EuGH-Vorlage zur Ausübung des Zuordnungswahlrechts zum Unternehmensvermögen
Außerdem fragt der BFH, ob das Unionsrecht einer nationalen Rechtsprechung entgegensteht, nach der eine Zuordnung zum privaten Bereich vermutet wird, wenn keine Indizien für eine unternehmerische Zuordnung vorliegen.
Hintergrund: Zuordnung eines Arbeitszimmers zum Unternehmen nach Ablauf der Steuererklärungsfrist
X unterhält einen Gerüstbaubetrieb. In 2014/2015 errichtete ein Einfamilienhaus mit einem Arbeitszimmer (Fertigstellung 2015). Erst in der im September 2016 beim FA eingereichten USt-Jahreserklärung für 2015 - nicht bereits in den zuvor eingereichten USt-Voranmeldungen - machte er für die Errichtung des Arbeitszimmers anteilig Vorsteuern geltend (8,91 %).
Das FA versagte den Vorsteuerabzug. X habe das Arbeitszimmer nicht zeitnah seinem Unternehmen zugeordnet. Eine zeitnahe Dokumentation der Zuordnungsentscheidung liege nur vor, wenn sie innerhalb der Abgabefrist für die Jahressteuererklärung, d.h. bis 31. Mai (jetzt: 31. Juli) des Folgejahres, vorgenommen werde (BFH v. 7.7.2011, V R 42/99 BStBl II 2014 S. 76). Dem folgte das FG und wies die Klage ab.
X wandte mit der Revision ein, es komme nicht auf die Dokumentation der Zuordnungsentscheidung durch die USt-Erklärung an, da bereits aufgrund der Bauzeichnung und der tatsächlich ausschließlich unternehmerischen Nutzung ausreichende Anhaltspunkte für die Zuordnung zum Unternehmen vorlägen.
Entscheidung: Klärung der Zuordnungsfrist durch den EuGH
Der BFH setzte das Revisionsverfahren aus und legte die Problematik der nicht rechtzeitigen Zuordnung eines gemischt genutzten Gegenstands zum Unternehmen nach Art. 267 Abs. 3 AEUV dem EuGH zur Vorabentscheidung vor.
Zuordnungswahlrecht bei gemischt genutzten Gegenständen
Bei Bezug eines einheitlichen Gegenstands, der gemischt, also für unternehmerische und private Zwecke, verwendet wird oder werden soll, steht dem Unternehmer ein Zuordnungswahlrecht zu. Er kann das Grundstück in vollem Umfang in seinem Privatvermögen belassen, insgesamt seinem Unternehmen zuordnen, oder nur entsprechend dem unternehmerischen Nutzungsanteil seinem Unternehmen zuordnen (EuGH-Urteil "Trgovina Prizma" v. 9.7.2015, C-331/14, EU:C:2015:456, UR 2015, 621, Rz. 20; BFH v. 19.7.2011, XI R 29/09, BStBl II 2012 S. 430, Rz. 22 f.).
Grundsätze des BFH zur Zuordnung
Die Zuordnung zum Unternehmen erfordert eine durch Beweisanzeichen gestützte Zuordnungsentscheidung. Die Geltendmachung des Vorsteuerabzugs ist regelmäßig ein Indiz für, die Unterlassung des Vorsteuerabzugs ein Indiz gegen die Zuordnung zum Unternehmen. Auch die bilanzielle und ertragsteuerrechtliche Behandlung kann ein Indiz für die Zuordnung sein. Gibt es keine Beweisanzeichen für eine Zuordnung zum Unternehmen, kann diese nicht unterstellt werden. Das gilt auch bei beabsichtigter oder tatsächlicher unternehmerischer Nutzung (BFH v. 7.7.2011, V R 42/99 BStBl II 2014 S. 76).
