Autounfall verspätet angezeigt – besteht trotzdem Anspruch gegen die Vollkaskoversicherung?
Der Autounfall, bei dem am Fahrzeug der Klägerin ein Schaden in Höhe von 5.400 EUR entstand, ereignete sich 28. Februar 2016 statt. Bei ihrer Vollkaskoversicherung zeigte die Frau den Schaden erst mehr als ein Jahr später an, am 26.05.2017. Die Versicherung weigerte sich zu zahlen, weil die Frau gegen die Obliegenheit verstoßen habe, den Schaden fristgerecht anzuzeigen.
Klägerin hoffte auf Haftpflichtversicherer des Unfallgegners
Die Klägerin machte geltend, dass sie keine Veranlassung gehabt habe, ihren Kaskoversicherer in Anspruch zu nehmen, weil sie die berechtigte Erwartung gehabt habe, dass der Unfallgegner und dessen Haftpflichtversicherer zum vollständigen Schadensersatz verpflichtet seien.
Das OLG Braunschweig entschied, dass die Frau keinen Anspruch gegen die Versicherung auf Zahlung der 5.400 EUR hat. Die Versicherung sei gemäß § 28 Abs. 2 Satz 1 VVG der zwischen den Parteien vereinbarten allgemeinen Bedingungen für die Kfz-Versicherung (AKB 2010) leistungsfrei geworden.
Folgenschwerer Verstoß gegen Obliegenheit zur fristgerechten Anzeige eines Schadenereignisses
Die Klägerin habe gegen die sich aus den zugrunde liegenden Versicherungsbedingungen ergebende Obliegenheit zur fristgerechten Anzeige des Schadenereignisses verstoßen. Denn nach den Versicherungsbedingungen ist der Versicherungsnehmer verpflichtet, dem Versicherer jedes Schadenereignis innerhalb einer Woche anzuzeigen, das zu einer Leistung führen kann.
Wann die Meldefrist für einen Schaden zu laufen beginnt
Voraussetzung für den Beginn der Meldefrist ist nicht, dass der Versicherungsnehmer sich tatsächlich entschließt, seine Kaskoversicherung in Anspruch zu nehmen. Voraussetzung ist der Eintritt eines in der Kaskoversicherung versicherten Ereignisses, das zu einer Leistung führen kann. Die Klägerin habe auch vorsätzlich gegen die Obliegenheit der fristgerechten Anzeige des Schadens verstoßen, so das Gericht.
Wann ist der Verstoß gegen eine Versicherungsobliegenheit vorsätzlich erfolgt?
Vorsatz erfordert das Wollen der Obliegenheitsverletzung im Bewusstsein des Vorhandenseins der entsprechenden Verhaltensnorm. Insoweit genügt bedingter Vorsatz, der nach den allgemeinen Regeln vorliegt, wenn der Versicherungsnehmer die Obliegenheitsverletzung für möglich hält und sie billigend in Kauf nimmt.
Der Geschädigte handelt auch dann vorsätzlich, wenn er die allgemein bekannte Frist zur zeitnahen Schadenmeldung in der Annahme verstreichen lässt, er sei auf den Anspruch gegen den Versicherer nicht angewiesen, weil er sich anderweitig schadlos halten könne (vgl. OLG Hamm, Beschluss v. 21.06.2017, 20 U 42/17).
Kausalitätsgegenbeweis wurde von der Versicherungsnehmerin nicht erbracht
Die Versicherung war auch nicht zur Leistung gem. E.2.7 AKB i.V. m. § 28 Abs. 3 Satz 2 VVG verpflichtet, da die Klägerin nicht nachgewiesen hat, dass die Verletzung der Pflicht weder für den Eintritt oder die Feststellung des Versicherungsfalls noch für die Feststellung oder den Umfang der Leistungspflicht der Versicherung ursächlich ist.
§ 28 Abs. 3 VVG: Abweichend von Absatz 2 ist der Versicherer zur Leistung verpflichtet, soweit die Verletzung der Obliegenheit weder für den Eintritt oder die Feststellung des Versicherungsfalles noch für die Feststellung oder den Umfang der Leistungspflicht des Versicherers ursächlich ist. Satz 1 gilt nicht, wenn der Versicherungsnehmer die Obliegenheit arglistig verletzt hat.
Hintergrund: Der Versicherer bleibt auch bei vorsätzlicher oder grobfahrlässiger Verletzung einer vertraglich vereinbarten Obliegenheit zur Leistung verpflichtet, soweit deren Verletzung weder für den Eintritt oder die Feststellung des Versicherungsfalles noch für die Feststellung oder den Umfang der Leistungspflicht des Versicherers ursächlich ist (§ 19 Abs. 1 Satz 6 AVB; § 28 Abs. 3 Satz 1 VVG). Erforderlich ist eine konkrete Kausalität. Es genügt nicht, dass die Obliegenheitsverletzung bloß generell geeignet war, die Interessen des Versicherers zu gefährden. Der Nachweis der fehlenden Kausalität obliegt dabei dem Versicherungsnehmer.
Die Versicherung hatte diesbezüglich vorgetragen, dass es ihr durch die verspätete Meldung nicht mehr möglich gewesen sei, den von der Klägerin behaupteten Unfallhergang zu überprüfen, die am Unfall beteiligten Fahrzeuge zu besichtigen oder anderweitige Ermittlungen zum Unfallhergang zu tätigen. Die Versicherung hatte konkrete Zweifel am Unfallhergang und dem angeblich auf diesen zurückzuführenden Schaden geäußert.
Die Einholung eines gerichtlichen Sachverständigengutachtens war auch nicht mehr möglich, da die Frau das Unfallfahrzeug kurz nach dem Unfall veräußert hatte.
(OLG Braunschweig, Beschluss v. 16.01.2020, 11 U 131/19).
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Hintergrund: Obliegenheiten im Versicherungsrecht
Es wird zwischen gesetzlichen und vertraglichen Obliegenheiten unterschieden. Die gesetzlichen Obliegenheiten sind im Versicherungsvertragsgesetz (VVG) geregelt. Sie gelten für alle Versicherungssparten.
Gesetzlichen Obliegenheiten:
Die wichtigsten gesetzlichen Obliegenheiten sind die vorvertragliche Anzeigepflicht (§§ 16 bis 22 VVG), Unterlassungs- und Anzeigepflichten im Zusammenhang mit einer Gefahrenerhöhung (§§ 23-30 VVG), die Obliegenheit zur Anzeige eines Versicherungsfalls (§ 33 VVG) und die Auskunfts- und Belegpflicht (§ 34 VVG).
Vertragliche Obliegenheiten:
In den Allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB) werden die vertraglichen Obliegenheiten vereinbart. § 28 Versicherungsvertragsgesetz regelt die Rechtsfolgen, die eintreten können, falls eine vertragliche Obliegenheit verletzt wird. Obliegenheiten müssen transparent formuliert sein (§ 307 Abs. 1 Satz 2 BGB). Das bedeutet, dass der Versicherungsnehmer deutlich erkennen kann, was von ihm verlangt wird und unter welchen Umständen er seinen Versicherungsschutz verlieren kann. Zudem dürfen Obliegenheiten den Versicherungsnehmer nicht unangemessen benachteiligen (§ 307 Abs. 2 BGB).
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