Das Alterseinkünftegesetz ist verfassungsgemäß
Hintergrund
A und seine 2014 verstorbene Ehefrau (E) wurden im Streitjahr 2009 zusammen zur ESt veranlagt. Beide Eheleute bezogen in 2009 Renteneinkünfte. Das FA besteuerte diese Renten für A mit 50 % und für E mit 54 % nach § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa Sätze 3 ff. EStG. Danach werden Renten, die auf steuerlich entlasteten Beiträge beruhen, nach dem Prinzip der nachgelagerten Besteuerung grundsätzlich in voller Höhe erfasst. Für die Übergangszeit beträgt allerdings bei Rentenbeginn bis 2005 der Besteuerungsanteil 50 % und steigt bis 2020 um 2 % und ab 2020 um 1 %, so dass erst 2040 die volle Besteuerung erreicht wird. Andere Renten werden dagegen weiterhin mit dem Ertragsanteil besteuert (Doppelbuchst. bb).
Die Eheleute machten geltend, ihre Renten seien nach Doppelbuchst. bb lediglich mit dem Ertragsanteil in Höhe von 22 % (A) bzw. 20 % (E) zu erfassen. Die Neuregelung (Doppelbuchst. aa) durch das Alterseinkünftegesetz (AltEinkG v. 5.7.2004 mit Geltung ab 1.1.2005) sei gleichheitswidrig. Der Gesetzgeber habe seinen Gestaltungsspielraum überschritten. Die Renten könnten daher auch weiterhin nur mit dem Ertragsanteil besteuert werden. Die dagegen gerichtete Klage wurde vom FG zurückgewiesen. Die Systemumstellung entspreche den Vorgaben des BVerfG in dem Urteil zur Ungleichbehandlung von Beamtenpensionen und Renten (BVerfG, Urteil v. 6.3.2002, 2 BvL 17/99, BVerfGE 105 S. 73). Die längere Übergangsphase mit fortbestehender Ungleichbehandlung sei unvermeidbar, um zu einer ausgewogenen Regelung zu gelangen.
Entscheidung
Der BFH verweist auf seine Rechtsprechung, mit der er die Verfassungsmäßigkeit der Besteuerung der Renteneinkünfte mit dem Besteuerungsanteil nach Doppelbuchst. aa anerkannt hat (BFH. Urteil v. 26.11.2008, X R 15/07, BStBl 2009 II S. 710, und v. 19.1.2010, X R 53/08, BStBl II 2011, 567). Das BVerfG hat diese Rechtsprechung bestätigt und die dagegen gerichtete Verfassungsbeschwerden nicht zur Entscheidung angenommen (BVerfG, Beschluss v. 29.9.2015, 2 BvR 2683/11, BStBl 2016 II S. 310, v. 30.9.2015, 2 BvR 1066/10, HFR 2016, 72, und 2 BvR 1961/10, HFR 2016 S. 77).
Die von A hiergegen vorgebrachten Argumente weist der BFH zurück:
- Einwendungen gegen das BVerfG-Urteil v. 6.3.2002, 2 BvL 17/99, greifen nicht durch, da die Entscheidungsformel des BVerfG-Urteils Gesetzeskraft hat
- Für die Einbeziehung von Belastungsvergleichen verschiedener Gruppen früherer Zeiträume in die Berechnungen der Sachverständigenkommission bestand kein Anlass.
- Der Gesetzgeber musste bei Schaffung des AltEinkG die Unvereinbarkeitserklärung des BVerfG zugrunde legen.
- Die Sach- und Rechtslage hat sich seit dem Grundsatzurteil des BVerfG v. 6.3.2002, 2 BvL 17/99, nicht geändert.
- Für die Gleichbehandlung der verschiedenen Alterseinkünfte waren unterschiedliche Zwischenschritte erforderlich.
- Eine Ungleichbehandlung zu Lasten der Sozialversicherungsrentner liegt nicht vor, solange gewährleistet ist, dass Rentenzahlungen, die auf steuermindernden Beiträgen beruhen, nicht erneut der Besteuerung unterworfen werden.
Im Streitfall steht allerdings nicht fest, ob die Besteuerung der Sozialversicherungsrenten der Eheleute mit dem Besteuerungsanteil nach Doppelbuchst. aa gegen das Verbot der Doppelbesteuerung verstößt. Das BVerfG hat bisher den Begriff der doppelten Besteuerung nicht konkretisiert. Den Berechnungen ist jedenfalls das Nominalprinzip zugrunde zu legen. Die zwischenzeitliche Geldentwertung bleibt unberücksichtigt. Nach Auffassung des BFH liegt eine doppelte Besteuerung vor, wenn die steuerliche Belastung der Vorsorgeaufwendungen höher ist als die steuerliche Entlastung der darauf beruhenden Altersrenten. Dabei ist zunächst zu berücksichtigen, dass die Arbeitgeberbeiträge steuerfrei waren. Bei der Berücksichtigung als Sonderausgaben der Arbeitnehmeranteile sind die Höchstbeiträge bis einschließlich 2004 anhand der Beitragssätze der gesetzlichen Sozialversicherung aufzuspalten. Hinsichtlich der von E seit 2005 geleisteten freiwilligen Beiträge sind dagegen die tatsächlich abziehbaren Beiträge zu berücksichtigen. In die Berechnung der steuerlichen Entlastung sind die bisher vereinnahmten sowie die zu erwartenden Leistungen einzubeziehen.
Das gilt auch für die inzwischen verstorbene E. Es stellt eine zulässige Typisierung dar, wenn die Rentenzahlungen mit dem gesetzlich festgelegten Anteil der Besteuerung unterworfen werden, auch wenn der Steuerpflichtige vor Erreichen der statistischen Lebenserwartung verstirbt. Entscheidend sind die zum Beginn des Rentenbezugs der statistischen Wahrscheinlichkeit nach zu erwartenden Leistungen. Bei einem Versterben vor Erreichen der statistischen Lebenserwartung, stellt dies die Verwirklichung des typischen Rentenrisikos dar.
Da Feststellungen des FG zur Höhe der steuerfreien Renteneinnahmen seit Rentenbeginn sowie zur Höhe der Vorsorgeaufwendungen und deren steuerlicher Berücksichtigung in der Beitragsphase fehlen, verwies der BFH die Sache zur Nachholung dieser Feststellungen zurück.
Hinweis
Nahezu zeitgleich mit dem BFH-Urteil (veröffentlicht am 27.7.2016) ist am 20.7.2016 der Beschluss des BVerfG v. 14.6.2016, 2 BvR 323/10, bekannt geworden. Mit diesem Beschluss lehnt das BVerfG die Annahme der Verfassungsbeschwerde gegen das BFH-Urteil v. 9.12.2009, X R 28/07 (BStBl 2010 II S. 348) ab. Das BVerfG bestätigt die Verfassungsmäßigkeit der Übergangsregelung. Die unvollständige Abstimmung des Umfangs der abziehbaren Altersvorsorgeaufwendungen mit dem voraussichtlichen Besteuerungsanteil der künftigen Rentenzuflüsse ist für den Übergangszeitraum durch Typisierungs- und Vereinfachungserfordernisse gerechtfertigt. Die Überprüfung des Verbots der Doppelbesteuerung schon in der Aufbauphase wäre mit nicht akzeptablen erheblichen Unsicherheiten behaftet.
BFH, Urteil v. 6.4.2016, X R 2/15, veröffentlicht am 27.7.2016
Alle am 27.7.2016 veröffentlichten BFH-Entscheidungen
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