Haftung für schuldhaft nicht abgeführte USt
Hintergrund: Ermittlungen gegen den Lieferanten
A betreibt einen Fahrzeughandel. Sie bezog von der X-GmbH Fahrzeuge und Container, über deren Lieferung die X-GmbH mit Rechnungen vom 3. und 5.1.2012 mit USt-Ausweis abrechnete. Die USt wurde jedoch von der X-GmbH nicht entrichtet. Geschäftsführer der X-GmbH war Y. Gegen ihn wurde seit 2008 durch die Steuerfahndung wegen einer Vielzahl von Fällen der USt-Hinterziehung ermittelt. In 2014 wurde er wegen Hinterziehung der USt aus den Lieferungen an A vom Januar 2012 verurteilt. Die Steuerfahndung hatte A spätestens am 11.1.2012 über die Ermittlungsverfahren unterrichtet. Ob A bereits zuvor von den Ermittlungsverfahren Kenntnis hatte, war streitig.
Das FA nahm A mit Haftungsbescheid nach § 25d UStG für die von der X-GmbH nicht abgeführte USt in Haftung. Das FG gab der dagegen gerichteten Klage mit der Begründung statt, das FA habe die Haftungsvoraussetzungen nicht nachgewiesen.
Entscheidung: Kein Schluss aus vergangen Hinterziehungen auf künftige Geschäftsvorfälle
Der BFH bestätigte das FG-Urteil und wies die Revision des FA zurück. § 25d Abs. 1 UStG führt zur Haftung des Unternehmers aus einem vorangegangenen Umsatz, soweit der Aussteller der Rechnung entsprechend seiner vorgefassten Absicht die ausgewiesene Steuer nicht entrichtet hat und der Unternehmer bei Abschluss des Vertrags über seinen Eingangsumsatz davon Kenntnis hatte oder nach der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns hätte haben müssen.
Der BFH stellt zunächst klar, dass selbst bei angenommener Kenntnis der A von den Ermittlungen gegen Y daraus nicht folgt, dass sie auch von dessen Absicht wusste, die USt aus dem konkreten Liefergeschäft mit ihr vom Januar 2012 nicht abzuführen. Denn zum einen gilt bis zur Verurteilung des Y in 2014 die Unschuldsvermutung. Zum anderen folgt selbst aus einem steuerstrafrechtlich bedeutsamen Verhalten bei anderen Geschäftsvorfällen nicht der sichere Schluss auf die Absicht, auch bei zukünftigen Umsätzen die USt zu hinterziehen.
Strenge Anforderungen an das "Kennenmüssen"
Aus der – unterstellten – Kenntnis der A von den Ermittlungen gegen Y folgten auch keine Sorgfaltspflichten hinsichtlich einer Hinterziehungsabsicht des Y. Denn an das Kennenmüssen i. S. d. § 25d Abs. 1 UStG sind strenge Anforderungen zu stellen. Nach den Grundsätzen der Rechtssicherheit und Verhältnismäßigkeit darf eine Regelung nicht über das hinausgehen, was zum wirksamen Schutz der staatlichen Ansprüche erforderlich ist. Zudem dürfen Wirtschaftsteilnehmer nicht für die von einem anderen Steuerpflichtigen geschuldete Steuer in Anspruch genommen werden, wenn sie alle vernünftigerweise zumutbaren Maßnahmen treffen, um sicherzustellen, dass ihre Umsätze nicht zu einer Lieferkette gehören, die einen mit einem Mehrwertsteuerbetrug behafteten Umsatz einschließt.
Hiervon ausgehend würde es gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verstoßen, einem Steuerpflichtigen bereits bei bloßer Kenntnis von steuerstrafrechtlichen Ermittlungen gegen einen Vertragspartner erhöhte Sorgfaltspflichten aufzuerlegen. Nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist § 25d Abs. 1 UStG vielmehr dahin auszulegen, dass sich das "Kennenmüssen" i. S. d. § 25d Abs. 1 UStG auf Anhaltspunkte bezieht, die für den Unternehmer im Rahmen eines konkreten Leistungsbezugs den Schluss nahelegen, dass der Rechnungsaussteller bereits bei Vertragsschluss die Absicht hatte, die Umsatzsteuer nicht abzuführen.
Für den Streitfall sind derartige Anhaltspunkte hinsichtlich der konkreten Eingangsleistungen, die vom FA als haftungsbegründend herangezogen wurden, weder nach den Feststellungen des FG noch nach Aktenlage oder nach dem Vortrag des FA ersichtlich.
Hinweis: Das "Kennenmüssen" betrifft den konkreten Leistungsbezug
Der BFH betont unter Heranziehung der Rechtsprechung des EuGH den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (EuGH, Urteil v. 11.5.2006, C-384/04 BFH/NV 2006, Beil. S. 312, Rz. 33). Auch wenn der Unternehmer bei der USt als "Steuereinnehmer für Rechnung des Staates" herangehzogen wird, wäre es unverhältnismäßig, ihm bereits bei bloßer Kenntnis von allgemeinen steuerstrafrechtlichen Ermittlungen gegen einen Vertragspartner erhöhte Sorgfaltspflichten aufzuerlegen (EuGH, Urteil v. 26.4.2017, C-564/15, BFH/NV 2017, 1005, Rz. 59 f.). Dem FA obliegt daher der Nachweis des Kennens oder Kennenmüssens der Hinterziehungsabsicht hinsichtlich des konkreten Leistungsbezugs. Die nur pauschale Kenntnis von steuerstrafrechtlich bedenklichem Verhalten genügt nicht.
Da die Haftungsvoraussetzungen des § 25d Abs. 1 UStG nicht vorliegen, konnte der BFH offenlassen, in welchem Verhältnis die Haftung zu einer Versagung des Vorsteuerabzugs steht und ob bzw. in welchen Fällen überhaupt eine Kumulation von Vorsteuerversagung und Haftung in Betracht kommen kann.
BFH, Urteil v. 10.8.2017, V R 2/17, veröffentlicht am 29.11.2017.
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