Ermäßigter Umsatzsteuersatz bei gemeinnützigen Einrichtungen

Betreibt ein gemeinnütziger Verein neben einer Behindertenwerkstatt ein der Öffentlichkeit zugängliches Bistro, in dem Menschen mit Behinderung arbeiten, unterliegen die Gastronomieumsätze des Bistros nicht dem ermäßigten Umsatzsteuersatz.

Hintergrund: Bistro neben einer Behindertenwerkstatt

Der gemeinnützige Verein zur Förderung des Wohlfahrtwesens verfolgt daneben mildtätige Zwecke i.S. des § 53 AO durch den Betrieb einer anerkannten Werkstatt für behinderte Menschen mit dem Ziel, diese Arbeitsplätze außerhalb des allgemeinen Arbeitsmarkts zu bieten. Außerdem betreibt der Verein ein Bistro, das nicht Betriebsteil der Behindertenwerkstatt ist.

Der Verein unterwarf die Umsätze aus dem Bistrobetrieb dem ermäßigten Steuersatz nach § 12 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a UStG (gemeinnützige Zwecke), da es sich um einen begünstigten Zweckbetrieb handele. Das FA wandte dagegen den Regelsteuersatz an. Es liege ein wirtschaftlicher Geschäftsbetrieb vor. Dem folgte das FG und wies die Klage ab.

Entscheidung: Keine Anwendung des ermäßigten Steuersatzes

Nach § 12 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a Satz 1 UStG sind Leistungen der Körperschaften, die gemeinnützige, mildtätige oder kirchliche Zwecke verfolgen (§§ 51 – 68 AO) ermäßigt zu besteuern. Das gilt nicht für Leistungen eines wirtschaftlichen Geschäftsbetriebs (Satz 2). Davon gilt nach Satz 3 eine Rückausnahme (also Anwendung des ermäßigten Steuersatzes), wenn es sich um einen Zweckbetrieb (§§ 65 – 68 AO) handelt und

  • wenn der Zweckbetrieb nicht in erster Linie der Erzielung zusätzlicher Einnahmen durch die Ausführung von Umsätzen dient, die in unmittelbarem Wettbewerb mit dem allgemeinen Steuersatz unterliegenden Leistungen anderer Unternehmer ausgeführt werden (1. Alternative), oder
  • wenn die Körperschaft mit diesen Leistungen ihrer (in §§ 66 - 68 AO bezeichneten) Zweckbetriebe die steuerbegünstigten satzungsmäßigen Zwecke selbst verwirklicht (2. Alternative).

Auslegung nach Unionsrecht

Nach Art. 98 MwStSystRL (bzw. den Vorgängerregelungen) sind die ermäßigten Steuersätze nur auf Lieferungen und Dienstleistungen der in Anhang III MwStSystRL genannten Kategorien anwendbar. Nach Anhang III Nr. 15 MwStSystRL besteht für die Mitgliedstaaten die Befugnis, für die Leistungen der mitgliedstaatlich anerkannten gemeinnützigen Einrichtungen für wohltätige Zwecke und im Bereich der sozialen Sicherheit einen ermäßigten Steuersatz anzuwenden. Auf dieser Grundlage dürfen die Mitgliedstaaten daher nicht auf alle gemeinnützigen Leistungen einen ermäßigten Mehrwertsteuersatz anwenden, sondern nur auf diejenigen, die von Einrichtungen erbracht werden, die sowohl gemeinnützig als auch für wohltätige Zwecke und im Bereich der sozialen Sicherheit tätig sind (BFH v. 10.08.2016, V R 11/15, BStBl II 2018, 113, Rz 22). Das führt dazu,

  • dass § 12 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a Satz 1 UStG (mangels Einschränkung des ermäßigten Steuersatzes auf die Leistungen der anerkannten Einrichtungen, die "für wohltätige Zwecke und im Bereich der sozialen Sicherheit" tätig sind) unvereinbar mit dem Unionsrecht ist (BFH v. 24.09.2014, V R 11/14, BFH/NV 2015, 528, Rz 46), und
  • dass § 12 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a Sätze 2 und 3 UStG, soweit sie (im Rahmen der Rückausnahme) wieder zur Anwendung des Regelsteuersatzes führen, weit auszulegen sind (BFH v. 20.03.2014, V R 4/13, BFH/NV 2014, 1470, Rz 25). 

