Versicherungsleistung bei Unfall mit nach Vertragsschluss ausgetauschtem, stärkerem Motor
Der Kläger wollte sein getuntes Corvette-Cabrio am Ende eines Tunnels vor einer Ampel abbremsen. Das misslang. Er rutschte vom Brems- auf das Gaspedal. Das 405 PS starke Fahrzeug beschleunigte und krachte gegen die Tunnelwand. Der Sachschaden am Auto lag bei gut 23.000 Euro.
Versicherung: Tuning war eine anzeigepflichtige Gefahrenerhöhung
Von seiner Kfz-Versicherung wollte der Mann den Schaden ersetzt bekommen. Doch die Versicherung lehnte es ab zu zahlen. Sie sei nicht leistungspflichtig. Begründung: Das ihr nach dem Unfall bekannt gewordene Motor-Tuning stelle eine Gefahrenerhöhung im Sinne des § 23 VVG dar, die der Kläger schuldhaft nicht angezeigt habe.
Der Corvette-Fahrer argumentierte, der Unfall habe sich allein deswegen ereignet, weil er vom Brems- auf das Gaspedal abgerutscht sei. Dies wäre in gleichem Maße mit dem alten Motor möglich gewesen, der nur 243 PS hatte.
- Der Unfall hätte sich auch mit dem schwächeren Motor genauso ereignet. Die höhere Leistung habe sich auf die Beherrschung des Fahrzeugs nicht ausgewirkt.
- Der Versicherungsnehmer brachte zudem vor, dass der Einbau des Motors durch einen autorisierten Fachbetrieb erfolgt sei, von dem er nicht darauf hingewiesen worden sei, dass die Betriebserlaubnis durch den Einbau des stärkeren Motors erlöschen könne.
- Zudem habe das Fahrzeug ohne Beanstandung eine neue Prüfplakette vom TÜV bekommen.
Kaskoversicherung kann Leistung um zwei Drittel kürzen
Das Landgericht hatte entschieden, dass die Versicherung ihre Leistung gemäß § 26 Abs. 2 Satz 2 VVG um zwei Drittel kürzen könne, weil durch den Einbau des wesentlich stärkeren Motors nach dem Abschluss des Versicherungsvertrags eine Gefahrenerhöhung vorliege.
Nach § 23 Abs. 1 VVG darf ein Versicherungsnehmer nach Abgabe seiner Vertragserklärung ohne Einwilligung des Versicherers keine Gefahrenerhöhung vornehmen oder deren Vorname durch einen Dritten gestatten.
Stärkerer Motor stellt eine geänderte Risikolage dar
Durch die Bestimmung der §§ 23 ff VVG soll das Gleichgewicht zwischen Prämienaufkommen und Versicherungsleistung aufrechterhalten bleiben: Der Versicherer soll nicht gezwungen sein, an einem Versicherungsvertrag festhalten zu müssen, obwohl sich die Risikolage so geändert hat, dass nach den Erkenntnissen der Versicherungsmathematik und den Grundsätzen der Versicherungstechnik die Erhebung einer höheren Prämie geboten gewesen wäre (BGH, Beschluss v. 20.06.2012, IV ZR 150/11).
Begründung der Kürzung der Versicherungsleistung wegen Tuning
Das Saarländische OLG hat die Kürzung der Versicherungsleistung um zwei Drittel bestätigt und begründete dies so:
- Dass der Einbau eines anderen Motors eine beachtliche Gefahrenerhöhung in der Fahrzeug-Kaskoversicherung darstellt, wenn die Leistung des neuen Motors und die mit ihm erzielbare Höchstgeschwindigkeit die des früheren Zustands erheblich übersteigt, sei in der Rechtsprechung und der versicherungsrechtlichen Literatur allgemein anerkannt.
- Ein solcher Eingriff in das sprichwörtliche Herz eines Fahrzeugs verändere dessen Charakter in grundlegender Weise und bewirke eine nicht unerhebliche (§ 27 VVG) Steigerung des Unfallrisikos, sowohl dem Grunde als auch der Höhe nach.
- Da der nachträglich eingebaute Motor die Leistung des alten Motors um zwei Drittel überstieg seien mit ihm deutlich stärkere Beschleunigungen und höhere Geschwindigkeiten möglich gewesen als mit dem bei Vertragsbeginn vorhandenen schwächeren Motor.
