Günstigerprüfung bei den Einkünften aus Kapitalvermögen

Der Antrag auf Günstigerprüfung kann nach Unanfechtbarkeit des ESt-Bescheids nur dann zu einer Änderung der ESt-Festsetzung führen, wenn eine Änderungsvorschrift eingreift.

Hintergrund

Streitig war, ob nach Bestandskraft des ESt-Bescheids ein Antrag auf Wahlveranlagung der Kapitaleinkünfte (sog. Günstigerprüfung) gestellt werden kann und damit nachträglich die einbehaltene Abgeltungsteuer steuermindernd zu berücksichtigen ist.

A erzielte in 2010 als Mini-Jobberin Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit (16.765 EUR). Daneben erhielt sie eine Leibrente (2.432 EUR). In ihrer ESt-Erklärung gab A keine Einkünfte aus Kapitalvermögen an. Das FA ermittelte ein zu versteuerndes Einkommen von 7.849 EUR und daraus eine ESt von 0 EUR.

Nach Eintritt der Bestandskraft beantragte A unter Vorlege einer Steuerbescheinigung über erzielte Kapitalerträge (1.523 EUR) sowie anrechenbare Kapitalertrag-St (380 EUR zuzüglich 21 EUR SolZ) die Günstigerprüfung nach § 32d Abs. 6 EStG. Das FA lehnte die Änderung des ESt-Bescheids und eine Anrechnung der Kapitalertrag-St auf die ESt-Schuld ab. Ebenso entschied das FG mit der Begründung, A oder ihr Steuerberater hätte das FA vor Bestandskraft des Bescheids über die erzielten Kapitaleinkünfte unterrichten müssen.

Entscheidung

Bei dem Antrag auf Günstigerprüfung handelt es sich um ein unbefristetes Wahlrecht, das bis zum Eintritt der Festsetzungsverjährung ausgeübt werden kann. Der Antrag führt dazu, dass die mit der Abgeltungsteuer von 25 % besteuerten Kapitaleinkünfte den übrigen Einkünften hinzugerechnet und der tariflichen ESt unterworfen werden. Diese Folge tritt jedoch nur ein, wenn die Voraussetzungen für eine Änderung des Steuerbescheids vorliegen. Insoweit ergibt sich eine zeitliche Begrenzung der Wahlrechtsausübung aus der Bestandskraft. Andernfalls würden die Vorschriften der AO über die Korrektur von Steuerbescheiden ausgehöhlt.

Als Änderungsvorschrift kommt hier § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO in Betracht. Danach ist ein Bescheid zu ändern, wenn nachträglich Tatsachen bekannt werden, die zu einer niedrigeren Steuer führen, sofern den Steuerpflichtigen kein grobes Verschulden an dem nachträglichen Bekanntwerden trifft. Der Antrag auf Günstigerprüfung ist zwar als Verfahrenshandlung keine nachträglich bekannt gewordene Tatsache. Eine solche Tatsache ist jedoch der zugrunde liegende Sachverhalt, der zu einer Änderung der ESt-Festsetzung führen kann. Das ist hier der dem FA erst nach der ESt-Festsetzung bekannt gewordene Umstand, dass A Kapitaleinkünfte erzielt hat, die der Abgeltungsteuer unterlegen haben.

Der BFH stimmt mit dem FG darin überein, dass A grobes Verschulden daran trifft, dass dem FA die erzielten Kapitaleinkünfte erst nach der ESt-Festsetzung bekannt geworden sind. Da ihr die Steuerbescheinigung bereits vor der Abgabe der ESt-Erklärung vorlag, hätte sie ihren Steuerberater davon unterrichten müssen. Sollte sie dies getan haben, wäre dessen schuldhafte Pflichtverletzung der A wie eigenes Verschulden zuzurechnen. Der BFH wies daher die Revision zurück.

Hinweis

Die für den Steuerpflichtigen wichtige Frage, bis zu welchem Zeitpunkt der Antrag auf Anwendung der tariflichen ESt (Günstigerprüfung) gestellt werden kann, ist damit entschieden. Zwar ist der Antrag grundsätzlich unbefristet. Eine zeitliche Befristung ergibt sich jedoch aus der Bestandskraft der Steuerfestsetzung. Denn andernfalls würden die AO-Korrekturvorschriften unterlaufen. Nach der Bestandskraft führt ein Antrag auf Günstigerprüfung daher nur dann zu einer niedrigeren ESt-Festsetzung, wenn die Voraussetzungen einer Änderungsvorschrift vorliegen.

In der Praxis wird sich häufig die Verschuldensfrage stellen. Der Steuerpflichtige erlangt zwar über seine Bank regelmäßig Kenntnis von der einbehaltenen Kapitalertrag-St. Ein Verschuldensvorwurf wird ihm aber nur dann gemacht werden können, wenn er die Bedeutung der Bankmitteilung erkennen konnte. Davon kann wohl nicht allgemein ausgegangen werden. Vielmehr ist hier auf den Einzelfall abzustellen.