Als "Verdienstausfall" bezeichnete Versicherungsleistung
Hintergrund: Versicherungsleistung für schwere Unfallfolgen
A erlitt in 2003 im Alter von 12 Jahren einen schweren Autounfall in der Schweiz. Sie leidet seitdem unter irreversiblen körperlichen und geistigen Folgeschäden. Sie ist zeitlebens nicht in der Lage, eine Ausbildung zu beginnen oder Arbeitseinkommen zu erzielen. Nach langjährigen juristischen Auseinandersetzungen leistete die Versicherung des Schädigers (neben Leistungen zur Abgeltung des Haushalts-, Betreuungs- und Rentenminderungsschadens) in 2015 eine als "Verdienstausfall" bezeichnete Zahlung von 695.000 EUR.
Das FA unterwarf diese als steuerpflichtige Entschädigung i.S.v. § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG der ermäßigten Besteuerung nach § 34 Abs. 1 EStG (sog. Fünftel-Regelung) und berücksichtigte Rechtsanwaltskosten von 57.000 EUR als Werbungskosten.
Dem folgte das FG und wies die Klage mit der Begründung ab, die Versicherungsleistung sei von den Beteiligten des zivilrechtlichen Rechtsstreits ausdrücklich als "Verdienstausfall" und damit als Ersatz für entgehende Einnahmen bezeichnet worden.
Entscheidung: Die Versicherungsleistung ist kein Ersatz für steuerbare Einnahmen aus einer konkreten Einkunftsquelle
Der BFH widerspricht dem FG. Die streitige Versicherungsleistung ist nicht steuerbar. Dementsprechend sind die Rechtsanwaltskosten nicht als Werbungskosten, sondern als außergewöhnliche Belastung zu berücksichtigen.
Kausale Verknüpfung zwischen Entschädigung und entgangenen Einnahmen
Bei einer Zahlung zum Ausgleich des Erwerbs- oder Fortkommensschadens nach § 842 BGB kommt grundsätzlich eine Entschädigung i.S.v. § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG in Betracht. Dabei ist jedoch stets zusätzlich zu prüfen, ob die Zahlung unmittelbar dazu dient, diesen Schaden durch den Ersatz steuerbarer und steuerpflichtiger Einnahmen zu ersetzen. Das bedeutet, dass zwischen Entschädigung und entgangenen Einnahmen eine kausale Verknüpfung bestehen muss (BFH v. 21.8.1990, VIII R 17/86, BStBl II 1991, 76). Andernfalls ist der Ersatz des Erwerbs- und Fortkommensschadens ebenso steuerfrei wie die durch ihn ersetzten Leistungen. Bei der Entscheidung sind die Vereinbarungen der Beteiligten und insgesamt die Einzelfallumstände zu würdigen (BFH v. 20.7.2018, IX R 25/17, BStBl II 2020, 186).
Die kausale Verknüpfung fehlt beim Ersatz eines abstrakten Erwerbs- und Fortkommensschadens
Wird einem im Kindesalter Geschädigten auch ohne konkrete Erwerbsaussichten der Ersatz eines Erwerbs- und Fortkommensschadens unter dem Gesichtspunkt zugestanden, dass ein junger Mensch auf Dauer nicht ohne Erwerbseinkünfte sein wird, bedeutet dies nicht den Ersatz bestimmbarer Einnahmen, sondern den Ausgleich für den Verlust der abstrakten Chance, sich ein Erwerbsleben aufzubauen. Aus einem in einer solchen Schadensregulierung prognostizierten rein hypothetischen Erwerbsleben kann jedoch weder auf eine bestimmte Einkunftsart noch auf die Steuerbarkeit der hierbei lediglich abstrakt unterstellten Einkünfte geschlossen werden. Im Streitfall fehlt es schon an einer bestimmbaren Einkunfts- bzw. Erwerbsquelle der A und somit auch an der erforderlichen kausalen Verknüpfung zwischen Entschädigung und entgangenen steuerbaren Einnahmen. Diese Grundsätze sind auf die im Streitfall nach ausländischem Recht gewährte Entschädigung entsprechend anzuwenden.
Prozesskosten als außergewöhnliche Belastung
Die Kosten eines Prozesses sind zwangsläufig, wenn er existenziell wichtige, lebensnotwendige Bereiche berührt (§ 33 Abs. 2 Satz 4 EStG). Dementsprechend sind die Kosten der A für die zivilprozessuale Auseinandersetzung mit der Versicherung des Schädigers als außergewöhnliche Belastungen zu berücksichtigen. Denn die unter irreversiblen Folgeschäden leidende A ist zeitlebens auf fremde Hilfe angewiesen. Der mit der Versicherung ausgehandelte Vergleich diente dazu, die Kosten dieser notwendigen Hilfe und damit die weitere Existenz der A wirtschaftlich abzusichern.
Hinweis: Eingrenzung des zivilrechtlichen Schadensersatzbegriffs
Im Rahmen des § 842 BGB ist jeder Einsatz der Arbeitskraft, mit der eine sonst am Markt nur gegen Entgelt erhältliche Dienstleistung erbracht wird, als Vermögensschaden zu werten. Zivilrechtlich entsteht demnach ein (abstrakter) Erwerbs- und Fortkommensschaden auch dann, wenn der Geschädigte etwa überhaupt nicht beabsichtigt, einen Beruf zu ergreifen oder gegen Entgelt tätig zu sein. Abweichend hiervon entsteht eine steuerbare Ersatzleistung in diesen Fällen aber nur dann, wenn Ersatz für steuerbare Einnahmen aus einer konkreten, d.h. bestimmten oder hinreichend bestimmbaren Einkunftsquelle gezahlt wird. Bei Verletzungen im Kindesalter sind etwaige Prognosen, ob und gegebenenfalls welche Erwerbstätigkeit der Geschädigte aufgenommen hätte, allerdings mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden und daher - so auch im Streitfall - rein spekulativ. Anders läge der Fall bei Zahlungen an ein bereits im Berufsleben stehendes Unfallopfer.
Keine Bruttoabfindungsvereinbarung
Der BFH ergänzt, dass eine auf Ersatzansprüche entfallende steuerliche Belastung ihrerseits einen Schaden darstellen kann, den der Geschädigte gegen den Schädiger geltend machen kann (Bundesgerichtshof – BGH – v. 10.4.1979, VI ZR 151/75, NJW 1979, 1501). Ein Geschädigter wird daher eine Leistung nur dann als "Ersatz für entgehende Einnahmen" i.S.v. § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG akzeptieren, wenn über den Ersatz des "Steuerschadens" eine Vereinbarung mit dem Schädiger getroffen wurde ("Bruttoabfindungsvereinbarung"). An einer solchen Einigung, die auf den Ersatz steuerpflichtiger Einnahmen hindeuten könnte, fehlt es aber im Streitfall.
BFH Urteil vom 26.05.2020 - IX R 15/19 (veröffentlicht am 15.10.2020)
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