BFH Kommentierung: Formalisierter Nachweis von bestimmten Krankhe

Der (rückwirkend) eingeführte formalisierte Nachweis für bestimmte Krankheitskosten (z.B. für Kuren durch ein amtsärztliches Attest) ist verfassungsgemäß. Es handelt sich um eine zulässige Korrektur der Rechtsprechungsänderung durch den Gesetzgeber.  

Hintergrund

Mit Urteilen vom 11.11.2010 (VI R 16/09, BStBl II 2011, 966; VI R 17/09, BStBl II 2011, 969) hatte der BFH entschieden, dass zur Geltendmachung bestimmter Krankheitskosten, deren Notwendigkeit nicht offensichtlich ist (z.B. Legastheniebehandlungen, Kuren), der Nachweis - entgegen der bisherigen Rechtsprechung - nicht mehr durch ein vor der Behandlung eingeholtes (amtsärztliches) Attest erbracht werden muss, sondern auch nachträglich durch jedes geeignete Beweismittel geführt werden kann. Wie erwartet, hat der Gesetzgeber diese Rechtsprechungsänderung sofort korrigiert und durch das Steuervereinfachungsgesetz (StVereinfG) 2011 das formalisierte Nachweiserfordernis im Sinne der bisherigen Rechtsprechung - rückwirkend - wieder eingeführt (§ 33 Abs. 4 EStG i.V.m. § 64 EStDV).

Im Streitfall war zu entscheiden, ob die strenge Formalisierung des Nachweises und deren rückwirkende Anwendung verfassungsgemäß sind.    

Die Eheleute machten für 2006 Aufwendungen für Kuren (ohne Vorlage eines vor Kurbeginn ausgestellten amtsärztlichen Attests) sowie für Wassergymnastik, Stärkungsmittel usw. (ohne ärztliche Verordnung) geltend. Das FA und das FG verweigerten den Abzug unter Hinweis auf die frühere strenge Rechtsprechung zum formalisierten Nachweiserfordernis.

Entscheidung

Auch der BFH entschied ablehnend und begründet dies mit den durch das StVereinfG 2011 rückwirkend eingeführten formalen Erfordernissen.

 Danach ist für Arznei-, Heil- und Hilfsmittel der Nachweis durch die Verordnung eines Arztes/Heilpraktikers zu führen. Für Kuren, Psychotherapie, Legastheniebehandlungen, wissenschaftlich nicht anerkannte Methoden, allgemeine Gebrauchsgegenstände als Hilfsmittel usw. ist ein vorher ausgestelltes amtsärztliche Gutachten oder ein Attest des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung vorzulegen. Diese strenge Formalisierung ist nicht unverhältnismäßig.

Der BFH beanstandet auch nicht die rückwirkende Geltung für die noch offenen Fälle. Denn der Gesetzgeber hat damit lediglich die Rechtslage (wieder) so geregelt, wie sie bis zu den Urteilen vom 11.11.2010 der gefestigten Rechtsprechung und der allgemeinen Verwaltungspraxis (R 33.4 Abs. 1 EStR) entsprach. Die Betroffenen können sich daher nicht auf Vertrauensschutz berufen. Es widerspricht nicht den Grundsätzen des Rechtsstaatsprinzips und der Gewaltenteilung, wenn der Gesetzgeber eine Rechtsprechungsänderung im Sinne der bisherigen für sachgerecht empfundenen Rechtsprechung und Verwaltungspraxis korrigiert.

Hinweis

Für Maßnahmen, deren medizinische Indikation nur schwer zu beurteilen ist - z.B. Badekuren - ist sonach eine vorherige amtsärztliche Begutachtung unerlässlich. Denn bei Privatgutachten oder nachträglichen Attesten bestehen hier grundsätzlich Bedenken gegen die Neutralität desjenigen, der die Notwendigkeit befürwortet. Anders sieht es der Gesetzgeber nur bei Arznei-, Heil- und Hilfsmitteln (im engeren Sinn). Hier genügt die (auch nachträgliche) Verordnung des Arztes/Heilpraktikers. Anzumerken ist allerdings, dass es sich im Krankheitsfall um eine Notsituation handeln kann. Ausnahmsweise kann daher der formalisierte Nachweis unzumutbar sein.

Wichtig ist, dass sich die strengen Nachweiserfordernisse auf die ausdrücklich gesetzlich geregelten Krankheitsfälle (§ 33 Abs. 4 i.V.m. § 64 EStDV) beschränken. Die Notwendigkeit der vorherigen Begutachtung gilt daher z.B. nicht für die Beseitigung eines gesundheitsgefährdenden Gegenstands (Formaldehyd- oder Asbestsanierung usw.). Zur Vermeidung von Beweisschwierigkeiten empfiehlt sich in der Praxis gleichwohl auch hier eine rechtzeitige Beweisvorsorge.

BFH Urteil vom 19.04.2012 - VI R 74/10 (veröffentlicht am 27.6.2012).

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