BVerwG sieht nach Cannabisfahrt keinen zwingenden Führerscheinentzug
In insgesamt sechs beim BVerwG anhängigen Verfahren hatten die höchsten deutschen Verwaltungsrichter über Fälle zu entscheiden, bei denen Gelegenheitskonsumenten von Cannabis gegen das sogenannte Trennungsgebot verstoßen hatten, indem sie
- trotz vorausgehenden Konsums von Cannabis
- ein Kraftfahrzeug im öffentlichen Straßenverkehrs geführt hatten.
Fahrerlaubnis nach Cannabisfahrt entzogen
In allen Fällen hatten die Straßenverkehrsbehörden nach durchgeführten Verkehrskontrollen eine Konzentration des psychoaktiven Cannabiswirkstoffes Tetrahydrocannabinol (THC) im Blutserum von 1 ng/ml oder mehr festgestellt. Entsprechend der bisherigen Verwaltungspraxis zogen die Fahrerlaubnisbehörden daraus den Schluss einer Beeinträchtigung der Fahrsicherheit der Betroffenen und entzogen diesen ohne weitere Prüfung die Fahrerlaubnis.
Unterschiedliche Entscheidungen in Bayern und NRW
Die Betroffenen setzen sich hiergegen zur Wehr und klagten. In den fünf in Bayern angestrengten Verfahren, hatte der Bayerische VGH in der Berufung bereits insoweit zu Gunsten der Betroffenen entschieden, als nach Auffassung des VGH nach einer erstmaligen, als Ordnungswidrigkeit geahndeten Fahrt unter dem Einfluss von Cannabis die Behörde nicht automatisch auf eine mangelnde Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen schließen dürfe, sondern möglichen Zweifeln an der Fahrtüchtigkeit durch eine Anordnung zur Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens nachzugehen hätten.
Demgegenüber hatte das nordrhein-westfälische OVG Münster die sofortige Entziehung der Fahrerlaubnis als rechtmäßig gewertet.
BVerwG bestätigte bisher die gängige Verwaltungspraxis
Die Entscheidungen der Führerscheinbehörden gehen zurück auf ein Urteil des BVerwG aus dem Jahr 2014. Dort hatten die Verwaltungsrichter entschieden, dass ein Gelegenheitskonsument von Cannabis, der den Rauschgiftkonsum und das Führen eines Kraftfahrzeugs nicht klar trennt, mit diesem Verhalten berechtigte Zweifel der Behörde an seiner Eignung zum Führen eines Kraftfahrzeugs auslöst, die eine sofortige Entziehung der Fahrerlaubnis rechtfertigen (BVerwG, Urteil v. 23.10.2014, 3 C 3.13).
An der Beurteilung des Trennungsgebots ändert sich nichts
In seiner neuen Entscheidung weicht das BVerwG von dieser bisherigen Rechtsprechung ab. Die Verwaltungsrichter bestätigten in ihrer Entscheidung allerdings zunächst ausdrücklich die bisherige Rechtsprechung insoweit,
- als ein gelegentlicher Konsument von Cannabis,
- der erstmalig bei einer Fahrt unter dem Einfluss des Cannabiswirkstoffes entdeckt wird,
- gegen das unbedingte Trennungsverbot von Konsum und Fahren verstößt.
BVerwG fordert nun Ermessensausübung der Behörde
Gemäß § 45 FeV in Verbindung mit § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG ist in diesen Fällen die Fahrerlaubnis dann zu entziehen, wenn berechtigte Bedenken der Behörde an der Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen bestehen. Nach der neuen Auffassung der Richter beinhaltet dies aber keinen Automatismus, der zur Entziehung der Fahrerlaubnis führt, sondern die Behörde hat diese Entscheidung im Rahmen pflichtgemäßen Ermessens zu treffen.
Zweifel an der Fahreignung müssen näher aufgeklärt werden
Nach Auffassung der Verwaltungsrichter hat die Behörde gemäß § 14 FeV gegebenenfalls geeignete Maßnahmen zur Klärung von bestehenden Eignungszweifeln einzuleiten.
- Hierzu gehöre gemäß § 14 Abs. 1 Satz 3 FeV im Fall der gelegentlichen Einnahme von Cannabis ausdrücklich die Anordnung der Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens.
- Gemäß § 11 Abs. 7 FeV habe die Anordnung zur Beibringung eines Gutachtens nur dann zu unterbleiben, wenn die fehlende Eignung des Betroffenen zur Überzeugung der Fahrerlaubnisbehörde bereits feststeht.
- Letzteres sei beispielsweise dann der Fall, wenn der Betroffene zusätzlich Alkohol oder andere psychoaktiv wirkende Stoffe zu sich genommen habe und ein erkennbarer Kontrollverlust festgestellt wurde.
Sofortige Entziehung war rechtswidrig
Vor diesem Hintergrund kamen die Verwaltungsrichter zu dem Ergebnis, dass eine Behörde im Falle eines einmaligen Verstoßes gegen das Trennungsgebot zwar zunächst berechtigte Bedenken an der Fahreignung des Betroffenen habe, diese Zweifel aber vor einer sofortigen Entziehung der Fahrerlaubnis näher aufklären müsse.
- Die Behörde habe eine Prognose darüber anzustellen, ob der Betroffene auch zukünftig gegen das Trennungsgebot verstoßen wird.
- Hierzu benötige die Behörde eine gesicherte Beurteilungsgrundlage,
- die in der Regel durch die Einholung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens geschaffen werden könne.
Über die Anordnung der Beibringung eines solchen Gutachtens habe die Fahrerlaubnisbehörde daher eine pflichtgemäße Ermessensentscheidung zu treffen und den Betroffenen im Rahmen dieses pflichtgemäßen Ermessens auch eine von diesem einzuhaltende angemessene Frist zu setzen.
Da die Behörde diese Anforderungen in den entschiedenen Fällen nicht erfüllt hatte, war die sofortige Entziehung der Fahrerlaubnis ohne Ausübung des behördlichen Ermessens nach dem Diktum der Bundesrichter rechtsfehlerhaft.
(BVerwG, Urteile v. 11.4.2019, 3 C 13.17, 3 C 14/17, 3 C 7.18, 3 C 2.18, 3 C 8.18, und 3 C 9.18)
Hintergrund:
Wann droht eine MBO?
Werden der Fahrerlaubnisbehörde Tatsachen bekannt, die Bedenken begründen, dass der Inhaber einer Fahrerlaubnis zum Führen eines Kraftfahrzeugs ungeeignet ist, kann die Fahrerlaubnisbehörde die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens verlangen. Rechtsgundlage sind § 46 Abs. 3 FeV in entsprechender Anwendung der §§ 11 bis 14 FeV.
Kann man ein medizinisch-psychologisches Gutachten verweigern?
Weigert sich der Betroffene, sich untersuchen zu lassen, oder bringt er der Fahrerlaubnisbehörde das von ihr geforderte Gutachten nicht fristgerecht bei, darf sie hieraus bei ihrer Entscheidung auf die Nichteignung des Betroffenen schließen, § 11 Abs. 8 Fahrerlaubnisverordnung (FeV). Die Schlussfolgerung darf aber nur dann gezogen werden, wenn die Beibringung eines Gutachtens zu Recht angeordnet wurde (VGH Baden-Württemberg, Urteil v. 14.09.2004, 10 S 1283/04).
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