Die Voraussetzungen der Rückausnahme sind nicht erfüllt

Hiervon ausgehend unterliegen die Leistungen des Bistros nicht dem ermäßigten Steuersatz nach § 12 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a UStG. Es liegt zwar ein Zweckbetrieb (i.S. des § 68 Nr. 3 Buchst. c AO; Inklusionsbetrieb) vor. Die Voraussetzungen der Rückausnahme des § 12 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a Satz 3 sind jedoch nicht erfüllt:

  • Der Tatbestand der 1. Alternative liegt – bei der gebotenen weiten Auslegung – nicht vor. Denn der Verein erzielte in erster Linie zusätzliche Einnahmen durch die Ausführung von Umsätzen, die in unmittelbarem Wettbewerb mit dem allgemeinen Steuersatz unterliegenden Leistungen anderer Unternehmer ausgeführt werden. Diese Einnahmen waren für den Satzungszweck nicht unerlässlich. Unerheblich ist, ob geringe oder keine Gewinne erzielt wurden oder ob die Einnahmen dem Verein verblieben sind (BFH v. 8.3.2012, V R 14/11, BStBl II 2012, 630, Rz 28).
  • Auch die 2. Alternative ist nicht erfüllt. Der Verkauf von Gastronomieleistungen diente zwar der Verwirklichung der satzungsmäßigen Zwecke des Vereins. Diese Zwecke wurden jedoch nicht "mit diesen Leistungen" ... "selbst verwirklicht". Denn die Leistungen dienen in erster Linie den Zwecken der Besucher (Verbraucher). Es handelt sich nicht um originär gemeinnützige Leistungen i.S. von Art. 98 Abs. 2 und 3 i.V.m. Anhang III Nr. 15 MwStSystRL.

Möglicherweise begünstigte Lebensmittellieferungen

Der BFH lehnte damit im Streitpunkt die Auffassung des Vereins ab. Gleichwohl wurde die Sache zur weiteren Entscheidung an das FG zurückverwiesen. Dieses hat Feststellungen dazu nachzuholen, ob bzw. in welchem Umfang ermäßigt zu besteuernde Lebensmittellieferungen (Speisen zur Mitnahme) vorlagen (§ 12 Abs. 2 Nr. 1  UStG i.V.m. Anlage 2 Nr. 28, 31, 32, 33).

Hinweis: Der Schutz des Wettbewerbs geht dem Lenkungszweck vor

Der BFH stellt klar, dass nur Leistungen gegenüber den behinderten Personen begünstigt sind, nicht auch Leistungen, an deren Erbringung behinderte Arbeitnehmer des Integrationsunternehmens teilhaben (BFH v. 24.9.2014, V R 11/14, BFH/NV 2015, 528, Rz 48). Er weist die im Schrifttum vertretene Ansicht zurück, der Lenkungszweck des Art. 98 MwStSystRL erfordere eine Berücksichtigung des sozialen Kontextes der Leistungserbringung. Der BFH geht vielmehr davon aus, die Wettbewerbsneutralität gehe einem eventuell entgegenstehenden Lenkungszweck vor.

Aufgrund dieser Entscheidung werden gemeinnützige Einrichtungen prüfen müssen, ob sie – entgegen einer offenbar allgemein geübten Praxis – weiterhin den ermäßigten Steuersatz anwenden können.

BFH Urteil vom 23.07.2019 - XI R 2/17 (veröffentlicht am 21.11.2019)

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