Durch nicht angezeigten deutlich stärkeren Motor wird Obliegenheit aus § 23 Abs. 1 VVG grob fahrlässig verletzt
Dass dadurch das mit dem Betrieb des Fahrzeugs verbundene Risiko messbar erhöht werde, weil mit der Leistung und der Geschwindigkeit die Gefahr schwerer Unfälle steige, liege auf der Hand (vgl. BGH, Urteil v. 25.02.1970, IV ZR 639/68).Der Kläger habe die kraft Gesetzes (§ 26 Abs. 1 Satz 2 VVG) gegen ihn bestehende Vermutung, er habe die Obliegenheit aus § 23 Abs. 1 VVG grob fahrlässig verletzt, nicht widerlegt. Schon deshalb schieden weitergehende Ansprüche auf Versicherungsleistungen aus.
(Saarländisches OLG, Urteil v. 04.03.2020, 5 U 64/19)
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Hintergrund: Obliegenheiten im Versicherungsrecht
Es wird zwischen gesetzlichen und vertraglichen Obliegenheiten unterschieden. Die gesetzlichen Obliegenheiten sind im Versicherungsvertragsgesetz (VVG) geregelt. Sie gelten für alle Versicherungssparten.
Gesetzlichen Obliegenheiten:
Die wichtigsten gesetzlichen Obliegenheiten sind die vorvertragliche Anzeigepflicht (§§ 16 bis 22 VVG), Unterlassungs- und Anzeigepflichten im Zusammenhang mit einer Gefahrenerhöhung (§§ 23-30 VVG), die Obliegenheit zur Anzeige eines Versicherungsfalls (§ 33 VVG) und die Auskunfts- und Belegpflicht (§ 34 VVG).
Vertragliche Obliegenheiten:
In den Allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB) werden die vertraglichen Obliegenheiten vereinbart. § 28 Versicherungsvertragsgesetz regelt die Rechtsfolgen, die eintreten können, falls eine vertragliche Obliegenheit verletzt wird. Obliegenheiten müssen transparent formuliert sein (§ 307 Abs. 1 Satz 2 BGB). Das bedeutet, dass der Versicherungsnehmer deutlich erkennen kann, was von ihm verlangt wird und unter welchen Umständen er seinen Versicherungsschutz verlieren kann. Zudem dürfen Obliegenheiten den Versicherungsnehmer nicht unangemessen benachteiligen (§ 307 Abs. 2 BGB).
Beispiele einer Gefahrerhöhung in der Kfz-Versicherung
Im Bereich der Kraftfahrtversicherung beziehen sich die Gefahrerhöhungen meist auf die (Weiter-)Benutzung eines Kfz in länger andauerndem verkehrsunsicheren Zustand (BGH VersR 1990, 80), z.B. aufgrund
- abgenutzter/abgefahrener Reifen (BGH VersR 1975, 1017; BGH VersR 1967, 746; OLG Saarbrücken zfs 2003, 127),
- mangelhaften Zustands der Bremsanlage (BGH zfs 1986, 149),
- erheblicher Umbauten am Fahrzeug, wie bei frisierten Mofas (BGH VersR 1970, 412; BGH VersR 1990, 80 = zfs 1990, 93),
- defekter Achse (BGH VersR 1969, 216),
- defekter Kupplung (BGH VersR 1963, 34),
- defekter Lenkung (BGH VersR 1969, 216).
Eine Gefahrerhöhung kann jedoch auch auf persönlichen Mängeln des Fahrers beruhen, wie z.B.
- das wiederholte Fahren unter Alkoholeinfluss (OLG Frankfurt VersR 1960, 262),
- das häufige Fahren ohne die erforderliche Sehhilfe (BGH VersR 1968, 654; BGH VersR 1969, 1011; OLG Karlsruhe VersR 1969, 175),
- das Überlassen des Fahrzeugs an einen Epileptiker (OLG Hamm VersR 1985, 751; OLG Stuttgart zfs 1997, 257; OLG Nürnberg NVersZ 1999, 437) oder Diabetiker (OLG Oldenburg zfs 1985, 55).
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