregierung nennt die Reform historisch
Die Regierungsparteien feiern die Reform als „historischen Schritt“ und als „Meilenstein für den Schutz von Opfern sexueller Straftaten“, insbesondere für den Schutz der Frauen.
„Wir Frauen haben für diesen Tag lange gekämpft“. Solche und ähnliche Sätze waren in seltener Eintracht sowohl aus den Reihen der CDU, der SPD und der Linken zu hören.
Damit, das #Vergewaltigungen straffrei blieben, weil das #Opfer sich zu wenig gewehrt habe, soll es vorbei sein.
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Richterbund erwartet keinen signifikanten Anstieg der Verurteilungen
Von Seiten einiger Grünen-Abgeordneter, aber auch von Richtern und Kriminologen sind auch kritische Worte zu hören. Der Deutsche Richterbund stellte die Frage, was „nein heißt nein“ bedeute, wenn im Prozess Aussage gegen Aussage steht und - wie in solchen Fällen üblich - kein Zeuge dabei war. Die Situation vor Gericht sei dann die gleiche wie bisher: Aussage gegen Aussage.
Der Vorsitzende des Deutschen Richterbundes Jens Gnisa dämpft daher zu hohe Erwartungen an die Reform. Schon jetzt sehe das deutsche Sexualstrafrecht in § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB die Strafbarkeit nicht einvernehmlicher sexueller Handlungen vor, ohne dass die Strafbarkeit von einer konkreten Gegenwehr des Opfers abhängig gemacht würde.
Ein signifikanter Anstieg von Verurteilungen ist nach seiner Auffassung durch die Reform nicht zu erwarten.
Erwartungen an die Schlagkraft des Strafrechts sind zu hoch
Der Direktor des Instituts für Kriminologie der Universität Tübingen Jörg Kinzig äußerte, dass die mit der Reform verknüpften Erwartungen an die Schlagkraft des Strafrechts nur schwer einzulösen seien.
Grüne kritisieren besonders die Emotionalisierung der Diskussion infolge der Ereignisse in der Silvesternacht in Köln. Die Grünen-Abgeordnete Renate Künast hält die Gruppenbestrafung bei sexuellen Angriffen aus einer Gruppe heraus für eine Art Sippenhaft. Damit werde das Schuldprinzip in verfassungswidriger Weise außer Kraft gesetzt.
Die CDU hält dagegen, dass auch derjenige, der aus der dritten oder vierten Reihe an Straftaten mitwirke und durch Drängeln, Abschirmen oder auch bloßes Zuschauen die Begehung einer Straftat unterstütze oder sogar erst ermögliche, bestraft werden müsse.
Frühestens im Herbst 2016 tritt die Reform in Kraft
Im Ergebnis dürfte die Reform besonders in Fällen leichter sexueller Übergriffe den Gerichten die Bestrafung der Täter erleichtern.
- Zur Bestrafung sexueller Belästigungen musste bisher auf eher sachfremde Tatbestände wie die Beleidigung nach § 185 StGB oder die einfache Nötigung nach § 240 StGB zurückgegriffen werden.
- Mit der Reform steht für solche sexuellen Übergriffe mit dem neuen § 179 StGB ein adäquater Straftatbestand bereit.
Insbesondere an den häufig auftretenden Beweisschwierigkeiten, wenn - wie so oft - Zeugen fehlen, wird die Reform nichts ändern.
Das Gesetz wird nun nach der Verkündung im Bundesgesetzblatt in Kraft treten.
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