EuGH: Auslegung des steuerbefreiten Schulunterrichts

Der EuGH hat zum Begriff "Schul- und Hochschulunterricht" in Art. 132 Abs. 1 Buchst. i und j MwStSystRL entschieden, dass dieser nicht den von einer Schwimmschule erteilten Schwimmunterricht umfasst.

Bei dem Vorabentscheidungsersuchen des BFH (Beschluss vom 27.03.2019 - V R 32/18) ging es die Steuerbefreiung für Bildungsleistungen gem. Art. 132 Abs. 1 Buchst. i und j MwStSystRL.

Vorabentscheidungsersuchen des BFH

Der BFH wollte wissen, ob der Begriff des Schul- und Hochschulunterrichts i. S. d. Art. 132 Abs. 1 Buchst. i und j MwStSystRL auch die Erteilung von Schwimmunterricht erfasst. Weiter fragte der BFH, ob sich die Anerkennung einer Einrichtung i. S. v. Art. 132 Abs. 1 Buchst. i MwStSystRL als Einrichtung mit vergleichbarer Zielsetzung wie bei Einrichtungen des öffentlichen Rechts, die mit den Aufgaben der Erziehung von Kindern und Jugendlichen, des Schul- und Hochschulunterrichts, der Aus- und Fortbildung sowie der beruflichen Umschulung betraut sind, daraus ergeben kann, dass es sich bei dem von dieser Einrichtung erteilten Unterricht um die Erlernung einer elementaren Grundfähigkeit (hier: Schwimmen) handelt. Bei Verneinung dieser Frage wollte der BFH noch wissen, ob die Steuerfreiheit nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. j MwStSystRL voraussetzt, dass der Steuerpflichtige Einzelunternehmer ist.

Sachverhalt: Verschiedene Schwimmkurse für Kinder

Die Klägerin, eine GbR, betreibt eine Schwimmschule. Sie führte im Wesentlichen Kurse für Kinder ("Goldfisch", "Seepferdchen" und "Kaulquappe") durch, die von den Kursteilnehmern oder ihren Eltern vergütet wurden. Beim Schwimmkurs "Kaulquappe" wurden Kindern ab 4 Jahren die Grundlagen der Brust- und Rückenschwimmlage vermittelt. Bei den beiden weiterführenden Kursen "Seepferdchen" und "Goldfisch" wurden die erlernten Grundlagen und Techniken des Schwimmens vertieft. Die Klägerin sah ihre Leistungen als umsatzsteuerfrei an. Das Finanzamt ging davon aus, dass die Leistungen der Klägerin nach nationalem Recht weder nach § 4 Nr. 21 noch nach § 4 Nr. 22 UStG steuerfrei seien.

Das FG gab der Klage statt

Nach diesem Urteil des FG München vom 13.09.2018 (3 K 1868/17) sind die Leistungen der Klägerin zwar nicht nach nationalem Recht, aber nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. j MwStSystRL in der Auslegung durch den EuGH und des BFH steuerfrei. Bei der Vermittlung grundlegender Schwimmtechniken habe es sich um Schulunterricht gehandelt. Art. 132 Abs. 1 Buchst. j MwStSystRL sei zudem nicht nur auf Einzelunternehmer, sondern auch für eine GbR anwendbar.

BFH zu Schwimmunterricht von Einzelunternehmern

Der BFH war der Auffassung, bei einem Unterricht, mit dem die Fähigkeit des Schwimmens erlernt werden soll, handele es sich um Unterricht i. S. v. Art. 132 Abs. 1 Buchst. i und j MwStSystRL. Der von der Klägerin erteilte Unterricht diene der Erlernung einer elementaren Grundfähigkeit, über die jeder Mensch - insbesondere zur Bewältigung von Notsituationen beim Kontakt mit Gewässern - verfügen sollte. Es handele sich nicht um eine Bildungsmaßnahme mit Freizeitcharakter. Dementsprechend hatte der BFH die Steuerfreiheit des Schwimmunterrichts, der von Einzelunternehmern erteilt wird, auf der Grundlage von Art. 132 Abs. 1 Buchst. j MwStSystRL bereits bejaht (BFH Urteil vom 05.06.2014 - V R 19/13).

BFH: Einrichtung mit vergleichbarer Zielsetzung wie eine öffentliche Einrichtung?

Zur Frage der für die Anerkennung nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. i MwStSystRL maßgeblichen Kriterien hatte sich der EuGH in seiner bisherigen Rechtsprechung nicht geäußert. Damit stellte sich für den BFH die Frage, ob es hier entsprechend dem EuGH-Urteil "Zimmermann" (EuGH Urteil vom 15.11.2012 - C-174/11) auf die gleichen oder vergleichbare Kriterien wie bei Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL ankommt. Der BFH neigte dazu, die Rechtsprechung zur unternehmerbezogenen Anerkennung im Sozialbereich grundsätzlich auf die Anerkennung im Unterrichtsbereich zu übertragen (vgl. BFH Urteil vom 10.08.2016 - V R 38/15).

