Urenkel sind keine Enkel – auch nicht in der Schenkungsteuer
Hintergrund: Schenkung an die Urenkel
Die Urgroßmutter übertrug ihren beiden Urenkeln ein Grundstück. Das FA berücksichtigte bei der SchenkSt jeweils einen Freibetrag von 100.000 EUR nach § 16 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG. Die Urenkel machten den Freibetrag von 200.000 EUR nach § 16 Abs. 1 Nr. 3 ErbStG geltend und erhoben Klage, über die noch nicht entschieden ist.
Außerdem stellten die Urenkel einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung (AdV), der sowohl vom FA als auch vom FG abgelehnt wurde. Dagegen erhoben sie Beschwerde zum BFH. Sie machen ernstliche Zweifel gegen die Rechtmäßigkeit des Ansatz des Freibetrags von 100.000 EUR statt von 200.000 EUR geltend.
Entscheidung: Für Urenkel gilt der Freibetrag von 100.000 EUR
Der BFH wies die Beschwerde zurück. Es bestehen keine ernstlichen Zweifel, dass für den Erwerb eines Urenkels jedenfalls dann lediglich ein Freibetrag nach § 16 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG in Höhe von 100.000 EUR steuerfrei bleibt, wenn Angehörige der dazwischenliegenden Generationen noch am Leben sind.
Rechtslage
Nach § 16 Abs. 1 ErbStG bleibt steuerfrei:
- Nr. 2: Erwerb der Kinder im Sinne der Steuerklasse I Nr. 2 und der Kinder verstorbener Kinder im Sinne der Steuerklasse I Nr. 2 in Höhe von 400.000 EUR;
- Nr. 3: Erwerb der Kinder der Kinder im Sinne der Steuerklasse I Nr. 2 in Höhe von 200.000 EUR;
- Nr. 4: Erwerb der übrigen Personen der Steuerklasse I in Höhe von 100.000 EUR.
Nach § 15 Abs. 1 ErbStG gilt die Steuerklasse I u.a.
- Nr. 2: für "die Kinder und Stiefkinder";
- Nr. 3: für "die Abkömmlinge der in Nummer 2 genannten Kinder und Stiefkinder".
Wörtliche und systematische Auslegung
Nach Wortlaut und Systematik des ErbStG meint der Begriff "Kinder" in § 16 Abs. 1 ErbStG eindeutig nicht Kindeskinder oder weitere Abkömmlinge, sondern Kinder. Das gilt im Fall des § 16 Abs. 1 Nr. 3 ErbStG auch für die doppelte Verwendung des Wortes "Kinder", so dass "Kinder der Kinder" ausschließlich die Enkel, nicht die Urenkel sind. Soweit § 16 Abs. 1 ErbStG (in Nr. 2 und Nr. 3) die Wendung "Kinder im Sinne der Steuerklasse I Nr. 2" verwendet, sind das die Kinder und Stiefkinder. Dass § 16 Abs. 1 ErbStG nicht allein von Kindern, sondern von Kindern i.S. der Steuerklasse I Nr. 2 spricht, hat seinen Grund darin, dass damit die Stiefkinder mit einbezogen werden. Kindeskinder oder weitere Abkömmlinge können in dieser Formulierung mit dem Begriff "Kinder" nicht gemeint sein. Denn diese erhalten die Steuerklasse I nicht auf der Grundlage des § 15 Abs. 1 Steuerklasse I Nr. 2 ErbStG, sondern auf der Grundlage des § 15 Abs. 1 Steuerklasse I Nr. 3 ErbStG. Andernfalls liefe die zuletzt genannte Vorschrift leer.
Differenzierung zwischen Kindern und Abkömmlingen
Die Unterscheidung in § 15 Abs. 1 Steuerklasse I ErbStG zwischen Nr. 2 (Kinder) und Nr. 3 (Abkömmlinge der in Nr. 2 genannten Kinder), dass der Gesetzgeber den Begriff "Kinder" zielgenau eingesetzt hat. Meinte er sämtliche nachfolgenden Generationen in direkter Linie, hat er den Begriff der Abkömmlinge genutzt; meinte er lediglich die Kinder der Kinder, hat er dies so formuliert. Es ist kein gesetzestechnischer Anknüpfungspunkt dafür ersichtlich, dem Begriff "Kinder" punktuell ein anderes Verständnis beizulegen. Dem Einwand, die Gleichstellung aller Abkömmlinge hinsichtlich der Steuerklasse in § 15 Abs. 1 ErbStG müsse auch zu einer Gleichstellung in § 16 Abs. 1 ErbStG führen, steht bereits entgegen, dass § 16 Abs. 1 ErbStG zwischen verschiedenen Erwerbergruppen trotz gleicher Steuerklasse ausdrücklich differenziert, und zwar insbesondere auch zwischen verschiedenen Gruppen von Abkömmlingen.
Überspringen der Generationenfolge
Die Steuerklassen und Freibeträge beruhen auf dem Grundmodell, dass jede Generation jeweils zwei Kinder hat, was die Verdoppelung der Anzahl der Abkömmlinge in jeweils einer Generation zur Folge hat. Dies erklärt die Halbierung des Freibetrags von § 16 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG (für die Kinder) zu § 16 Abs. 1 Nr. 3 ErbStG (wenigstens für die Enkelkinder). Denn bei zwei Kindern sind nach diesem Modell typischerweise vier Enkelkinder vorhanden. Vor diesem Hintergrund ist es folgerichtig und systemgerecht, wenn sich die weitere Halbierung des Freibetrags nach § 16 Abs. 1 Nr. 3 ErbStG in § 16 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG mit einem weiteren Schritt in der Generationenfolge deckt.
Die im Streitfall von den Urenkeln begehrte Auslegung entspricht nicht dem Zweck der Freibeträge. Vielmehr hätten gleiche Freibeträge auch bei Überspringen einer oder mehrerer Generationen eine Vervielfältigung der Freibeträge und damit gemessen an der Konzeption des Gesetzes eine Überbegünstigung zur Folge.
Hinweis: Die Rechtsfrage ist noch nicht endgültig entschieden
Der BFH lehnt die abweichenden Auffassungen in der Kommentarliteratur ab. Er weist allerdings darauf hin, dass das Meinungsbild in den Kommentaren nicht einheitlich ist und nicht in jedem Fall feststeht, ob die entsprechenden Ausführungen die aktuelle Gesetzeslage betreffen oder vielmehr Überlegungen im Hinblick auf eine bessere Sachgerechtigkeit darstellen.
Auch wenn im AdV-Verfahren eine Streitsache grundsätzlich nur einer summarischen Prüfung unterliegt, hat der BFH in dem Beschluss bereits sehr deutlich Stellung bezogen. Gleichwohl bleibt die endgültige Entscheidung einem Revisionsverfahren vorbehalten. Ob es dazu kommt, hängt davon ab, wie das FG über die anhängige Klage entscheidet und ob dagegen Revision eingelegt wird. Bis dahin sollten entsprechende Fälle offen gehalten werden.
BFH Beschluss vom 27.07.2020 - II B 39/20 (AdV) (veröffentlicht am 22.10.2020)
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