Dokumentation der Zuordnungsentscheidung
Aus dem Grundsatz des Sofortabzugs der Vorsteuer folgt, dass die Zuordnungsentscheidung (eigentlich) schon bei Anschaffung oder Herstellung zu treffen ist. Der BFH anerkennt jedoch aus Praktikabilitätsgründen, dass die Zuordnungsentscheidung spätestens mit der "zeitnah" erstellten USt-Erklärung für das Jahr des Leistungsbezugs dokumentiert wird, d.h. innerhalb der gesetzlichen Abgabefrist für die USt-Jahreserklärung (für 2015: 31.5.2016; BFH v. 7.7.2011, V R 42/99 BStBl II 2014 S. 76).
Die bisher gehandhabte Fristenregelung ist unionsrechtlich zweifelhaft
Der BFH sieht es allerdings - insbesondere im Hinblick auf das EuGH-Urteil "Gmina Ryjewo" v. 25.7.2018, C-140/17 (EU:C:2018:595, UR 2018, 687) – als fraglich an, ob diese bisher zugrunde gelegte Frist mit Unionsrecht vereinbar ist. Einerseits kann die vom BFH entwickelte Dokumentationsfrist unionsrechtlich auf die Regelungsbefugnis für die formellen Anforderungen zur Ausübung des Vorsteuerabzugs in Titel XI MwStSystRL gestützt werden. Hinzu kommt, dass der Abzug ohne zeitliche Begrenzung der Rechtssicherheit zuwiderliefe. Andererseits könnte das Festhalten am Erfordernis einer zeitnahen Zuordnungsentscheidung aber gegen den Neutralitätsgrundsatz verstoßen.
Unionsrechtliche Zuordnungsvermutung entgegen BFH-Auffassung
Der BFH geht davon aus, dass bei Fehlen erkennbarer Beweisanzeichen eine Zuordnung zum Unternehmen nicht unterstellt werden kann. Demgegenüber könnte das Urteil "Gmina Ryjewo" dahin zu verstehen sein, dass beim Erwerb eines auch unternehmerisch nutzbaren Gegenstands eine Vermutung für die unternehmerische Zuordnung besteht, sofern keine ausschließliche gegenteilige Zuordnung erfolgt ist, zumal sich aus der bewussten Nichtentscheidung der Zuordnungsfrage keine Nachteile ergeben sollen. Für eine grundsätzlich vermutete Zuordnung zum Unternehmensvermögen könnte der Zweck des Zuordnungswahlrechts sprechen. Denn mit dem Zuordnungswahlrecht soll aus Gründen der steuerrechtlichen Neutralität verhindert werden, dass bei einer zunächst teilweise privaten, später aber weitergehenden unternehmerischen Nutzung eines Gegenstandes eine Mehrwertsteuerbelastung aus dem Erwerb oder der Herstellung des Gegenstandes verbleibt (BFH v. 3.8.2017, V R 59/16, BStBl II 2017 S. 1209, Rz 28).
Hinweis: Erleichterter Vorsteuerabzug bei gemischter Verwendung
Ausgehend vom Neutralitätsgrundsatz dürfte zu erwarten sein, dass der EuGH die Grundsätze der bisherigen (nationalen) Handhabung des BFH als zu restriktiv ansieht. Der Vorsteuerabzug bei unternehmerischer und gemischter Nutzung würde erleichtert. Bei Übertragung der "Gmina Ryjewo"-Grundsätze auf den Streitfall könnte die (verspätete) Steuererklärung vom September 2016 bzw. die Eintragung in den Bauunterlagen oder auch eine bestehende - wenn auch erst später geäußerte - Absicht als ausreichende Indizien für eine unternehmerische Zuordnung gewertet werden. Dementsprechend würde – entgegen der bisherigen (engen) BFH-Auffassung - keine Zuordnungsfrist mit ausschließender Wirkung gelten und bei Fehlen von Beweisanzeichen würde eine Vermutung für eine Zuordnung zum Unternehmen bestehen. In einem Parallelverfahren, das den Erwerb einer Photovoltaikanlage durch einen Privatmann betrifft, hat der BFH mit (nahezu inhaltsgleichem) Beschluss vom selben Tage (Az. XI R 7/19) ebenfalls den EuGH angerufen.
BFH Beschluss vom 18.09.2019 - XI R 3/19 (veröffentlicht am 30.01.2020)
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