Selbst wenn die Anerkennung der Klägerin nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. i MwStSystRL als eine Einrichtung mit vergleichbarer Zielsetzung wie eine öffentliche Einrichtung verneint würde, stellte sich für den BFH die Frage, ob die Klägerin - obwohl keine natürliche Person - Privatlehrer (Art. 132 Abs. 1 Buchst. j MwStSystRL) ist. Für den BFH war sachlich nicht zu rechtfertigen, weshalb die GbR-Gesellschafter X und Y, falls sie selbst als Einzelunternehmer Schwimmunterricht erteilen, steuerfreie Leistungen erbringen, während die gleichen Leistungen bei einer gemeinsamen Unterrichtstätigkeit in der Rechtsform einer Personengesellschaft (hier: GbR) steuerpflichtig sein sollten.

Entscheidung des EuGH

Der EuGH hat (mit knappen Entscheidungsgründen) entschieden, dass der Begriff "Schul- und Hochschulunterricht" i. S. v. Art. 132 Abs. 1 Buchst. i und j MwStSystRL dahin auszulegen ist, dass er nicht den von einer Schwimmschule erteilten Schwimmunterricht umfasst. Damit musste er die weiteren Fragen des BFH nicht mehr beantworten.

Mit Bezug auf seine frühere Rechtsprechung zur Steuerfreiheit von Bildungsleistungen (insbesondere EuGH Urteil vom 14.03.2019 - C-449/17, A & G Fahrschul-Akademie und Beschluss vom 07.10.2019 - C-47/19, Finanzamt Hamburg-Barmbek-Uhlenhorst) kommt der EuGH zu dem Ergebnis, dass der Schwimmunterricht in einer Schwimmschule wie im Ausgangsfall zwar unzweifelhaft von Wichtigkeit ist und ein im Allgemeininteresse liegendes Ziel verfolgt, jedoch gleichwohl ein spezialisierter, punktuell erteilter Unterricht bleibt, der für sich allein nicht der für den Schul- und Hochschulunterricht kennzeichnenden Vermittlung, Vertiefung und Entwicklung von Kenntnissen und Fähigkeiten in Bezug auf ein breites und vielfältiges Spektrum von Stoffen gleichkommt.

Damit kommt der EuGH zum gleichen Ergebnis wie bei Leistungen des Fahrschulunterrichts und des Surf- und Segelunterrichts. Auch wenn sich die Bedeutung der im Rahmen von Fahrunterricht und Segelunterricht vermittelten Kenntnisse nicht leugnen lässt, insbesondere für die Bewältigung von Notsituationen und ganz allgemein für die Gewährleistung der Sicherheit und körperlichen Unversehrtheit von Personen, sind diese Leistungen dennoch nicht als Bildungsleistungen steuerfrei.

Mögliche Auswirkungen des Urteils

Das Urteil bestätigt die bisherige Verwaltungsauffassung, soweit sie streng ist. Nach dem Urteil könnte aber auch die von der Verwaltung bislang unter bestimmten Umständen bejahte Steuerbefreiung von Ballett- und Tanzschulen (vgl. Abschn. 4.21.2 Abs. 8 UStAE) in Frage stehen. Gleiches könnte, mit Blick auf § 4 Nr. 22 UStG, für die Erteilung von Schwimm-, Tennis-, Reit-, Segel- und Skiunterricht gelten, für die die Verwaltung die Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 22 Buchst. a UStG bejaht (vgl. Abschn. 4.22.1 Abs. 4 UStAE).

Auch wird der BFH seine Rechtsprechung anpassen müssen. Insbesondere seine Bejahung der Steuerfreiheit des Schwimmunterrichts, der von Einzelunternehmern erteilt wird, auf der Grundlage von Art. 132 Abs. 1 Buchst. j MwStSystRL  ist nach dem vorliegenden Urteil nicht mehr haltbar.

Eine Reform der Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 21 UStG steht nach wie vor aus. Mit dem Entwurf eines Gesetzes zur weiteren steuerlichen Förderung der Elektromobilität und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften war ein zweiter (und im weiteren Gesetzgebungsverfahren gestoppter) Anlauf unternommen worden, die Umsatzsteuerbefreiung für Bildungsleistungen an die Vorgaben des Unionsrechts und insbesondere an die in den vergangenen Jahren ergangene Rechtsprechung des EuGH anzupassen. Ein erster Versuch einer solchen Reform, die bereits mit dem Regierungsentwurf eines JStG 2013  geplant gewesen war, wurde seinerzeit ebenfalls nicht weiterverfolgt.

Das vorliegende Urteil zeigt, dass bei einem weiteren Versuch, die Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 21 UStG neu zu regeln, sämtliche Bildungsleistungen, die nicht ein integriertes System der Vermittlung von Kenntnissen und Fähigkeiten in Bezug auf ein breites und vielfältiges Spektrum von Stoffen sowie auf die Vertiefung und Entwicklung dieser Kenntnisse und Fähigkeiten durch die Schüler und Studenten je nach ihrem Fortschritt und ihrer Spezialisierung auf den verschiedenen dieses System bildenden Stufen, darstellen, aus der Steuerbefreiung herausfallen müssten. Dies betrifft insbesondere Bildungsleistungen, bei denen die Lernenden zwar spezifische Kurse belegen, die gleichwohl aber auch einem allgemeinen Zweck, wie z. B. der Freizeitgestaltung oder dem Erlernen von allgemeinen Fähigkeiten (wie z.B. Autofahren, Schwimmen, Segeln, Jagen, Tanzen usw.) dienen.

EuGH Urteil vom 21.10.2021 - C-373/19, Dubrovin & Tröger - Aquatics


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