Keine Strafe trotz erheblicher Geschwindigkeitsüberschreitung
Freispruch trotz erheblicher Geschwindigkeitsüberschreitung? Das kann vorkommen: Immer wieder kann es sich für Betroffene lohnen, gegen ein Bußgeld, das aufgrund einer automatisierten Geschwindigkeitsmessung verhängt wurde, gerichtlich vorzugehen. Messungen mit dem von den Behörden häufig verwendeten Standardgeschwindigkeitsmessgerät „PoliScanspeed“ der Fa. Vitronic wurden in der Vergangenheit aus verschiedenen Gründen von den Gerichten beanstandet, was nicht selten zur Aufhebung von Bußgeldbescheiden führte.
Erstauswertung ergab ordnungsgemäße Messung
In einem vom AG Michelstadt entschiedenen Fall war gegen den Betroffenen ein Bußgeld wegen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit um 31 km/h verhängt worden. Die zur Überprüfung der Messung verwendete Auswertesoftware der Version 3.38.0 zeigte eine ordnungsgemäße Messung an, weshalb die zuständige Behörde keinerlei Zweifel an der Ordnungsemäßigkeit der Messung hatte und deshalb ein Bußgeld gegen den Betroffenen Fahrzeugführer verhängte.
Auswertung der Messergebnisse durch ein privates Unternehmen
Vor Gericht stellte sich dann heraus, dass die Auswertung der Messung nicht von einer Behörde oder einer zu einer Behörde gehörenden Stelle stammte, sondern an das private Betreiberunternehmen der Messanlagen delegiert worden war, dass standardmäßig die Auswertung der Messungen vornahm. Die Auswertungsergebnisse stellte das Unternehmen der Behörde auf Ihrem Server zur Verfügung. Die Bezahlung des Unternehmens erfolgte nach der Zahl der Auswertungsergebnisse.
Behörde hat die private Auswertung nicht einmal überprüft
Ein vom Gericht beauftragter Sachverständiger kam in einer Kontrollauswertung zu dem Ergebnis, dass die Auswertesoftware in der Version 3.38.0 zwar eine ordnungsgemäße Messung anzeigt, die gleiche Messung aber von der neueren Auswertungssoftware 3.45.1 verworfen wird.
- Die Verwendung der neueren Version wird von der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt zur Erzielung eines zuverlässigen Auswertungsergebnisses vorgeschrieben.
- Diese Vorgabe war von dem privaten Auswertungsunternehmen nicht beachtet worden.
- Die zuständige Behörde selbst hatte die Details der Auswertungsmethode durch das Privatunternehmen und insbesondere auch die verwendete Version der Auswertungssoftware nicht überprüft.
Multiple Pflichtverletzungen seitens der Behörde
Das Gericht rügte diese Vorgehensweise nicht nur als rechts-, sondern auch als verfassungswidrig.
Die Verfolgung von Straftaten und Ordnungswidrigkeiten sei eine originär hoheitliche Aufgabe, die dem Gewaltmonopol des Staates entspringe. Die Übertragung dieser Aufgabe auf Dritte sei unzulässig.
Dies gelte besonders dann, wenn die Behörde nicht einmal die von dem Privatunternehmen verwendeten Auswertungsmethoden überprüfe. Im entschiedenen Fall sei die zur Erreichung eines zuverlässigen Ergebnisses zwingende technische Vorgabe der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt nicht eingehalten worden.
Ein effektiver Rechtsschutz für die Betroffenen sei nicht zu gewährleisten, wenn die Auswertung einer Geschwindigkeitsmessung nicht nach den gebotenen technischen Erfordernissen erfolge und somit die Zuverlässigkeit der Messung nicht gewährleistet sei.
(AG Michelstadt, Urteil v. 16.4.2015, 2 Owi-8200 Js 17495/14).
PoliScansped - Messungen häufiger fehlerhaft
Unabhängig von der unzulässigen Übertragung hoheitlicher Aufgaben auf Private haben Geschwindigkeitsmessungen mit PoliScanspeed-Geräten in der Vergangenheit häufiger Anlass zu Beanstandungen gegeben. In einem vom AG Friedberg entschiedenen Fall hatte die Auswertesoftware 19 % der Messungen an einem Messpunkt verworfen.
Unklar war, ob die Software lediglich Verdeckungsszenarien (das gemessene Fahrzeug wird durch ein Zweitfahrzeug verdeckt), Messungenauigkeiten aufgrund von Stufenprofilen (entstehen beispielsweise bei einer stark angeschrägten Fahrzeugfront) oder Messfehler wegen sonstiger Probleme eliminiert hat. Das AG sah auch in diesem Fall die Messung nicht als geeignete Grundlage für die Verhängung eines Bußgeldes an (AG Friedberg, Urteil v. 11. 8.2014, 45 a OWi 205 Js16236/14).
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